Regensburg, 13. Juni 2024
Was charakterisiert den Dienst der Priester? Anlässlich der Priesterweihen im Juni im befasst sich Prof. Josef Kreiml mit dieser Thematik.
Am 29. Juni 2024, dem Hochfest der Apostel Petrus und Paulus, wird Bischof Dr. Rudolf Voderholzer im Regensburger Dom drei Diakone unseres Bistums durch Handauflegung und Gebet zu Priestern weihen. Bereits am 8. Juni hat Bischof Rudolf einen aus dem Bistum Regensburg stammenden Diakon der Benediktinerabtei Schweiklberg zum Priester geweiht.
Was charakterisiert den Dienst der Priester? Das Zweite Vatikanische Konzil hat in seinem „Dekret über Dienst und Leben der Priester“ (1965) darüber Entscheidendes gesagt. Auch Joseph Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat in seinem Buch „Diener eurer Freude“ über das Leben und das Wirken der Priester in der katholischen Kirche erhellende Aussagen gemacht. Dieses Buch enthält verschiedene Predigten, so auch eine Homilie unter dem Titel „Der Dienst der Zeugen“, die der damalige Präfekt der Glaubenskongregation am dritten Sonntag der Osterzeit 1986 gehalten hat.
Christus sehen und erkennen
In dieser Predigt betont Joseph Ratzinger – ausgehend vom Wort des Johannes „Es ist der Herr“ (Joh 21,7) –, dass ein Zeuge Jesu „ihn selber gesehen haben muss, ihn kennen muss“ (Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Diener eurer Freude. Meditationen über die priesterliche Spiritualität, Freiburg 2006, S. 60). Allererste Aufgabe des Theologiestudiums ist es, Christus „sehen zu lernen“. Je mehr wir Christus „selber erkennen“, desto mehr fangen auch die Worte der Überlieferung für uns zu sprechen an. Mit den drei Stichworten „Lieben – weiden – nachfolgen“ (Joh 21,15-19) umschreibt das Evangelium das Wesen des Apostelamtes und damit auch das Wesen des priesterlichen Dienstes. Die Liebe ist die Innenseite von allem. Das „Weiden“ kann man auch als „Menschen fischen“ (Lk 5,10) beschreiben. Obwohl die Tätigkeit des Menschenfischers „kein bequemes Unterfangen“ ist, ist es doch eine wunderbare Aufgabe, Menschen auf dem Weg in die „Weite Gottes“ zu begleiten.
Nachfolge Christi als Zentrum des Hirtendienstes
Der Kern des Hirtendienstes ist die Nachfolge Christi. Nur wer selbst vorausgeht, kann andere weiden; und nur derjenige geht voraus, der Christus nachgeht. Nachfolge Jesu heißt: sich seinen Weg nicht mehr selber aussuchen, sondern sich in den Willen Christi hineingeben, d. h. einen Weg gehen gegen die Schwerkraft des Egoismus, der mit Glück verwechselt wird. Nachfolge ist ein Weg, der nur gegangen werden kann im Schwerefeld der Liebe Christi, mit dem Blick auf ihn, getragen von der Schwerkraft der Gnade (vgl. Mt 14,30-31). Zur Nachfolge Christi, die mehr ist als ein menschliches Parteiprogramm, gehört auch das Kreuz. Mit seinem Weg zu Kreuz und Auferstehung hat Christus „die ganze Berufung des Menschen ausgeschritten“ (ebd., S. 66).
Bereitschaft zur Bindung
Das Wort des Auferstandenen an Petrus in Joh 21,18 („Du wirst deine Hände ausstrecken, ein anderer wird dich binden und dich führen, wohin du nicht willst.“) ist wahrscheinlich ein Hinweis auf den Kreuzestod des Petrus. Joseph Ratzinger erinnert dabei an einen kleinen Ritus, der ihm bei seiner eigenen Priesterweihe „am Tiefsten in die Seele gedrungen ist“: Die neugeweihten Priester erhielten mit zusammengebundenen Händen den Kelch. Die Hände sind Ausdruck unserer Selbstverfügung, die gebundenen Hände Ausdruck unseres Machtverzichts. Nachfolge ist Bereitschaft zur Bindung, zur Endgültigkeit. Die gebundenen Hände sind in Wahrheit die offenen, ausgestreckten Hände.
Die Menschen zu Gott führen
Anlässlich eines Priestertreffens in der Diözese Regensburg hat Kardinal Ratzinger bei der Vorabendmesse zum Fest Johannes` des Täufers 1986 eine Predigt unter dem Titel „Ihm das Ganze zutrauen“ gehalten: Der Priester soll – so der damalige Kardinal – die Menschen zu Gott führen. Er soll aus Trägheit und Verzweiflung herausführen und dazu ermutigen, Gott als „Wirklichkeit im Leben“ anzusehen. Außerdem soll der Priester „die Rebellierenden zur Vernunft des Rechts“ bringen. Der rebellierende und nur selbermachende Mensch ist „der Unverständige, der nicht wahrnimmt, wer er ist und was die Welt ist“ (ebd., S. 44). Glaube ist das „Hinfinden zur Klugheit, zur Verständigkeit, zur Sachlichkeit, zur Wahrnehmung der ganzen Wirklichkeit“ (ebd.).
Friede mit Gott und Friede in den Familien
Johannes der Täufer (vgl. Lk 1,17) war mit einer Friedensmission beauftragt. Genauso ist jeder Priester gerufen, auf den Frieden in den Familien und zwischen den Generationen und auf den Frieden mit Gott hinzuwirken. Ein Volk kann sich von innen her selbst zerstören, indem es die Versöhnungs- und Friedensfähigkeit verliert und nicht mehr an die Kraft des Guten glaubt. Der Priester soll Bote des Friedens sein, indem er die Menschen zur Versöhnung ermutigt. Die Urzelle alles menschlichen Miteinanders ist die Familie. In ihr müssen die Grundbeziehungen des menschlichen Zusammenlebens und so auch die Fähigkeit zur Gottesbeziehung erlernt werden. Am Erhalt der Familien hängt die Friedensfähigkeit eines ganzen Volkes.
Auf das Wort Jesu vertrauen
Die Predigt „Zur priesterlichen Spiritualität“ (S. 83-109) aus dem Jahr 1983 enthält die theologischen Grundlagen, auf denen Joseph Ratzingers Meditationen basieren: Einleitend betont der Prediger, dass alle Versuche der letzten Jahrzehnte, das Priestertum als „sakrales Missverständnis“ hinter sich zu lassen und es durch bloße funktionale Dienste auf Zeit zu ersetzen, gescheitert sind. Mit Bezug auf Lk 5,1-11 und Joh 1,35-42 verweist Kardinal Ratzinger auf die innere Einheit zwischen dem Lukas- und dem Johannesevangelium: Beide Male wird das Experiment des Lebens auf das Wort Jesu hin unternommen. Dieses Wagnis auf sein Wort hin ist „immer die unerlässliche Voraussetzung“ der Berufung in den priesterlichen Dienst. Immer gilt es, das Wort Christi für wirklicher anzusehen als die Statistik, die Technik und die öffentliche Meinung.
Die Größe der Gnade begreifen
Mit Verweis auf das Wort des Petrus an Jesus „Geh weg, ich bin ein sündiger Mensch!“ (Lk 5,8) und die Aussage Gilbert Keith Chestertons „Einen Heiligen erkennt man daran, dass er weiß, dass er ein Sünder ist“ betont Joseph Ratzinger, dass zwischen dem Verblassen der Gotteserfahrung und dem Verschwinden der Erfahrung der Sünde ein enger Zusammenhang besteht. Wirkliches Verstehen beginnt mit der rechten Weise der „Furcht des Herrn“. Nur wer die wahre Furcht des Herrn gelernt hat, kann begreifen, was es heißt, „dass wir Ihn lieben dürfen und dass Er uns liebt“ (ebd., S. 91). Auch diese Erfahrung ist eine Grundvoraussetzung von Apostolat und Priestertum. Bekehrung, das erste Wort des Christentums, kann nur verkündigen, wer selbst von ihrer Notwendigkeit berührt worden ist und deshalb die Größe von Gnade begriffen hat. Auf dem Glaubensweg gibt es immer ein Mitgetragenwerden durch andere. Berufung ist kein Verfolgen der Sache Jesu auf eigene Rechnung; ihr Raum ist die ganze Kirche.
Das Auf-Gott-Geworfensein
Mit Bezug auf Psalm 16,5 („Der Herr ist mein Anteil und Becher“) verweist Kardinal Ratzinger auf die Tatsache, dass der Stamm Levi, der Stamm der Priester, bei der Landverteilung der Stämme Israels ausgenommen blieb. Der Levit blieb der Landlose und in diesem Sinn der Ungeborgene, der aus den irdischen Garantien Herausgestellte. Im Alten Testament sind Ansätze zu einer mystischen Gemeinschaft mit Gott erkennbar. Nicht vom Besitz, sondern vom Kult leben, das heißt für diesen Beter: in Gottes Nähe leben, im inneren Hingehen zu ihm seine Existenz ansiedeln. Im Hinblick auf die Einheit der Heilsgeschichte ist festzuhalten, dass zum Priestersein „von Grund auf so etwas wie die Ausgesetztheit des Leviten, das Auf-Gott-Geworfensein“ (ebd., S. 101) gehört. Ohne einen solchen Akt des Verlassens ist das Priestertum nicht möglich.
Der Sinn des Zölibats
Joseph Ratzinger versteht den Zölibat als Verlassen eines eigenen familiären Lebensraumes, durch den das grundlegende Ausgeliefertsein an Gott konkret wird. D. h. der Zölibat stellt einen Anspruch an die gesamte Weise der Lebensgestaltung. Er kann „seinen Sinn nicht erfüllen, wenn wir in allem anderen den Besitz- und Spielregeln des heute gewohnten Lebens folgen. Er kann vor allem nicht standhalten, wenn wir nicht positiv das Sich-Ansiedeln bei Gott zur Mitte unseres Lebens machen“ (ebd., S. 102). Die Psalmen 16 und 119 sind ein nachdrücklicher Hinweis auf die Notwendigkeit des beständigen betrachtenden Umgehens mit dem Gotteswort.
Die Einheit von Altem und Neuem Testament
In diesem Zusammenhang verweist Kardinal Ratzinger auf die Einheit der beiden Testamente und die Einheit ihrer grundlegenden Glaubensvollzüge. Diese Einsicht ist überaus bedeutsam, weil ein Hauptgrund für die theologisch motivierte Krise des Priesterbildes die Abtrennung des Alten Testaments vom Neuen war. Es galt für manche als ausgemacht, dass die neutestamentlichen Dienste schlechterdings nichts mit den Ämtern des Alten Testaments zu tun haben. Es erschien geradezu als die unantastbare Widerlegung der katholischen Idee des Priestertums, dass man dieses als einen Rückfall ins Alte Testament darstellen konnte. Mit dieser Interpretation schnitt man sich vom gesamten Quellstrom der biblischen Frömmigkeit ab. Zugleich wurde im Alten Testament selbst ein Gegensatz von Gesetz und Propheten konstruiert, wobei man das Gesetz mit dem Kultischen identifizierte, das Prophetische hingegen mit Kultkritik und einer reinen Ethik der Mitmenschlichkeit.
Die Radikalität des Evangeliums
Wer den priesterlichen Psalm 16 und den Psalm 119 betet, dem wird auffallen, dass die grundsätzliche Entgegenstellung von Kult und Prophetie nicht haltbar ist. Im Neuen Bund besteht das Priestertum von Christus her in der Einheit der ganzen Heilsgeschichte weiter. Mit der Wiedergewinnung des Alten Testaments ist auch die Verketzerung des Sakralen und die Mystifizierung der Profanität zu überwinden. Deshalb bedarf es des Mutes zum Sakralen, des Mutes zur Unterscheidung des Christlichen, nicht um abzugrenzen, sondern um zu verwandeln. Der Dramatiker Eugène Ionesco (1909-1994) hat mit Recht vor einer fatalen „Ungeistigkeit“ gewarnt: „Wir brauchen das Außerzeitliche, denn was ist Religion ohne das Heilige?“ Die Welt braucht – so Joseph Ratzinger – die Verwandlung, die Radikalität des Evangeliums.
Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Leiter der Hauptabteilung Orden und Geistliche Gemeinschaften im Bistum Regensburg
(kw)