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Prof. Kreiml über Ehrfurcht, Umkehr und Wahrheit

Mutig den Glauben leben

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Regensburg, 19. November 2024

Wie kann der christliche Glaube unter dem Druck der Säkularisierung gelebt werden? Wozu befähigt ein tiefer und lebendiger Glaube? Worin besteht die Kraft, die der Glaube verleiht? Auf diese Fragen ist nicht leicht eine Antwort zu finden.

Herausforderungen in Zeiten der Säkularisierung

Bei seiner Ansprache an die Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Erfurt hat Papst Benedikt XVI. im Jahr 2011 Folgendes gesagt: „Das Notwendigste für die Ökumene ist zunächst einmal, dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind.“ Und Benedikt XVI. fährt fort: „Tiefgreifender und in unserem Land brennender ist die zweite Herausforderung an die ganze Christenheit, von der ich sprechen möchte: der Kontext der säkularisierten Welt, in dem wir heute als Christen unseren Glauben leben und bezeugen müssen. Die Abwesenheit Gottes in unserer Gesellschaft wird drückender, die Geschichte seiner Offenbarung … scheint in einer immer weiter sich entfernenden Vergangenheit angesiedelt. Muss man dem Säkularisierungsdruck nachgeben, modern werden durch Verdünnung des Glaubens? Natürlich muss der Glaube heute neu gedacht und vor allem neu gelebt werden, damit er Gegenwart wird. Aber nicht Verdünnung des Glaubens hilft, sondern nur ihn ganz zu leben. ... Dies ist eine zentrale ökumenische Aufgabe, in der wir uns gegenseitig helfen müssen: tiefer und lebendiger zu glauben. Nicht Taktiken retten uns, retten das Christentum, sondern neu gedachter und neu gelebter Glaube. … So ist auch heute der in einer säkularisierten Welt von innen her gelebte Glaube die stärkste ökumenische Kraft, die uns zueinander führt, der Einheit in dem einen Herrn entgegen“ (Ansprache Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. an die Vertreter der EKD im Kapitelsaal des Augustinerklosters, in: Apostolische Reise Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. nach Berlin, Erfurt und Freiburg 22.-25. September 2011. Predigten, Ansprachen und Grußworte, Bonn 2011, S. 74).

Was Benedikt XVI. hier im Kontext der Ökumene gesagt hat, gilt vorbehaltlos auch im innerkatholischen Glaubensleben:

  1. Wir dürfen unter dem Säkularisierungsdruck den Glauben nicht unbemerkt verlieren.
  2. Wichtig ist ein tiefer und lebendiger Glaube.
  3. Der von innen her gelebte Glaube schenkt große Kraft.

Was steht am Anfang?

Der Satz im „Faust“ Johann Wolfgang von Goethes „Im Anfang war die Tat“ liegt dem heutigen Menschen näher als die Aussage des Johannesevangeliums „Im Anfang war das Wort“ (Joh 1,1). Auch das Selbstverständnis vieler Christen ist heute weithin vom Vorrang des Handelns vor dem Bekenntnis zur Wahrheit bestimmt. Im Zug einer allgemeinen Relativierung der Wahrheit sucht man gemäß der Parole „Seid nett zueinander!“ dem Christentum einen Weg in die Zukunft zu bahnen. Das „rechte Tun, die Orthopraxie, bekommt Vorrang vor dem rechten Glauben, der Orthodoxie“ (Erzbischof Karl Braun, Verantwortung für die Wahrheit, in: ders., Aus Liebe zur Kirche, Eichstätt 1990, S. 248). Doch all unser christliches Tun hat seine Verwurzelung in der Wahrheit. Wir dürfen die von Gott geoffenbarte Wahrheit nicht relativieren oder umgehen. „Unser Handeln muss immer Handeln aus der Wahrheit sein und ist nur dann richtig, wenn es mit ihr übereinstimmt“ (ebd.).
Für manche scheint die Ausrichtung allen Tuns auf die Glaubenswahrheit keine grundlegende Notwendigkeit zu sein. Sie meinen, es genüge die Liebe, die sie mit einer alles hinnehmenden Güte und tolerantem Wohlwollen verwechseln. Eine klare Stellungnahme bezeichnen sie als lieblos. Wenn sie feststellen, dass man an der Wahrheit Anstoß nimmt, suchen sie diese zu mildern und zurechtzustutzen. Sie tun dies, ohne darauf zu achten, dass ihnen die Wahrheit des Glaubens „als ein unveräußerliches, nicht nach eigenem Ermessen und Belieben zu verteilendes Gut anvertraut ist, das sie den kommenden Generationen übergeben müssen“ (ebd.).
Der Wahrheit in Ehrfurcht begegnen

John Henry Newman hat einmal gesagt: „Der menschliche Geist steht unter der Wahrheit und nicht über ihr; er ist verpflichtet, statt großspurig über sie zu reden, ihr in Ehrfurcht zu begegnen“ (zitiert nach: Karl Braun, ebd.). Und Joseph Kardinal Ratzinger hat von der „Armut an Wahrheit als Krankheit unserer Zeit“ gesprochen. Die Glaubensnot der Gegenwart muss uns erfinderisch in der Liebe machen; sie darf uns jedoch nicht dazu verleiten, ihr Fundament, die Wahrheit, zu verlassen. „Wenn jemand mich liebt“, sagt Christus, „wird er an meinem Wort festhalten“ (Joh 14,23). Die Liebe ist das Größte und Höchste (vgl. 1 Kor 13) – aber nur dann, wenn sie aus der Wahrheit hervorgeht. Deshalb kann auch nur eine an der Glaubenswahrheit orientierte Kirche eine liebende Kirche sein.

Umkehr als Voraussetzung des Glaubens

Heute spricht man häufig davon, die christliche Botschaft müsse so ausgelegt werden, dass sie konsensfähig ist, d.h. dass sie sehr vielen oder sogar allen vernünftigen und gutwilligen Menschen die Möglichkeit eröffnet, ihr zuzustimmen. Die christliche Botschaft zielt in der Tat auf das Leben aller Menschen – und zwar auf deren ganzes und ewiges Leben. Deshalb müssen Christen alles daransetzen, dass die Botschaft Christi gehört wird und Zustimmung finden kann. „Das Ja zur christlichen Botschaft fällt dem Menschen trotzdem nicht leicht, denn es setzt seine Umkehr voraus“ (Karl Braun, ebd., S. 249). Nicht die Botschaft, sondern der Mensch muss „konsensfähig“ werden. Das Leben, das uns Gottes Wort verheißt, ist ohne Umkehr bzw. „am Kreuz vorbei“ nicht zu haben. Wollte man die christliche Botschaft dadurch konsensfähig machen, dass man sie zurechtbiegen und alles Unbequeme an ihr ausklammern würde, wäre sie zwar leichter vermittelbar, würde aber nichts wirklich Neues, sondern – wie es Paulus genannt hat – nur den „alten“ Menschen anbieten (vgl. Röm 5,12-21). Wir neigen eher dazu, die Botschaft zu ermäßigen, damit sie konsensförmig, „eingängig“ wird, als umgekehrt dazu, dass wir uns innerlich erneuern und auf die Höhe und Weite der Botschaft emporwandeln lassen. In dem Maß, in dem sich ein Mensch vom Geist Gottes aufbrechen lässt und sich bekehrt, „wird ihm auch die Wahrheit Gottes ohne Abstriche und Verkürzungen konsensfähig“ (Karl Braun, ebd.). Dann erschließt sich ihm die Größe der christlichen Botschaft; dann erfüllt ihn der Heilige Geist. Allein der Geist der Wahrheit kann das Antlitz der Erde und den „alten“, an innerweltliche Maßstäbe gebundenen Menschen erneuern.

Menschenfurcht oder der „Geist der Wahrheit“

Im politischen und wirtschaftlichen Bereich mögen Kompromisse unvermeidlich sein. Im Hinblick auf Gottes Wort und Weisung gibt es aber nur ein Entweder-Oder. Gott will keine geteilten Herzen, keine halben Christen. Wir haben den „Geist der Wahrheit“ (Joh 14,17; 15,26) empfangen, damit wir in der Sprachverwirrung unserer Zeit nicht doppelzüngig reden, sondern eindeutig für die Wahrheit eintreten und zu „Mitarbeitern für die Wahrheit“ (3 Joh 8) werden. Der Druck der öffentlichen Meinung, der heute vielen als neuer „Gott“ gilt, darf uns nicht dazu verleiten, aus Menschenfurcht die Wahrheit zu verleugnen. In unserer Zeit, in der es um die Entscheidung für oder gegen Gott geht, sind wir aufgerufen, unbeugsam an der Wahrheit festzuhalten und diese in Geduld und Liebe zu verkünden. „Dazu bedarf es nicht nur des Mutes zur Wahrheit, sondern auch eines starken Wahrheitsbewusstseins. Im Pluralismus der Meinungen, Ideologien und Weltanschauungen ist der Kirche die Wahrheit anvertraut“ (ebd., S. 250). Unter dem Beistand des Heiligen Geistes ist die Kirche „die Säule und das Fundament der Wahrheit“ (1 Tim 3,15). Der „Geist der Wahrheit“ lehrt sie alles und erinnert sie an alles, was Christus den Seinen gesagt hat (vgl. Joh 14,26). Das Zeugnis für die Wahrheit kann nur in der Gemeinschaft der Kirche, zusammen mit dem Papst und den Bischöfen als den zuverlässigen Hirten des Gottesvolkes, gelingen.

Feigheit oder Mut zur Wahrheit

Die heutige Generation muss für die Wahrheit des Glaubens Zeugnis ablegen in einer Zeit, in der man dazu neigt, alles in gleichem Maße gelten zu lassen, in der oft Schlagworte die öffentliche Meinung bestimmen, in der viele durch Halbwahrheiten andere verführen, in der man dem Anspruch der Wahrheit ausweicht und lieber in das Geschäft des Alltags, des Machbaren und des Vorläufigen flieht, in der man sich nur halbherzig zu Wort meldet, um möglichst nirgends anzuecken. „In Zukunft werden wir immer mehr die Erfahrung machen: Wer die Wahrheit vertritt, stößt wie Christus auf Anfeindung und Widerspruch. … Der Zeuge der Wahrheit muss heute für diese auch leiden“ (Karl Braun, ebd.). Für alle gilt die Mahnung des Apostels Paulus: „Schäme dich also nicht, dich zu unserem Herrn zu bekennen; … leide mit mir für das Evangelium. Gott gibt dazu die Kraft“ (2 Tim 1,8).
Dieses Zeugnis ist ein großer Dienst an der Welt, den sie heute – vielleicht mehr als wir ahnen – von den Christen erwartet. Die Not unserer Zeit ruft nach Erneuerung. Soll diese gelingen, dann nur aus dem schöpferischen Geist der Wahrheit, der das Antlitz der Erde erneuert. Ein echtes Glaubenszeugnis hat die Chance, die Welt für Gottes Geist zu öffnen.

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Leiter der Hauptabteilung Orden und Geistliche Gemeinschaften im Bistum Regensburg

(kw)



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