Goethes Begeisterung für kunstvolle Krippen im heiteren Süden - Im Bayerischen Nationalmuseum ist zu sehen, wie Glaube und Hochkultur eine Einheit bilden
Zwölf Meter in die räumliche Tiefe gebaut und am Horizont erhellt von heiterstem Himmelblau ist die neapolitanische Krippe in der Krippenabteilung des Bayerischen Nationalmuseums München. Sie absorbiert die Aufmerksamkeit einer Regensburger Besuchergruppe. Kein Wunder, ist sie doch eine lebhafte Verwirklichung dessen, was Johann Wolfgang von Goethe während seines zweiten Neapelaufenthalts 1787 als sehr bewegend empfunden haben muss, hat doch gerade dieser Blick Niederschlag in den Beschreibungen des Dichterfürsten gefunden. In den späteren Aufzeichnungen seiner "Italienischen Reise", die Goethe von 1786 bis 1788 unternommen hatte, um Inspiration zu gewinnen und um Form und Ästhetik im Süden zu studieren, stellt er über neapolitanische Krippen auf Häuserdächern fest: "Diese Darstellung ist in dem heitern Neapel bis auf die flachen Hausdächer gestiegen; dort wird ein leichtes, hüttenartiges Gerüste erbaut, mit immergrünen Bäumen und Sträuchern aufgeschmückt. Die Mutter Gottes, das Kind und die sämtlichen Umstehenden und Umschwebenden, kostbar ausgeputzt, auf welche Garderobe das Haus große Summen verwendet. Was aber das Ganze unnachahmlich verherrlicht, ist der Hintergrund, welcher den Vesuv mit seinen Umgebungen einfasst."
Die Krippe im Münchner Museum greift diese wortgewordene Begeisterung Goethes auf und aktualisiert sie für den heutigen Betrachter. Dabei stammen die Figuren von verschiedenen Meistern aus der Mitte des 18. bis ins frühe 19. Jahrhundert. Im Laufe des Jahres 1901, kurz nach Eröffnung dieser Abteilung im Bayerischen Nationalmuseum, wurde dieses herausragende Beispiel kultureller Verdichtung mit eingebautem Goethe-Bezug aufgestellt. Die "Kulissen" (in der Fachterminologie: Bauten) gehen größtenteils auf den Münchner Krippensammler Max Schmederer (1854-1917) zurück. Die Szenerie hat Wilhelm Döderlein, der sich um die Beseitigung von Kriegsschäden verdient machte, 1959 eingerichtet. Das Prachtstück in München nun zeigt nicht nur, wie nahe sich Glaubensausdruck und Hochkultur sind, sondern wie sie eins werden. Auch auf diese Weise wird ersichtlich, wie aktuell und lebendig die Botschaft der Krippen ist.
Es waren Bischof Dr. Rudolf Voderholzer und seine Mitarbeiter, die am Donnerstag die Krippenabteilung des Bayerischen Nationalmuseums in München besuchten. Dabei wurde eine erhebliche Zeit der beschriebenen neapolitanischen Krippe gewidmet. Mitgekommen für den Museumsaufenthalt waren u.a. Generalvikar Michael Fuchs, Domkapitular Thomas Pinzer, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Ordinariat, Dr. Maria Baumann, Leiterin der Kunstsammlungen des Bistums Regensburg, sowie Domvikar Dr. Werner Schrüfer, Leiter der Abteilung Liturgie, Kirchenmusik und Kunst in der Hauptabteilung Seelsorge. Sebastian Westermeier aus Miesbach erläuterte den Besuchern aus Regensburg maßgebliche Aspekte der Abteilung sowie der ausgestellten Stücke. Der Sachverständige war mehrere Jahre lang für das Bayerische Nationalmuseum tätig. Bischof Voderholzer dankte Herrn Westermeier dafür, dass er bei seinen Ausführungen den historischen und musealen Aspekt deutlich überschritten habe. Die Botschaft der Krippen sei etwas sehr Lebendiges. „Es gibt genug Tendenzen, das Kirchenjahr zu überlagern oder in Vergessenheit zu drängen“, sagte der Bischof von Regensburg. Dagegen verkünden Krippen jeweils aktuell die christliche Botschaft, wie nicht zuletzt an ihrem Verwobensein in die Kultur hinein zu erkennen ist.
Im Bayerischen Nationalmuseum gibt es Weihnachtskrippen, aber auch zahlreiche Jahreskrippen. Einen großen Teil dort machen Krippen aus, die zur alpenländischen Tradition des Krippenbaus gehören. Diese spiegeln den geschichtlichen Zusammenhang wider, wonach Krippen im Zuge rationalistischer Tendenzen aus den Kirchen genommen werden mussten. Das war ein Grund für die Blüte des Typs von Krippen, die in Privathaushalten aufgestellt wurden. München war ein Zentrum dieses Krippenbaus. Der maßgebliche zweite Teil der Abteilung zeigt die neapolitanischen Krippen. Die beschriebene Krippe mit Goethe-Bezug darf als eines der Herzstücke der neapolitanischen Unterabteilung gelten.
Die Krippenabteilung im Bayerischen Nationalmuseum geht zu großen Teilen auf Bestände des Münchner Sammlers Max Schmederer zurück. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs hat sich Wilhelm Döderlein der Krippen in der Abteilung angenommen. Auf Döderlein geht auch die Szenerie der Krippe zurück, die Goethes Sicht wiedergibt. Zusätzliches besonderes Detail hierbei: Unterschiedlich große Figuren verstärken vor dem Szenenbild die Illusion räumlicher Tiefe. Somit lassen "abfallende Figuren", südlich-heitere Bläue, zwölf Meter Raumestiefe und der imaginierte prominente Goethe-Blick ein Ensemble entstehen, das Seinesgleichen sucht. Wovon sich die Besucher am vergangenen Donnerstag überzeugen konnten.