Was bedeutet „Ökumene“?
Professor Dr. Josef Kreiml ist Regensburger Diözesanpriester und Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten. Er ist auch Rektor der Hochschule. Mit uns sprach er über die Bedeutung von Ökumene.
Herr Professor Kreiml, was bedeutet „Ökumene“?
In der Ökumene geht es um das Bemühen der verschiedenen Konfessionen, die Spaltungen innerhalb der Christenheit zu überwinden und die verlorengegangene Einheit wieder zu gewinnen. Eine der größten Aufgaben in der Ökumene besteht heute im Festhalten der theologischen Grundlagen, die das Zweite Vatikanische Konzil (Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio) vor allem in der Taufe und im Taufglauben gesehen hat. Aufgrund der Taufe gehören alle Christen zur Kirche. Die gegenseitige Anerkennung als Getaufte und die wechselseitige Ermutigung, als Getaufte zu leben, ist „der innerste Kern der Ökumenischen Bewegung“ (Kurt Kardinal Koch, Dass alle eins seien, S. 123). Die Taufe als Grundlage der Gemeinschaft ist aber auf das gemeinsame Bekenntnis des Glaubens und die Feier der Eucharistie hingeordnet. Erst die eucharistische Gemeinschaft bildet den Höhepunkt der Kirchengemeinschaft, die auch das Amt (Bischofsamt, Priesteramt) und die Gemeinschaft der Bischöfe als weltkirchliches Element einschließt.
Was sind die Ziele der Ökumene?
Das Notwendigste für die Ökumene ist, dass wir heute unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten im Glauben, die uns zu Christen machen und für uns Gabe und Auftrag sind, nicht unbemerkt verlieren. Der Fehler des konfessionellen Zeitalters war, dass wir weithin nur das Trennende gesehen und zu wenig wahrgenommen haben, was uns mit der Heiligen Schrift und den Bekenntnissen der frühen Kirche gemeinsam ist. Der große ökumenische Fortschritt der letzten Jahrzehnte besteht darin, dass uns diese Gemeinsamkeit bewusst geworden ist, dass wir sie im gemeinsamen Beten und Singen, im gemeinsamen Eintreten für das christliche Leben, im gemeinsamen Zeugnis für Gott als unsere unverlierbare Grundlage erkennen. Die zentrale ökumenische Aufgabe, bei der sich die Angehörigen der verschiedenen Konfessionen gegenseitig helfen müssen, ist es, tiefer und lebendiger zu glauben. Der in einer säkularisierten Welt von innen her gelebte Glaube ist die stärkste ökumenische Kraft, die uns zur Einheit in Christus und zur Einheit untereinander führt. Darauf hat auch Papst Benedikt XVI. am 23. September 2011 bei seiner Ansprache an die Vertreter der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) in Erfurt hingewiesen.
Wie können wir diese Ziele erreichen? Handelt es sich dabei nicht um ein Projekt, das kaum oder gar nicht zu schaffen ist?
Verspüren wir den schmerzlichen Skandal der Spaltung des einen Leibes Christi, der Kirche, noch? Oder haben wir uns mit ihm schon abgefunden? Zu neuen Impulsen in der Ökumene wird es nur kommen, wenn wir den Mut haben, diesem noch immer bestehenden Ärgernis in die Augen zu schauen. In der heutigen Zeit der Individualisierung und Pluralisierung wird die Einheit oft nur noch als tolerante Anerkennung von Vielheit und Vielfalt gesehen. Unter diesen Vorzeichen wird von vielen eine „versöhnte Verschiedenheit“ als bereits verwirklicht angesehen. Wie in der heutigen postmodernen Mentalität einer pluralistischen Beliebigkeit, die den einzelnen Menschen in die Heimatlosigkeit treibt, das ökumenische Grundanliegen der Suche nach sichtbarer Einheit der Kirche Christi wahrgenommen werden kann, ist die größte Herausforderung in der heutigen Ökumene.
Kardinal Koch fordert eine grundlegende Unterscheidung der Geister zwischen einem Ökumenismus, der weiterhin die sichtbare Einheit der Kirche anstrebt und für diese Einigung betet und arbeitet, und einem Ökumenismus, der das bisher Erreichte für ausreichend hält und deshalb an der Aufrechterhaltung des Status quo interessiert ist, diesen freilich in praktizierter Eucharistiegemeinschaft bestätigen will (vgl. Dass alle eins seien, S. 128). Nur die erste Form der Ökumene kann sich auf das Zweite Vatikanum berufen. Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen plädiert mit Recht für eine Erneuerung der spirituellen Dimension der Ökumenischen Bewegung.
Es gibt ja sehr viele Konfessionen. Von wem muss eine ökumenische Bewegung ausgehen?
Die ökumenische Bewegung muss ein Anliegen aller Konfessionen sein. Im ökumenischen Gespräch der katholischen Kirche mit den reformatorischen Kirchen geht es in erster Linie um Fragen des Kirchenverständnisses. Nach katholischem und erst recht orthodoxem Verständnis bilden Fragen des Kirchenverständnisses die unabdingbare Voraussetzung für ein Weiterkommen in der pastoral vordringlichen Frage der Eucharistiegemeinschaft. Der evangelische Ökumeniker Wolfhart Pannenberg hat darauf hingewiesen, dass weitere konfessionsübergreifende Gemeinsame Erklärungen nötig sind – vor allem über die Eucharistielehre, das geistliche Amt, die übrigen Sakramente und die Stellung des römischen Bischofs in der Gesamtchristenheit.
Nach katholischem und orthodoxem Verständnis gehört die apostolische Sukzession (die Bischöfe als Nachfolger der Apostel) zur „Grundordnung der Kirche“. Das evangelische Verständnis von Kirchengemeinschaft wurde in der sogenannten „Leuenberger Konkordie“ (1973) formuliert. Mit dieser Konkordie haben die reformierten und teilweise auch die evangelisch-lutherischen Kirchen das ursprünglich gemeinsame Ziel der Ökumenischen Bewegung, nämlich die Wiederherstellung der sichtbaren Einheit der Kirche, „letztlich aufgegeben und durch das Modell der Gemeinschaft von bekenntnisdifferenten Kirchen ersetzt“ (Dass alle eins seien, S. 67). Diese Entwicklung wird auch von evangelischen Ökumenikern mit großer Besorgnis betrachtet. Im weiteren ökumenischen Gespräch ist die Verständigung über die bischöfliche Verfassung der Kirche „unerlässlich“ (W. Pannenberg).
Was hat Ökumene mit Eucharistie zu tun?
Mit der Frage nach dem Verhältnis von kirchlicher und eucharistischer Gemeinschaft berühren wir einen Brennpunkt in der heutigen ökumenischen Situation. Nach katholischem und orthodoxem Verständnis ist wegen der fehlenden Kircheneinheit heute noch keine gemeinsame Eucharistie mit evangelischen Christen möglich. Gegen dieses Argument erheben die meisten evangelischen und reformierten Kirchen den Einwand, Christus lade zur Eucharistie ein und deshalb dürfe keine Kirche darüber befinden, wer an der Eucharistie teilnehmen könne. Dieser Einwand klingt im ersten Moment überzeugend. Das Problem bei diesem Einwand liegt aber darin, dass dabei die Kirche einfach ausgeblendet wird. Die Position eines kirchen- und weltoffenen Abendmahls übersieht, dass die neutestamentlichen Berichte über das Herrenmahl dieses nicht von der alltäglichen Mahlpraxis Jesu herleiten, sondern vom Letzten Abendmahl.
Was bedeutet die Eucharistie den Katholiken?
Die kirchliche Eucharistie wurde „von allem Anfang an in der Hausgemeinschaft Jesu Christi gefeiert, und sie kannte klare Zulassungsbedingungen“ (Dass alle eins seien, S. 102). Die Kirche hat die Eucharistie nie als Sakrament der Versöhnung verstanden, wie dies heute vielfach in den Vordergrund tritt, wenn eine zwischen Katholiken und Evangelischen gemeinsame Feier der Eucharistie als Mittel der Versöhnung und entscheidender Weg zur Einheit missverstanden wird. In der apostolischen Zeit setzt die Eucharistie die Versöhnung voraus und wird als Sakrament der bereits Versöhnten gefeiert.
Es ist katholische Überzeugung, dass sich in der Eucharistie Kirche in dichtester Weise verwirklicht. Dies hat auch Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika über die Eucharistie zum Ausdruck gebracht: „Die Kirche lebt von der Eucharistie“ (Ecclesia de Eucharistia, Nr. 1). In dieser Sicht ist es unmöglich, Eucharistiegemeinschaft und Kirchengemeinschaft derart schroff zu trennen, wie dies in der Überzeugung der Reformierten geschieht. Die heute üblich gewordene Praxis, „gemeinsam Abendmahl zu feiern und dann weiterhin in getrennten selbständigen Kirchen zu leben, ist biblisch erst recht nicht begründbar“ (Dass alle eins seien, S. 104). Eucharistiegemeinschaft setzt Glaubensgemeinschaft voraus.
Was bedeutet „eucharistische Gemeinschaft“ für die Ökumene?
Die allermeisten christlichen Kirchen – zusammen mit der katholischen Kirche vor allem die orthodoxen Kirchen, aber auch die anglikanischen Kirchengemeinschaften – halten an der Überzeugung fest, dass es ohne Eucharistie keine volle kirchliche Gemeinschaft und ohne kirchliche Gemeinschaft keine wahrhaftige und wahrhafte eucharistische Gemeinschaft geben kann. Karl Kardinal Lehmann hat mit Recht davor gewarnt, ein Miteinander von Kircheneinheit und Gemeinschaft im Herrenmahl aufzulösen und gleichsam zu zerstückeln. Er hat daraus gefolgert: „Das gemeinsame Mahl gehört insgesamt an das Ende und nicht an den Anfang ökumenischer Bestrebungen.“
Wann kann eine eucharistische Gemeinschaft erreicht werden? Und mit welchen Konfessionen?
Einen bestimmten Zeitpunkt kann ich diesbezüglich nicht nennen, weil niemand voraussagen kann, wann im ökumenischen Prozess mit anderen Konfessionen die volle Kircheneinheit erreicht wird. Mit der orthodoxen Kirche ist meines Erachtens Kircheneinheit und eucharistische Gemeinschaft früher zu erreichen als mit den kirchlichen Gemeinschaften der reformatorischen Tradition, weil mit den Kirchen des Ostens eine größere Übereinstimmung in den Grundfragen des Kirchenverständnisses im Blick auf die sakramentale Grundstruktur der Kirche sowie das Bischofs- und Priesteramt gegeben ist. Das größte Hindernis auf dem Weg zur vollen Kirchengemeinschaft zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche besteht im unterschiedlichen Verständnis des Petrusdienstes des Bischofs von Rom.
Papst Johannes Paul II. unterscheidet in seiner Enzyklika über die Eucharistie zwischen eucharistischer Gastfreundschaft und der sogenannten Interkommunion. Unter „eucharistischer Gastfreundschaft“ ist die „Spendung der Eucharistie unter besonderen Umständen und gegenüber einzelnen Personen“ zu verstehen, „die zu Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften gehören, welche nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen“. In diesem Fall läge die Zielsetzung darin, „einem schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis im Hinblick auf das ewige Heil einzelner Gläubiger zu entsprechen“. Unter Interkommunion wäre die allgemeine Einladung aller, die zur katholischen Eucharistiefeier kommen wollen, oder ganzer Gemeinden zum Kommunionempfang zu verstehen. Interkommunion bleibt – so Johannes Paul II. – unmöglich, „so lange die sichtbaren Bande der kirchlichen Gemeinschaft nicht vollständig geknüpft sind“ (Ecclesia de Eucharistia, Nr. 45). Katholische Ökumeniker haben beklagt, dass in vielen evangelischen Kirchen als ökumenisches Ziel nicht mehr die kirchliche Gemeinschaft (Communio), sondern nur die Inter-Kommunion gesehen werde und dass, wenn diese realisiert sei, alles andere so bleiben könne, wie es ist. Diese Sicht steht in einer grundlegenden Spannung zum katholischen Verständnis, bei dem es in erster Linie um die Wiederherstellung der sichtbaren Einheit der Kirche geht. „Die katholische Kirche will auf keinen Fall weniger, sondern mehr Ökumene“ (Kardinal Koch).