Bischof Rudolf Voderholzer: Pontifikalamt am ersten Weihnachtstag
Gottesgeburt in der Seele
Regensburg, 25. Dezember 2024.
„Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir, du gingest ewiglich verloren!“, dieses Wort des Angelus Silesius (25. Dezember 1624 – 9. Juli 1677) stellte Bischof Rudolf Voderholzer anlässlich des 400. Geburtstages des schlesischen Mystikers ins Zentrum seiner Predigt am ersten Weihnachtsfeiertag. Der Hohe Dom St. Peter war dicht mit Gläubigen gefüllt, die ein Pontifikalamt mit Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, Weihbischof Dr. Josef Graf und den Mitgliedern des Domkapitels am Hochfest der Geburt des Herrn feierten.
Die Regensburger Domspatzen unter der Leitung von Domkapellmeister Christian Heiß und einer Choralschola, geleitet von Max Rädlinger, gestalteten die festliche Liturgie musikalisch. Domorganist Professor Franz Josef Stoiber ließ die Regensburger Domorgel festlich erklingen. Zum Abschluss des feierlichen Pontifikalamtes sangen die Regensburger Domspatzen das Lied „Heilige Nacht“ von Johann Friedrich Reichardt. Dabei wurde der Dom nur vom Schein der Kerzen und den Lichtern der Christbäume erhellt.
Verbundenheit mit der weltumspannenden Kirche
Die liturgische Sprache an diesem Tag war Latein. Damit soll die Verbundenheit mit der weltumspannenden Kirche zum Ausdruck gebracht werden. Den Gläubigen wurde vor Beginn der Messfeier ein Liedheft mit allen lateinischen Texten und den dazugehörigen Übersetzungen ausgeteilt. Die Fürbitten wurden auf Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Polnisch und Deutsch vorgetragen. Bei der Fürbitte für die Verstorbenen wurde ausdrücklich dem neunjährigen Jungen André gedacht, der beim schrecklichen Attentat auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg getötet wurde und der gebürtig aus der oberpfälzischen Marktgemeinde Floß stammte, wo er auch Ministrant war.
Gottesgeburt in der Seele
Mittelpunkt des Geschehens: das Kind in der Krippe.
In seiner Predigt ging Bischof Dr. Rudolf Voderholzer auf die Bedeutung der „Gottesgeburt in der Seele“ ein. Dazu stellte er ein vielzitiertes Wort an den Anfang seiner Predigt: „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir, du gingest ewiglich verloren!“ Diese Worte stammen vom schlesischen Mystiker Angelus Silesius, der am 25. Dezember 1624, also auf den Tag „genau heute vor 400 Jahren in Breslau zur Welt gekommen ist als Johannes Scheffler“, so Bischof Rudolf. Der Sohn eines protestantischen Adligen fand mit 29 Jahren zum katholischen Glauben. Diese Umstände sorgten zur damaligen Zeit für großes Aufsehen. Johannes Scheffler hatte in Straßburg, Padua und im niederländischen Leiden Medizin, Jura und auch etwas Theologie studiert. In den Niederlanden ist er auch mit der katholischen Mystik in Kontakt gekommen. Anlässlich der Konversion nahm er den Namen „Angelus“, also Engel an, und fügte noch als Adjektiv seine Herkunft an, so dass er fortan als Angelus Silesius, als der schlesische Angelus und Glaubensbote bekannt wurde, erklärte Bischof Rudolf den Gläubigen. Sein Leben war äußerlich unspektakulär, dafür innerlich umso reicher: 1661 wurde er für die Diözese Breslau zum Priester geweiht. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er zurückgezogen als Arzt für Arme und Kranke im Matthiasstift in Breslau. „Nach und nach verschenkte er sein Vermögen, sorgte für die Ausbildung von Waisenkindern und behandelte als Arzt unentgeltlich Patienten. Mit nur 53 Jahren starb er und wurde in der Matthiaskirche in Breslau beigesetzt“, so Bischof Voderholzer.
Angelus Silesius erlangte bleibende Berühmtheit vor allem mit dem Werk „Der Cherubinische Wandersmann“. Eine Sammlung von versartigen Sinnsprüchen, die allesamt eine tiefe geistliche Erfahrung ausdrücken und aus der reichen Tradition christlicher Mystik schöpfen. Aus diesem Werk stammt auch das Zitat am Anfang der Predigt. Für den Regensburger Oberhirten ist die „Lehre von der Gottesgeburt in der Seele keine Erfindung des Angelus Silesius, sie fand aber in ihm einen wirkmächtigen Vermittler“. Sie steht im Kontext der traditionellen Lehre von der dreifachen Geburt des Gottessohnes. „Eine Kurz-Zusammenfassung, so könnte man sagen, der christlichen Lehre“, so Bischof Rudolf.
Da ist erstens die ewige Zeugung und Geburt des Sohnes aus Gott dem Vater, womit „kein biologischer Vorgang gemeint“ sei, sondern „die von der Heiligen Schrift bezeugte Wirklichkeit, dass Gott von Ewigkeit her Beziehung nicht nur hat, sondern das Beziehungsgeschehen von Vater, Sohn und Heiligem Geist ist. Gott ist einer, aber nicht einsam“. Er es gerade nicht das beziehungslose „Eine“ der griechisch-hellenistischen Philosophie. Es ist das Konzil von Nizäa im Jahr 325 nach Christus gewesen, welches die Göttlichkeit des ewigen Wortes und seine Beziehung zu Gottvater verbindlich klären sollte. Der Sohn ist demnach „eines Wesens mit dem Vater“, „wahrer Gott vom wahren Gott“, „gezeugt, nicht geschaffen“. In das Heilige Jahr 2025 fällt auch das 1.700-Jahr-Jubiläum des ökumenischen Konzils von Nizäa, dessen Credo die Christen auf der ganzen Welt verbindet.
Zur ewigen „Geburt des Sohnes vom Vater“ kommt zweitens die Sendung des Sohnes in die Welt. Die Geburt aus der Jungfrau Maria verlängert den innergöttlichen Hervorgang in die Zeit und Geschichte hinein. Wie Bischof Rudolf betonte, wird uns im Matthäus- und im Lukas-Evangelium aus zwei voneinander unabhängigen neutestamentlichen Quellen „das Festgeheimnis von Weihnachten“ vermittelt. Und das Evangelium des Weihnachtstages formuliert es so: Das Wort ist Fleisch geworden, also ein konkreter Mensch. Er hat unter uns – wörtlich – „sein Zelt aufgeschlagen“. Die ewige Geburt aus dem Vater und die zeitliche Geburt aus der Jungfrau Maria blieben aber fruchtlos, käme nicht drittens die Gottesgeburt in der gläubigen Seele hinzu. Das heißt: Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes bedarf der Annahme im gläubigen Herzen und der Umsetzung in der Verkündigung und in einem Leben der liebenden Aufmerksamkeit für Andere. Auf diese dritte Geburt mit Nachdruck hingewiesen zu haben, ist das Verdienst des Angelus Silesius.
Als Beispiel dafür, wie diese „Gottesgeburt in der Seele“ sich vollziehen kann, führte er den französischen Dichter Paul Claudel (1868–1955) an, den der Bischof – ebenfalls aus gegebenem Anlass – dem schlesischen Mystiker zur Seite stellte. Claudel, äußerlich katholisch sozialisiert aber mit 18 Jahren von Glaube und Kirche entfremdet, besuchte am 25. Dezember 1886 das Weihnachthochamt in Notre Dame in Paris, also jene Kathedrale, die 2019 fast abgebrannt wäre und seit wenigen Tagen wieder in neuem und vollem Glanz erstrahlt. Die Messe besuchte der junge Schriftsteller nicht primär aus religiösen Gründen, sondern um sich zu inspirieren und für sein Werk neue Ideen zu bekommen – und sie beeindruckte ihn nicht.
Paul Claudel – Kirchenmusik als „Geburtshelfer“
Das Hochamt also hatte sein Herz nicht erreicht. Dies änderte sich radikal beim Besuch der Vesper, wo er nahe dem zweiten Pfeiler am Choranfang der Kathedrale stand und den Gesängen der Knaben der Singschule – ähnlich den Domspatzen – lauschte. Als das Magnificat erschallte, „geschah blitzartig eine Bekehrung“, wie der Schriftsteller selbst erklärte und wie ihn Bischof Rudolf in seiner Predigt mit den Worten zitierte: „Im einem Nu wurde mein Herz ergriffen, und ich glaubte. Ich glaubte mit so einer mächtigen inneren Zustimmung, mit einem so gewaltsamen Emporgerissenwerden meines ganzen Seins, mit so einer starken Überzeugung, mit solch unerschütterlicher Gewissheit, dass keinerlei Platz auch nur für den leisesten Zweifel offenblieb“. Diese Aussage, so Bischof Rudolf, sei ein gutes Beispiel für eine Gottesgeburt in der Seele. „Geburtshelfer“ sozusagen war bei Paul Claudel die Kirchenmusik. Und dass es vor allem das Magnificat war, der Lobgesang der Gottesmutter, der den französischen Schriftsteller zum Glauben brachte, sei sicherlich kein Zufall gewesen.
Mit Blick auf den Regensburger Domchor wünschte sich Bischof Rudolf, dass auch „unsere Domspatzen so mancher Gottesgeburt in der Seele den Weg bereitet haben und bereiten werden. Dafür, für den zu Herzen gehenden Gesang, für alle Schönheit und allen Glanz, mit dem Ihr unsere Liturgie bereichert, für alle Hilfe auf dem Weg des Glaubens, ein herzlicher Dank, gerade jetzt an der Schwelle zum großen Jubiläumsjahr, da wir Eurer Gründung im Jahr 975, also vor 1050 Jahren durch den heiligen Wolfgang gedenken werden“. Dem heiligen Wolfgang gedachte das Bistum Regensburg in diesem Jahr ganz besonders, da er vor genau 1100 Jahren geboren wurde. Und mit Blick auf die Wiedereröffnung von Notre Dame in Paris sprach der Bischof die Hoffnung aus, dass sich unsere Kirche auch innerlich erneuere.
Maria, Mutter Gottes und Königin des Friedens, bitte für uns!
Großes Lob und hohe Anerkennung von Bischof Dr. Voderholzer: die Regensburger Domspatzen.
Bischof Rudolf Voderholzer schloss seine Predigt mit einem anderen, weniger bekannten, aber denselben Geist atmenden Vers aus dem „Cherubinischen Wandersmann“: „Die geistliche Maria. Ich muss Maria sein und Gott aus mir gebären, soll er mir ewiglich die Seligkeit gewähren.“
Zum Abschluss der Heiligen Messe erteilte Bischof Rudolf den apostolischen Segen. In Verbindung mit dem Empfang der Kommunion und der Beichte schenkt dieser Segen den vollkommenen Ablass aller zeitlichen Sündenstrafen. Als kleines Dankeschön für ihren erhebenden Gesang überreichte Bischof Rudolf jedem einzelnen Sängerknaben ein kleines schokoladenes Weihnachtsgeschenk, verbunden mit großem Dank und dem Ausdruck seiner Freude über die Sangeskunst der Domspatzen.
Text und Fotos: Christian Beirowski
(SG und sig)