Regensburg, 28. Juli 2023
„Die Liebe ist unser Antrieb. Darum sind wir auch nicht nur Mitbürger oder Genossen, sondern Schwestern und Brüder und vor allem Kinder Gottes“, sagt Dekan Alexander Huber im Interview mit der Pressestelle. Wir haben den Geistlichen in Lappersdorf besucht und sprachen mit ihm darüber, wie Neuevangelisierung gelingen kann und darüber, was nur die Kirche, nicht aber der Staat zu leisten vermag.
Warum sind Sie Priester geworden?
Diese Frage müssten Sie eigentlich dem Herrgott stellen. Aber von meiner Seite aus kann ich sagen, dass ich durch das Elternhaus, die heimatliche Pfarrgemeinde und besonders durch meinen damaligen Heimatpfarrer sehr geprägt wurde. Meine katholische Sozialisation habe ich durch ihn erhalten. Er hat sozusagen das Samenkorn meiner späteren Berufung behutsam gepflanzt. Gehegt und gepflegt wurde die Saat dann später von einem anderen Pfarrer meiner Heimat Pielenhofen. So kam ich im Jugendalter immer wieder auf den Priesterberuf und habe mich dann entschieden im Seminar in Fockenfeld mein Abitur zu machen. Dort war ja das Entscheidende die geistliche Atmosphäre, in der man mit Gleichgesinnten seiner noch jungen Berufung nachspüren konnte. Bei meinem Berufungsweg ging also vieles über priesterliche Persönlichkeiten, die mich gefördert und geprägt haben.
Was schätzen Sie am meisten nach der Corona-Pandemie?
Am meisten schätze ich die Freiheit, die wir wieder erlangt haben. Es war eine unheimliche Herausforderung, manchmal Überforderung, allen Auflagen gerecht zu werden. Jetzt aber kann das pfarrliche Leben, sei es im Gottesdienst, in Veranstaltungen der kirchlichen Vereine oder Feste wieder stattfinden und die Menschen genießen es. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass manches ein Ende oder einen Abbruch erfahren hat. Es ist wie mit dem Gleichnis vom Weinstock. Manchmal müssen dürre Zweige abgeschnitten werden, damit die gesunden Äste gestärkt werden können. Das gottesdienstliche Leben hat von der Teilnehmerzahl leider keine Stärkung erfahren, was einen Seelsorger oft frustrieren kann, auch mich. Aber ein Priester zur Mithilfe aus Kroatien, der während und nach Corona bei mir tätig war, hat mich in dieser Sichtweise „bekehrt“ indem er mir sagte, dass für die 20 Gläubigen, die beispielsweise zur Vorabendmesse kommen, diese Messe die ganze Welt bedeutet. Daher solle man genauso den Gottesdienst feiern, als ob 2.000 Gläubige da wären. Natürlich ist das auch für mich selbstverständlich, aber der Frust überdeckt manchmal die Freude am Glauben. Jedoch: Zahlen sind nicht immer das Wichtigste, sondern jeder einzelne Mensch zählt. Und Jesus hat auch nicht immer Stadien gefüllt. Im Gegenteil, im Evangelium wird ungeschönt berichtet, dass die Menschen von ihm weggegangen sind, also aus der Gemeinschaft mit ihm „ausgetreten“ sind.
Wie kann man aktuell junge Menschen für die Kirche gewinnen?
Es gilt nach wie vor der Grundsatz kirchlicher Jugendarbeit, also ein „personales Angebot“ bereitzustellen. Entscheidend sind also weniger die Anzahl und Innovativität von Veranstaltungen, als vielmehr das Vorhandensein von Vertrauenspersonen. Kinder und Jugendliche aus allen sozialen Schichten und Milieus sollen auf authentische Menschen in der Kirche treffen, die sie mit ihren Lebens- und Glaubensfragen ernstnehmen, konkrete Unterstützung bieten, sie aber auch ein Stück weit geistlich begleiten können. Gemeinschaft lässt sich in vielen Gruppen und Vereinen finden, doch Glaube und Spiritualität sind ein Mehrwert, den wir als Kirche noch stärker anbieten sollten.
Wie steht es um die Verbands- und Ministrantenarbeit im Dekanat? Welche positiven Akzente sehen Sie?
Die Verbands- und Ministrantenarbeit ist gut aufgestellt. Gerade in der heutigen Zeit, die mit den Themen Klimawandel und soziale Gerechtigkeit vor allem junge Menschen umtreibt, können wir als Kirche mit unseren Gruppen Räume und Ressourcen bieten, die Engagement unterstützen und Vernetzung ermöglichen. Die Ministranten bilden das „Rückgrat“ der kirchlichen Jugendarbeit, weil sie in der Regel in jeder noch so kleinen Gemeinde zu finden sind, auch dort, wo es keine Verbände gibt. Durch ihren liturgischen Dienst haben sie ein ganz spezielles Profil, das von den Verantwortlichen nicht hoch genug geschätzt werden kann. Gerade Corona hat gezeigt, dass auch Ministranten in einer Gemeinde keine Selbstverständlichkeit sind und echte Wertschätzung sowie kompetente Begleitung verdienen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen? Welche Rolle spielen diese in Zukunft?
Von meiner Warte aus würde ich die Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen in unserer Pfarreiengemeinschaft als gut bewerten. Natürlich wird es immer schwieriger, Leute zu finden, die sich fest auf das Ehrenamt einlassen. Eher sind es sporadische und kurzzeitige Aktionen, zu denen man bereit ist, sich einzubringen. Da geht es den Pfarreien nicht anders als weltlichen Vereinen. Wer übernimmt denn heute noch auf vier oder fünf Jahre das Amt eines Vorsitzenden? Das ist auch der Überlastung der Menschen durch Beruf und Familie geschuldet. Daher gilt es in dieser Hinsicht die Zeichen der Zeit zu erkennen und das Ehrenamt anders anzulegen, denn es wird in Zukunft im pfarrlichen Leben eine der tragenden Säulen sein. Wenn ich an die Überlegungen zur pastoralen Planung 2034 denke, dann ersehe ich aus unseren Gesprächen mit den Dekanen, aber auch aus den Wortmeldungen der Pfarreien das große Anliegen, die Kirche solle im Dorf bleiben. Leider kann nicht alles beim Alten blieben, das muss jedem klar sein. Es geht nur, wenn sich möglichst viele in ihren Pfarreien einbringen. Ich sage oft in Gesprächen, dass man bisher das Bild hatte, die Pfarrei das ist der Pfarrer und vielleicht noch seine hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Aber die Pfarrei, das seid in Wahrheit ihr, die Leute vor Ort. Eine Pfarrei kann auch eine Zeit ohne Pfarrer sein, ohne dass sie aufhört zu existieren. Aber wenn ein Pfarrer keine Leute hat, dann ist es keine Pfarrei mehr.
Welche Rolle spielt das Thema Neuevangelisierung?
Der Begriff Neuevangelisierung ist von seiner Intention her eigentlich wunderbar, jedoch von seiner Ausgestaltung schwierig zu ergreifen, da darunter sehr vieles verstanden werden kann, vielleicht zu vieles. Das Lexikon für Theologie und Kirche widmet ihm nur 12 Zeilen, was mir zeigt, dass selbst Experten ihre Schwierigkeiten damit haben. Eine wesentliche Deutungsmöglichkeit sehe ich, wenn man zur Erklärung den Begriff Reanimation, Widerbelebung hinzufügt. Es wäre wichtig, in unserer Zeit das Evangelium, die Worte Jesu, die den Menschen noch einigermaßen bekannt sind, in ihren Herzen erneut zu beleben. So muss ich als Priester bei mir anfangen und mich stets geistlich erneuern, damit ich glaubhaft Jesu Auftrag leben kann. Der Glaube pflanzt sich durch glaubwürdige und authentische Zeugen fort. Das persönliche Zeugnis wird in Zukunft wieder wichtiger werden, ohne ständig über sich selbst, sondern über Gott zu reden.
Welche Angebote machen Sie im Dekanat älteren Menschen?
Die Träger der Seniorenpastoral im Dekanat sind vor allem die einzelnen Pfarreien. Als Dekanat kann man sich untereinander austauschen und stützen. Das sehe ich als unsere Aufgabe.
Wird der Glaube noch gelebt in den Familien? Wie unterstützen Sie die Familien?
Der Glaube in den Familien ist nach wie vor da, wenn auch anders. Der große Teil unserer Kinder und Jugendlichen gehen ja noch zur Erstkommunion und Firmung und bereiten sich darauf vor. Dies ist ja eine Entscheidung der Familien. Ich glaube nicht, dass die Teilnahme daran nur aus Gewohnheit und Brauch geschieht, es ist eine bewusste Entscheidung, denn es gibt auch immer wieder Kinder und Jugendliche, die nicht daran teilnehmen wollen. Ebenso berichten mir immer wieder Kinder im Unterricht, dass sie zu Hause mit ihren Eltern beten. Natürlich gilt es, die Familien seelsorglich zu begleiten, in den einzelnen Pfarreien, wie auch übergreifend im Dekanat. Die Mitglieder der Dekanatskonferenz haben sich deswegen entschieden, eine zweite Beauftragte für Ehe und Familie zu wählen, die sich ausdrücklich um die Familienpastoral kümmern will, während der andere Beauftragte sich der Ehevorbereitungskurse annimmt.
Welchen Mehrwert hat die Kirche gegenüber dem Staat?
Der Staat ist ja in erster Linie eine Summe von Institutionen, die ein auf Recht gegründetes Zusammenleben von Menschen in einem bestimmten Territorium garantieren soll. Dass dies nicht immer klappt, zeigt uns ein Blick in die Welt. Auch die Kirche scheint ein dermaßen geordnetes Konstrukt zu sein, wobei Kirche ja über die ganze Welt und viele Staaten hin verteilt ist. Der Mehrwert liegt darin, dass wir nicht eine menschengemachte Idee oder Staatstheorie vertreten und umsetzen müssen, um zu existieren, sondern unsere Quelle des Überlebens liegt außerhalb uns selbst, nämlich in Gott, der uns so unendlich liebt, dass er uns in seine Gemeinschaft mit ihm und untereinander beruft. Die Liebe ist also unser Antrieb. Darum sind wir auch nicht nur Mitbürger oder Genossen, sondern Schwestern und Brüder und vor allem Kinder Gottes.
Das Interview führte Stefan Groß.
(SSC)