Highlights 2023: Person der Woche: Ein Gespräch mit Äbtissin Laetitia Fech
Mich hat der Herrgott erwischt
Regensburg, 3. Januar 2024
Seit 1995 wirkt Laetitia Fech als Äbtissin in der Zisterzienserinnenabtei in Waldsassen. Dort haben wir sie im Oktober 2023 besucht und uns mit ihr unter anderem über die Aufgaben des Klosterbetriebs, ihren persönlichen Weg hinein in ein Klosterleben und den Herausforderungen einer Ordensgemeinschaft in der heutigen Zeit unterhalten. Lesen Sie hier unser Interview von 2023. "Person der Woche".
„Wir sind eine kleine und gute Gemeinschaft geworden, in den letzten 28 Jahren wurden wir sehr zusammengeschweißt“, sagt M. Laetitia Fech: Das sind drei Schwestern im Alter von 80 bis 92 Jahren, vier Schwestern im Alter von 40 bis 66 Jahren, sowie zwei weitere, jüngere, die im kommenden Jahr in den Orden eintreten wollen. Das klingt auf den ersten Blick nach einer unscheinbaren Gemeinschaft. Dennoch ist die Abtei weit über die Grenzen der Region bekannt und beliebt.
Insgesamt 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Mutter M. Laetitia Fech und dem Konvent anvertraut. Sie arbeiten in der Mädchenrealschule, im Klosterladen, dem Kultur- und Begegnungszentrum mit dem Schwerpunkt Musik und einer eigenen Umweltstation, das Gästehaus St. Joseph sowie einem Bereich im Kloster für Menschen mit Handicap, die in 14 Appartements leben und von der Katholischen Jugendfürsorge betrieben wird. Das Kloster ist ein beliebter Arbeitgeber in der nördlichen Oberpfalz, betont die Äbtissin. „Wir sind ein mittelständischer Betrieb. Das ist eine große Herausforderung für uns alle“, hebt sie hervor.
Gebäude nachhaltig und zukunftsweisend mit Leben füllen
Seit 1995 wirkt Laetita Fech als 4. Äbtissin des Frauenklosters der Abtei Waldsassen. Seitdem hat sie viel bewegt. Zu Beginn ihrer Amtszeit gab es als Tätigkeitsbereiche die Bibliothek und die Schule. 1998 wurde die Stiftung Kultur- und Begegnungszentrum gegründet, mit den Schwerpunkten Spiritualität, Musik, Kultur und Bewahrung der Schöpfung/Nachhaltiger Lebensstil in unserer Umweltstation, so die Ordensfrau. Grenzübergreifende Aktivitäten gibt es hier immer wieder, denn nur fünf Kilometer entfernt, beginnt die Tschechische Republik, früher trennte hier der Eiserne Vorhang Bayern und Böhmen, heute gibt es gute Kooperationen. 2008 konnte dann das Gästehaus eröffnet werden. Ein Herzensanliegen der Äbtissin, weil „wir nach der Regel des Hl. Benedikt leben und Christus in jedem Gast persönlich dienen wollen “. Weiter mit der KJF und dem Bezirk der Oberpfalz - Arbeit für Menschen mit Handycap. Davor herrschte in den Gebäudetrakten zwischen 40 Jahre und 50 Jahre Leerstand: „Allein, wenn man diese Zahlen betrachtet, kann man erahnen, wieviel Arbeit dahintersteckt. Dazu waren Machbarkeitsstudien mit Regierung und Universitäten notwendig, um die Gebäude überzeugend, nachhaltig, zukunftsweisend mit Leben und Inhalt zu füllen“, erklärt Äbtissin M.Laetitia.
Eine steinerne Brücke führt im Klostergelände über den Fluss Wondreb.
Gott will mich an diesem Ort haben
Aber zurück: 1957 in München als Agathe Fech geboren, trat die heutige Äbtissin 1977 in die Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal in Baden-Baden ein. „Eigentlich hatte ich nie vor ins Kloster zu gehen. „Mich hat der Herrgott erwischt“. Ich besuchte eine alte Schulfreundin im Kloster Lichtenthal, mich interessierten dort die Kunstwerkstätten mit Weberei, Grafik, Stickerei, Goldschmiede, denn ich bin ja auch später im Kunstbereich tätig gewesen als Hauswirtschaftsmeisterin, als Stickerin mit Meisterprüfung und kurze Zeit als Hauswirtschaftslehrerin. Von einem Augenblick auf den anderen habe ich gewusst, dass das mein Weg ist. In meinem Herzen habe ich gespürt, „Gott will mich an diesem Orden in Baden-Baden Lichtenthal haben“, so die Ordensfrau rückblickend. Nach Waldsassen zu gehen, folgte dem Aufruf innerhalb der Kongregation, auf die Nachfrage hin, ob junge Schwestern bereit wären, dort zu helfen, da der Altersdurchschnitt hier sehr hoch war. Die damalige Altäbtissin Mutter Columba von Seligenthal führte sie durch den Klosterkomplex und auch durch den Kreuzgang: „Dieser Kreuzgang hat mich gefangen. Von einem auf den anderen Augenblick war in meinem Herzen: ‚Du musst hier her gehen‘. Bis heute kann ich das nicht rational erklären. Das war einfach im Herzen da. Am 3. Oktober 1995 bin ich von der Gemeinschaft zur 4. Äbtissin der Abtei Waldsassen gewählt worden und war mit diesem Amt mit 38 Jahren kurze Zeit die jüngste Äbtissin im Orden“.
Wenn nichts mehr geht, dann hilft mir der heilige Joseph
Dann hieß es „die Ärmel hochkrempeln und anpacken“. Der Ostflügel war einsturzgefährdet, 13 Zentimeter breite Risse klafften in Wänden und Decken. Vom Innenhof aus wurde der Gebäudeteil mit Baumstämmen abgestützt, Internat, Schule und Konvent mussten innerhalb von kurzer Zeit ausziehen. Mt. M. Laetita begibt sich nach München und startet einen Hilferuf zur Generalsanierung und findet Gehör bei der Bayerischen Staatsregierung. Zehn weitere Förderer kann sie gewinnen. Monika Hohlmeier wird eine wichtige Ansprechpartnerin, sie hilft ihr vor allem im ersten Bauabschnitt, die Türen zur Politik zu öffnen und ist seit 1996 Vorsitzende des Klosterfreundeskreises! Noch heute verbindet beide Frauen eine Freundschaft, die schon seit fast 3 Jahrzehnten hält. Die Äbtissin, einst in Kunst und Handwerk tätig, findet Gefallen am Aufbau von Netzwerken, begeistert Menschen für ihre Sache und rettet somit das alte Kloster. „So viele Menschen waren daran beteiligt und der Herrgott gibt dann am Schluss seinen Segen, weil ohne ihn geht gar nichts!“, erzählt die Ordensfrau rückblickend und verweist schmunzelnd auf ihren persönlichen Finanzdirektor: „Das ist der heilige Joseph. Nach der Dachsanierung hat mir ein Handwerker aus einem alten Restbalken des Daches einen Hl. Joseph geschnitzt. Ihm vertraue ich jeden Bauantrag, jede Sorge an und schiebe ihm dies unter die Füße. Wenn ich am Ende bin, dann muss er helfen. Und er hat mich noch nie im Stich gelassen!“
Das Naturerlebniszentrum mit Umweltgarten ist ein fester Bestandteil der Angebote des Klosters.
Wenn aus dem Gebet die Arbeit genährt und getragen wird
So wird die Sanierung des Klosters vorangetrieben, wächst gleichzeitig immer mehr in den verschiedenen Angebots- und Bildungssparten und etabliert sich weit über die Grenzen der Oberpfalz hinaus. Das Kloster als Zisterziensische Glaubensgemeinschaft einerseits und als Wirtschaftsbetrieb andererseits – ein Widerspruch? Nein, sagt die Äbtissin, die über allem, was in und um die Abtei geschieht, den Überblick bewahren muss: „Wir Zisterzienserinnen leben nach der Benediktusregel. Dort heißt es ‚Ora et Labora‘ Das wichtigste Wort ist das ‚et‘, im ‚labora‘ steckt bereits das ‚ora‘. Ich denke, wir arbeiten anders als Menschen in der Welt. Wir haben eine ganz klare Zielrichtung auf Gott und Christus hin. Wir arbeiten nicht weniger als die Menschen in der Welt. Aber wir arbeiten anders. Wir haben in unserem Leben eine Balance, weil wir uns fünfmal am Tag zum gemeinsamen Gebet treffen. Gebet, Meditation, geistliche Lesung und Anbetung. Das ist ein geregeltes Maß an Gebet, in das hinein dann die Arbeit fließt. Der äußere Rahmen ist immer das Gebet und daraus wird die Arbeit genährt und getragen – und nur so funktioniert es. Es geht bei uns um die ‚discretio‘, was der heilige Benedikt in seiner Regel immer wieder umschrieben hat: das ‚Maß‘. Ich glaube, dass das Geheimnis unserer Lebensform die maßvolle Lebensform ist, die den Menschen besonders in der heutigen Zeit viel sagen könnte, weil unsere heutige Zeit, ziemlich maßlos geworden sind. Wir müssen alles sofort und gleich haben. Die Balance im Alltag macht den Menschen glücklich, nicht die Fülle von Materiellem. Von daher kommt bei uns das Gebet nicht zu kurz, denn es ist unser Höchstes. Wenn Chorgebet ist, stehe ich auch von der Baukommission auf und gehe. Für andere Menschen ist das natürlich viel schwieriger in der Welt. Aber als Ordensfrau kann ich das. Das ist der Rahmen, der mich trägt – sonst ging es auch nicht“.
Das Kloster ist eine feste Institution für verschiedene Veranstaltungen. Hier beim Schöpfungstag im September 2023 (die Äbtissin mit Dr. Hildegard Gosebrink).
Junge Menschen suchen das Miteinander
Den Weg einer geistlichen Berufung gehen zu wollen, ist in der heutigen Zeit ein schwieriger, stellt Äbtissin Laetitia Fech fest. Egal, ob sich Menschen für das Priestertum oder für ein Leben im Kloster entscheiden, finden sie in der Welt keine oder kaum noch Unterstützung. Da müsse man innerlich sehr stark sein. Anfang des 20. Jahrhunderts seien die Menschen in Scharen ins Kloster gegangen, erklärt die Äbtissin, denn früher gab es in den Familien sechs, sieben, sogar zehn Kinder und die seien religiös erzogen worden. Heute ist die Geburtenrate wesentlich niedriger und die christliche Sozialisation fehle. „Und was es natürlich konkret heißt, im Kloster zu leben, weiß man erst, wenn man es konkret lebt. Auch in der Ehe ist es ähnlich. Die Tendenz der heutigen Zeit ist leider oft so, dass junge Menschen Gemeinschaftsleben suchen, ein Miteinander zu leben, auch attraktiv ist. Oft wird jedoch dieser Kurs missverstanden. Es ist „kein Kuschelleben“. Gemeinschaft ist auch fordernd und es ist immer ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir unsere Berufung, ob in der Ehe, als Priester oder als Ordensleute, mit ganzem Herzen leben. Leider geben heute viele zu schnell auf, wenn etwas nicht gleich so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe. Doch, wenn ich Krisen durchtrage, dann reife und wachse ich, nicht wenn ich weglaufe“, so die Äbtissin.
Meditative Stimmung in einem Bereich des Klostergartens.
Gehorsam heißt, aufeinander hören
Insbesondere in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren der Ruf nach einer Reform innerhalb der Kirche laut. Aber kann man den katholischen Glauben überhaupt reformieren? Und was bedeutet das für ein geregeltes Leben im Kloster? Äbtissin M. Laetitia Fech erklärt dazu, dass man, um lebendig bleiben zu können, immer wieder gut in sich hineinhören müsse und stellt dazu die Fragen in den Raum: Was ist Tradition? Was hat sich verfestigt, was ist erstarrt? Und wie muss ich leben, um lebendig zu bleiben? „Diese Frage stellt sich jedem Menschen, nicht nur uns Ordensleuten. Mir als Leitungsperson ist es wichtig, ‚Glut weiterzutragen und nicht Asche‘. Mitmenschen merken sehr wohl, ob wir begeistert sind und ob ein Feuer in uns brennt. Dazu ist es wichtig, immer wieder die richtige Balance zu finden. Es gibt Werte und ein Regelwerk in unserem Ordensleben, speziell die Ordensregel, die sich einfach bewährt hat, die überliefert ist und auf die wir auch unsere Gelübde ablegen. Meine, bzw. unsere Aufgabe ist es, die Benediktsregel immer wieder zu interpretieren und ins Heute zu übersetzen - in die Sprache der heutigen Welt. Das ist eine Herausforderung. Dieses Regelwerk ist knapp 1.500 Jahre alt und hat vielen Menschen Wegweisung gegeben. In ihrer großen Weisheit, lässt mich diese Regel auch heute noch individuell meinen Lebensweg finden. Wir leben als Gemeinschaft, doch es ist auch wichtig, dass jede einzelne Mitschwester in der Gemeinschaft ihr inneres, persönliches Glück findet. Wir haben zum Beispiel die Tagesordnung neu strukturiert, als jüngere Schwestern zu uns kamen. Sie müssen erst hineinwachsen in die geregelten Strukturen, sollen auch gesund bleiben und haben das Bedürfnis sich zu bewegen, Sport zu treiben, das haben wir integriert. Auch beim sozialen Umgang untereinander, da haben sich die Ansichten geändert. Die jungen Leute bringen Manches mit aus der Welt hinein ins Kloster und lassen nicht alles ‚vor der Pforte stehen‘, manches müssen sie loslassen, aber nicht alles… es gehört heute Anderes zum Selbstverständnis junger Menschen, als vor mehr als 45 Jahren, wo ich ins Kloster ging oder noch früher! Darum… Gehorsam heißt aufeinander hören. Das lateinische Wort ‚oboedire‘ heißt gut, genau hinhören, mit dem Herzen hören. Gehorsam heißt also nicht ein Befehl von oben nach unten, sondern der Obere hört genauso auf die Mitschwestern und die Mitschwestern hören auf den Oberen. Und wir versuchen gemeinsam den Weg Gottes mit uns ‚im Heute‘ zu entdecken. Auch das unmoderne Wort ‚Demut‘, im Lateinischen ‚Humilitas‘, hat eine wichtige Bedeutung und meint, dass ich Bodenhaftung haben sollte . ‚Humus‘ ist Erde, ich bin mit der Erde verwurzelt. Ich bin Geschöpf und nicht Schöpfer. Mein Ego ist nicht das Höchste. Ich habe Achtung vor dem Anderen. Ich muss nicht im Luxus leben, um glücklich zu sein. Es geht nicht nur um meine eigenen Bedürfnisse, sondern um die Unterscheidungsfähigkeit, die ‚discretio‘ zwischen Notwendigem und Verzichtbarem. Das ist die Balance, unterscheiden zu lernen im Heiligen Geist. Kann ich unterscheiden, was wichtig und was unwichtig ist, dann kann ich auch entscheiden“, so Äbtissin Laetitia Fech abschließend.
Das Gespräch führte Jakob Schötz, Fotos: Jakob Schötz