Zum ersten Todestag von Benedikt XVI. am kommenden Sonntag
Ein letztes Gespräch mit dem emeritierten Papst
Rom, 28. Dezember 2023
Am 31. Dezember 2022 ist Benedikt XVI. zu Gott heimgegangen. Der Fernsehmoderator und Dokumentarfilmer Markus Lanz und der Kölner Psychiater, Psychotherapeut und Theologe Manfred Lütz haben mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. am 30. April 2018 ein „letztes Gespräch“ geführt. Sie sind dabei einem Menschen begegnet, dessen Stimme sehr leise war. Aber sein Geist „war gewohnt flink, aufmerksam und witzig“ (Markus Lanz, Manfred Lütz, Benedikt XVI. Unser letztes Gespräch, München 2023, S. 6).
Manfred Lütz und das Anliegen der Hospizbewegung
Manfred Lütz ist Kardinal Ratzinger im Jahr 1982 zum ersten Mal in Rom im Deutschen Kolleg am Campo Santo Teutonico begegnet. Zu Beginn seiner Amtszeit als Präfekt der Glaubenskongregation wohnte der Kardinal vorübergehend im Deutschen Kolleg. Er war „bescheiden und von einer geistreichen Heiterkeit, die nie oberflächlich war. … Zur Macht hatte er immer eine eher ironische Distanz“ (ebd., 14). Ende der 1980er-Jahre hat sich Manfred Lütz stark mit den Anliegen der Hospizbewegung beschäftigt. Die Deutsche Bischofskonferenz reagierte damals noch sehr zurückhaltend auf die Idee, Hospize einzurichten, weil man der Meinung war, man hätte ja katholische Krankenhäuser. Als Lütz damals Kardinal Ratzinger die Idee der Hospizbewegung vorstellte, begriff dieser „die Lage sofort“ (ebd., 18). Das Interview, das der Kardinal daraufhin gab, brachte „den Durchbruch für die katholische Hospizbewegung in Deutschland“ (ebd.). Manfred Lütz hat in seinem ganzen Leben „nie einen Menschen mit einem auch nur annähernd so brillanten Gedächtnis erlebt wie Joseph Ratzinger“ (ebd., 19). In den 1990er-Jahren hat Lütz Kardinal Ratzinger häufiger getroffen, als es um die Frage ging, ob der Hirntod den Tod des Menschen bedeuten würde. Der Kardinal vertrat damals die Ansicht, dass die Hirntodfrage „keineswegs lehramtlich entschieden“ (ebd., 21) ist. Als Lütz mit seiner Frau und seinen Töchtern 2011 am Weltjugendtag in Madrid teilnahm, erlebte er, wie – 66 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – zwei Millionen junge Menschen aus allen Ländern der Erde mit echter Begeisterung, ja Liebe einem Deutschen zujubelten, „diesem kleinen, alten Mann aus Bayern, der ihnen nicht auftrumpfend, sondern bescheiden mit einfachen, fast zärtlichen Worten ins Herz sprach“ (ebd., 33).
Die Seele und die Liebe bleiben
Markus Lanz hat Joseph Ratzinger als Kardinal kennengelernt und ist von dieser Begegnung „sehr berührt“ (ebd., 12) gewesen. Im April 2003 war Lanz mit Kardinal Ratzinger in Rom auf dem Friedhof „Campo Santo Teutonico“ zu einem Interview verabredet. Der Kardinal beantwortete damals alle Fragen „in bemerkenswerter Offenheit“ (ebd., 56). Auf die Frage von Lanz, ob er sagen könne, wie Gott aussieht, antwortete Joseph Ratzinger: Wie der liebe Gott aussieht, könne er nicht sagen. „Was ich Ihnen aber sagen kann, ist: Sie werden in Ihrem Leben immer wieder Menschen begegnen, bei denen ab und zu etwas Göttliches durchschimmert“ (ebd., 58). Lanz hat in seinem Leben viele Menschen getroffen. Bei keinem stimmte das medial gezeichnete Bild mit seinen Klischees und Vorurteilen mit dem überein, was diesen Menschen wirklich auszeichnet. Doch es gibt nicht viele – so Lanz –, bei denen mediale Überzeichnung und Realität so sehr auseinanderklaffen wie bei Joseph Ratzinger. Wenn er an Benedikt XVI. denkt, kommen ihm vor allem dessen Demut, Warmherzigkeit und Bescheidenheit in den Sinn. Bei der Predigt vor dem Konklave, aus dem er als Benedikt XVI. hervorging, stellte Kardinal Ratzinger die Frage: Was bleibt? Die Antwort des damaligen Predigers: „Das Einzige, was bleibt, ist die Seele, die Liebe und die Geste, die das Herz zu berühren vermag“ (ebd., 64).
Das „letzte Gespräch“ mit Benedikt XVI.
Das letzte Gespräch führten Markus Lanz und Manfred Lütz mit Benedikt XVI. im Kloster „Mater Ecclesiae“, in dem dieser seit seinem Rücktritt lebte. Seine Aussagen waren „tiefgehend und unmittelbar“ (ebd., 82), aber auch höchst differenziert. Die gedruckte Fassung des Gesprächs beruht auf einem Gedächtnisprotokoll der beiden Besucher. Lanz und Lütz weisen darauf hin, dass Hans Küng immer stolz darauf gewesen ist, Professor Ratzinger in den 1960er-Jahren von der Universität Münster an die Universität Tübingen „gelockt zu haben“. Doch die beiden Theologieprofessoren waren höchst unterschiedlich. Küng schrieb am Ende seines Lebens „drei dicke Bände über sein eigenes Leben“ (ebd., 73), Papst Benedikt schrieb drei Bände über Jesus von Nazareth. Auf die Frage von Markus Lanz, wie er das Jahr 1968 an der Universität Tübingen erlebt habe, antwortetet Benedikt XVI., dass „dieser neomarxistische Ansatz ein Irrweg gewesen sei, ein im Kern sogar terroristischer Irrweg. Es sei nicht mehr um eine intellektuelle Auseinandersetzung gegangen, sondern um Ideologie“ (ebd., 89).
Nach Hause gehen dürfen
In den Gesprächsbüchern Peter Seewalds mit dem späteren Papst begegnet man in Kardinal Ratzinger „einem modernen Menschen, der hochsensibel und illusionslos die Schwingungen der Zeit wahrnimmt“ (ebd., 74). Er hat den Glauben der einfachen Menschen immer gegen die intellektuelle Arroganz mancher seiner Kollegen verteidigt. Joseph Ratzinger hat nicht nur mit seinen Büchern versucht, den Glauben zu wecken, sondern auch im persönlichen Gespräch. Als ihn die sterbenskranke atheistische Journalistin Oriana Falaci fragte, was sie tun könne, um zum Glauben zu gelangen, gab er ihr den gleichen Rat, den etwas anders auch Blaise Pascal gegeben hatte: „Tun Sie so, als würden Sie glauben, beten Sie …“ (ebd., 75). – Joseph Ratzinger sah den Verlauf der Kirchengeschichte immer als eine lebendige Entwicklung an. Das galt auch für sein eigenes Leben. Treu zu sein und den Aufgaben gerecht zu werden, die Gott ihm nach seiner tiefen Überzeugung auf seinem Lebensweg gestellt hatte, das hat er – wie im „letzten Gespräch“ erneut deutlich wurde – „immer als seine heilige Pflicht betrachtet“ (ebd., 77). Auf die Frage, was er für das Wichtigste in seinem Pontifikat halte, antwortete Benedikt XVI., er wisse es nicht genau. Auf die Nachfrage, ob es nicht möglicherweise sein Werk „Jesus von Nazareth“ gewesen sein könnte, stimmte er zu. Dieses dreibändige Werk sei „eine Zusammenfassung all dessen, was ihm wichtig gewesen“ (ebd., 87) ist. Auf die Frage, ob er Angst vor dem Tod habe, antwortete Benedikt, „er freue sich, bald nach Hause gehen zu dürfen, seine Schwester und seine Eltern wiederzusehen und … alle seine Freunde, die schon drüben seien“ (ebd., 91).
Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml
Foto: altrofoto.de