Regensburg/Aachen, 29. Juni 2024
Wechsel an der Spitze von Misereor: Mit einem feierlichen Gottesdienst und anschließendem Empfang ist Pirmin Spiegel nach zwölf Jahren Amtszeit als Hauptgeschäftsführer des Werks für Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet worden. Zum 1. Juli tritt Dr. Andreas Frick (60) seine Nachfolge als Vorstandsvorsitzender der katholischen Organisation an.
„Wir kämpfen dafür, dass jede und jeder einen Platz am Tisch des Lebens hat“. Ein Satz, der zu den Kernbotschaften Spiegels in seiner Zeit als Misereor-Chef gehört. Der 66-Jährige, der aus Großfischlingen in Rheinland-Pfalz stammt, als Pfarrer in der Diözese Speyer und insgesamt 15 Jahre im Nordosten Brasiliens wirkte, zeigt sich davon überzeugt, dass eine gerechtere und fairere Welt möglich ist. Eine Welt, in der jedem Menschen ein gutes und würdevolles Leben zuteil wird – und zwar ohne dass die natürlichen Grenzen des Planeten Erde dabei überschritten werden.
Ein Weg: Zufriedene Genügsamkeit
Unermüdlich setzte sich Spiegel als Misereor-Hauptgeschäftsführer dafür ein, diesem Ziel näher zu kommen. Er appellierte an Politik und Gesellschaft, den politischen Willen, Entschluss- und Tatkraft dafür aufzubringen, die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Diese seien keine Utopie, sondern machbar. „Wer über Armut spricht, darf über Reichtum nicht schweigen“, skizzierte Spiegel immer wieder, wie der Weg zu mehr Gerechtigkeit aussehen könnte. Schon kurz nach Beginn seiner Amtszeit initiierte der Misereor-Chef einen Reflexionsprozess zur Frage, wie ein anderes Leben und Wirtschaften aussehen könnte, das zukunftsfest und nachhaltig ist. „Zufriedene Genügsamkeit“ nannte er die dahinterstehende Grundhaltung, zu der komme, wer maßhalte und konsumiere, was er oder sie wirklich zu einem guten Leben braucht.
„Laudato sí“ als Leitschnur
Besonders inspiriert wurde Spiegel durch die Enzyklika „Laudato sí“ von Papst Franziskus. Die Botschaft des Papstes zur Überwindung weltweiter Armut, zu mehr Gerechtigkeit, zur Sorge um das gemeinsame Haus und zu einem anderen Umgang mit der Schöpfung sei seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2015 immer aktuell geblieben, so Spiegel. „Angesichts der vielen Krisen unserer Zeit war und ist es für mich immer wieder hilfreich, dass ‚Laudato sí‘ die soziale und ökologische Krise zusammendenkt.“ Wie stark diese ökologische Krise Menschen in existenzielle Nöte bringen kann, hat der Misereor-Hauptgeschäftsführer an vielen Orten im Globalen Süden gesehen. Beispiel Pazifik: „Der steigende Meeresspiegel verschluckt in Fidschi fruchtbares Land und bedroht Existenzen. Auch Friedhöfe werden überschwemmt und verschwinden. Die Gespräche mit Menschen, die dadurch die Gräber ihrer Ahnen verloren haben, werde ich nicht vergessen. Sie leiden, weil ihre Verstorbenen, mit denen sie eine enge Verbindung haben, leiden. Das sind Erfahrungen, die prägen und bewegen.“
Ein Dank aus Brasilien
„Aus Anlass der Amtsübergabe von Pirmin Spiegel möchten wir unsere Dankbarkeit für die Hilfe zum Ausdruck bringen, die wir von Misereor für die Sache der indigenen Völker zur Verteidigung ihres Lebens und ihrer Territorien in Brasilien immer wieder erfahren haben. In der solidarischen und geschwisterlichen Nähe Misereors kam stets eine tiefe Verbundenheit und Weggemeinschaft mit den indigenen Völkern und dem Eingeborenen Missionsrat (Cimi) zum Ausdruck“, sagte der in Brasilien lebende katholische Theologe Paulo Süss als Gast der Veranstaltung, zu der unter anderen auch der für Misereor zuständige Freiburger Erzbischof Stephan Burger, der Leiter der NRW-Staatskanzlei und Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien, Nathanael Liminski, sowie der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, gekommen waren.
Die Schwächsten als Akteure des Wandels
Spiegel warb in seinen Abschiedsworten darum, Menschen aus dem Globalen Süden weniger als Hilfsbedürftige zu sehen, sondern vor allem ihre Stärken und Potentiale in den Vordergrund zu rücken. „Selbst die ökonomisch Schwächsten der Gesellschaft haben etwas zu geben. Sie können zur Lösung der Probleme beitragen. Wir sollten nicht annehmen, dass Ärmere nicht in der Lage sind, ihr eigenes Überleben zu organisieren. Sie sind keine Hilfsobjekte. Sie sind Akteure des Wandels – alle an je ihrem Ort und gemeinsam global.“
Dr. Andreas Frick wird als künftiger Hauptgeschäftsführer von Misereor umfassende Veränderungsprozesse leiten und in einer Vielzahl von Tätigkeitsbereichen Verantwortung übernehmen. Den Alltag und das Leben von Menschen in Ländern mit hoher Armutsquote in Afrika, Asien und Lateinamerika kennt Frick aus eigener Anschauung und persönlichen Begegnungen in Bolivien, Kolumbien, Indien und Pakistan bzw. aus langjähriger Projektbegleitung mit Partnern in Burkina Faso und Ghana.
In großer weltweiter Verantwortung
Der 1964 in Aachen geborene Theologe wurde nach seinem Studium in Frankfurt und Rom im Jahr 1989 zum Priester geweiht. Nach Jahren als Kaplan in Meerbusch-Osterath wirkte Frick in Aachen als Domvikar, als Leiter der Pfarrei St. Foillan und als Leiter der Gemeinschaft der Gemeinden in Aachen-Mitte. In Eschweiler leitete er die Pfarrei St. Peter und Paul und war Leiter der Gemeinschaft der Gemeinden in Eschweiler Mitte. Frick war darüber hinaus als Direktor am Pauluskolleg in Bonn, dem früheren Theologenkonvikt des Bistums Aachen, und als Richter am kirchlichen Arbeitsgericht der nordrhein-westfälischen Bistümer tätig. Von Januar 2015 bis Dezember 2023 wirkte Frick als Generalvikar des Bistums Aachen.
„Misereor steht in großer, weltweit anerkannter Verantwortung. In die trete ich mit Freude und aller mir verfügbaren Kraft ein: Mit Ihnen allen und den Partnern weltweit werden wir diesen gemeinsamen Weg fortsetzen und die Zukunft Misereors weiter gestalten“, sagte Frick.
Text: Ralph Allgaier/Misereor
(bw)