München / Regensburg, 30. Juli 2024
Das Oberhaupt der mit Rom unierten koptisch-katholischen Kirche, Patriarch Ibrahim Sidrak, sieht eine positive Entwicklung für die Christen in Ägypten: „In den vergangenen zehn Jahren hat es echte Fortschritte gegeben“, sagte Sidrak im Gespräch mit dem katholischen Hilfswerk Kirche in Not. Aber noch ist viel zu tun.
„Im Gegensatz zu den Nachbarländern“ habe sich die Situation der Religionsfreiheit in Ägypten verbessert, sagte der Patriarch. Es gebe „viel weniger Gewaltakte“ gegen Christen als in der Vergangenheit. Neue Gotteshäuser seien notwendig, weil Gemeindemitglieder oft weite Weg auf sich nehmen müssten, um Gottesdienste zu besuchen. Manche Gläubige müssten „bis zu einem Viertel des Gehalts aufwenden, um mit dem Bus in die nächstgelegene Kirche zu fahren“.
Ein großer Fortschritt ist, dass der ägyptische Staat die christlichen Kirchen anerkennt. Die Regierung habe die Hindernisse für den Bau neuer Kirchen beseitigt, deshalb gebe es nun in vielen Diözesen Baustellen, betonte der Patriarch: „Eines der repräsentativsten Beispiele ist unsere Kathedrale in Luxor, die 2016 niedergebrannt wurde.“ Kirche in Not unterstützt den Wiederaufbau maßgeblich.
Muslimbruderschaft hat keinen Einfluss mehr
Die Lage habe sich im Vergleich mit 2012 fundamental geändert; damals waren mit Präsident Mohammed Mursi die Muslimbrüder an die Macht gekommen. „Als sie alle Hebel in der Hand hatten, war es für einen Christen sehr riskant, allein auf die Straße zu gehen. Unsere Kirchen waren ständig bedroht, und Terroristen brannten hunderte von ihnen nieder“, erklärte Sidrak. Auch heute gebe es Fanatiker und Terroristen in Ägypten, aber diese „seien kaltgestellt“.
Eine Gefahr, dass die Muslimbruderschaft wieder die Macht erlangen könnte, sieht der Patriarch nicht: „Ich glaube, als die Ägypter 2012 zur Wahl gingen, glaubten sie, dass sie der Muslimbruderschaft nie eine Chance gegeben hatten und man es nun ausprobieren müsse. Sie werden denselben Fehler nicht noch einmal begehen.“ Als aktuelle Herausforderungen für Ägypten bezeichnete Sidrak dagegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit, das Bevölkerungswachstum und die Zuwanderung aus dem Ausland: „Wir nehmen viele Einwanderer aus Ländern auf, in denen Krieg herrscht. Früher kamen sie aus Syrien, heute aus Sudan.“
Kirche in Ägypten übernimmt soziale Verantwortung
Die koptisch-katholische Kirche nehme eine sozial-karitative Verantwortung für die ägyptische Gesellschaft wahr, indem sie unter anderem Kliniken und Bildungseinrichtungen betreibe: „Es gibt 180 koptisch-katholische Schulen, die einen guten Ruf genießen.“ Viele Muslime schickten ihre Kinder auf diese Schulen, unter den Absolventen seien auch heutige Regierungsmitglieder, betonte der Patriarch. „Das trägt nicht nur zur Bildung unseres Volkes bei, sondern auch dazu, dass es trotz der religiösen Unterschiede zusammenhält.“
Der koptisch-katholischen Kirche in Ägypten gehören etwa 300.000 Gläubige an. Diese kleine Kirche betreibt eine Anzahl katholischer Schulen, die auch Muslimen offenstehen und die von ihnen sehr geschätzt werden. Die Mehrheit der Christen im Land ist koptisch-orthodox. Die Schätzungen, wie hoch der Bevölkerungsanteil der Christen in Ägypten insgesamt ist, schwanken stark zwischen sechs und bis zu 15 Millionen. Da wären etwa zwischen sechs und 14 Prozent der rund 110 Millionen Einwohner Ägyptens.
Text: Kirche in Not
(sig)