„Gehen wir mit Jesus, dem Zeugen der Wahrheit Gottes“
(pdr) Bischof Gerhard Ludwig Müller hat am Nachmittag des Karfreitag in Anwesenheit des Apostolischen Nuntius Erzbischof Dr. Jean-Claude Périsset die Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu Christi im vollbesetzten Hohen Dom St. Peter in Regensburg gefeiert. Die Regensburger Domspatzen sangen unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner Vittorias berühmtes „Popule meus“, Mozarts „Ave verum Corpus“ sowie weitere kirchliche Gesänge. Im folgenden die Predigt von Bischof Gerhard Ludwig Müller, in der vor allem auf Jesus Christus als Zeuge der Wahrheit eingeht:
Liebe Schwestern und Brüder!
Jesus steht vor Pilatus. Der rühmt sich der Macht, ihn kreuzigen oder freilassen zu können. Der Vertreter unbeschränkter Macht auf Erden fragt den wehrlosen Herrn der Welt, seinen eigenen Schöpfer: Bist du ein König? Und Jesus, der Willkür seines irdischen Richters ausgeliefert, antwortet: „Du sagst es. Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37).
Welch eine Szene! Das dramatischste Ereignis der ganzen Menschheitsgeschichte. Pilatus contra Jesus. Menschenmacht gegen Gottesherrschaft. Das Geschöpf zieht seinen Gott und Schöpfer, dem er alles Leben, Atem und Hoffen verdankt, vor das Tribunal menschlich gemachter politischer und rechtlicher Ordnungssysteme. Positivistische Menschensatzungen gelten mehr als die Entscheidungen des Gewissens, das sich an Gottes Recht und Wahrheit ausrichtet. Pure Macht ohne Gerechtigkeit will Unterwerfung erzwingen gegen eine Gerechtigkeit, die sich an der Wahrheit des Seins orientiert, das seinen Ursprung hat in Gottes Weisheit und Liebe. In Pilatus und Jesus stehen sich letztlich der Zynismus der Gewalt und die Macht der Liebe gegenüber.
Was sind die Stützen der Gewaltherrschaften von dieser Welt? – Die Herrscher unterdrücken ihre Völker. Man korrumpiert das Volk durch Desinformation und appelliert an die niedrigsten Instinkte. So macht man aus dem populus den Pöbel, der den Schuldlosen verspottet und für ihn die Todesstrafe fordert – physisch oder moralisch. Kampagnen sind Feldzüge in totalitären Machtsystemen, auch wenn sie sich mit den Symbolen der Demokratie tarnen, spielen sich die Instanzen wechselseitig die Bälle zu. Die Hohenpriester und Schriftgelehrten entfachen eine Kampagne gegen Jesus. Der aufgehetzte Pöbel ist empört und skandiert besinnungslos: „Kreuzige ihn!“ Und so liefert man das Wort Gottes, das Fleisch geworden ist, Jesus, an die Fremdherrschaft aus, die zynisch fragt: „Bin ich denn ein Jude?“ (Joh 18,35). Pilatus überweist Jesus an Herodes und der schickt ihn wieder an Pilatus zurück. So werden Lumpen zu Kumpanen, die sich ihrer gemeinsamen Schandtat erfreuen. Das Gewissen wird beruhigt, weil der Justizmord doch auch sein Gutes hat. Denn was ist besser als die eigene Herrschaft zu sichern? Lieber ein Unschuldiger stirbt für das Volk als dass das ganze Volk seiner Lehre folgt und Gott mehr gehorcht als uns, sagen sie sich. – Wo kämen wir denn hin, wenn die Gewissen der Menschen sich nach Gottes Gebot richten würden? Dann müssten Politiker sich ja am Gemeinwohl ausrichten, die Richter an der Gerechtigkeit, die Wirtschaftsmanager am gerechten Lohn, die Mediengewaltigen an den Tatsachen und die Wissenschaftler an der Wahrheit.
Jesus aber gibt Zeugnis von der Wahrheit, die frei macht und zur Erkenntnis Gottes führt, zur Erkenntnis der Würde des Menschen auf dem Weg der Berufung zur Herrlichkeit und Freiheit der Kinder Gottes.
Der Thron seines Reiches, das nicht von Menschenhand gebaut und nicht aus Menschengeist geplant ist, hat ganz andere Stützen. Gottes Thron und Königsherrschaft sind auf Liebe aufgebaut. Er kann die zum Pöbel verkommenen Massen wieder zu einem Volk machen: zum Volk Gottes, in dem wir alle Glieder des einen Leibes Christi sind. Der glaubende und liebende Mensch schreit und lärmt nicht mit Mahnwachen und dummdreisten Transparenten, sondern wacht mit Christus, dankt Gott und erweist dem Nächsten die Liebe, mit der Christus uns geliebt hat.
Der König der Wahrheit vor dem Gericht missbrauchter weltlicher und medialer Macht sagt uns, dass es Macht gibt: Ja, ich bin ein König! Aber Macht auf dem Boden der Wahrheit und Gerechtigkeit. – Macht ohne Recht aber pervertiert zur menschenverachtenden Gewalt. Eine Justiz, die nach dem Beifall der Presse schielt, verliert ihr Maß an der justitia, der Gerechtigkeit. Die Medien globaler Kommunikation missraten nur dann nicht zu Instrumenten der Manipulation, wenn sie sich mit dem Ethos der Wahrhaftigkeit selber disziplinieren. Sonst untergraben sie die Demokratie, die auf Menschenrechten und auf den alle Menschen im Gewissen verbindenden moralischen Werten aufgebaut ist.
Auch heute steht Christus leiblich in der Gestalt seiner Kirche vor dem Pilatus der schieren Macht ohne Wahrheitsethos. Es ist die Weisheit der Welt, die uns Respekt vor den Herrschern dieser Welt einflößen will. Wisst ihr Christen denn nicht, dass ihr vor der Säkularisierung keine Chance habt? Wenn ihr überleben wollt, dann passt euch an! Alles, was anstößig ist in euren Glaubenslehren und Moralgrundsätzen, werft als Ballast über Bord! Gebt den Wahrheitsanspruch Christi auf! Fügt euch ein wie eine schöne Blume in den bunten Strauß der Religionen und Weltdeutungen. Wenn ihr nicht mehr von der verbindlichen Wahrheit Gottes sondern nur von der je meinigen Wahrheit sprecht, dann dürft ihr im Orchester pluralistischer Meinungen mitspielen, für das absolut und ausschließlich die Partitur des Relativismus auf den Notenpulten ausgelegt ist! Der Papst und die Bischöfe, die von der alleinigen Wahrheit des einen Gottes und Vaters aller Menschen sprechen, die an Jesus als dem einzigen Weg zu Gott festhalten, die sich zu Jesus als der Wahrheit Gottes in Person bekennen und die katholische Kirche mit ihrem Glaubensbekenntnis und ihren sakramentalen Heilsmitteln als die reale Vermittlerin aller Menschen zu Gott verstehen, schaden durch ihre Intoleranz doch nur der Kirche selbst. Ihnen muss man um des Friedens der Religionen und der ganzen Welt willen zurufen: Bekehrt euch von eurem fundamentalistischen Wahrheitsbegriff! Steigt mit Christus vom Thron des Kreuzes herab, dann könnt ihr glauben, was ihr wollt! Denn Gottes Wahrheit kann doch nicht den Frieden bringen. Den müssen wir schon selbst in die Hand nehmen!
Pilatus gegen Jesus – Jesus vor dem Blutgericht des Herrschers dieser Welt! Wem soll ich glauben? Der Macht der Welt oder der Wahrheit Gottes? – Mit wem sollen wir gehen? Mit Jesus zum Kreuz oder mit Pilatus in die Gewissenlosigkeit, ins ungerechte Urteil, in Verbrechen und Sünde?
Es ist aber in allen Verfolgungen der Kirche bewährte Erfahrung: Alle Reiche dieser Welt sind dem Gesetz des Todes und des Zerfalls unterworfen. Alle, die sich zu gottgleichen Herrschern erklärt haben, sind inzwischen von den Würmern zerfressen. Jeder Lebensentwurf ohne Gott ist zum Scheitern verurteilt!
Gehen wir mit Jesus, dem Zeugen der Wahrheit Gottes! „Wer mir nachfolgt, geht nicht in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Allein Gottes Königsherrschaft korrumpiert nicht das Gewissen und entmündigt die Menschen nicht. Gottes Wort macht den Verstand klar und hell und richtet das Gewissen auf das Tun des Guten aus. Jesus ist König, weil er von der Wahrheit Zeugnis ablegt. Die Macht der Wahrheit ist die Liebe. In ihm ist das Leben, das den Tod besiegt hat. Er ist das Licht der Welt, das uns zur wahren Erkenntnis Gottes führt.
Auf dem Weg vom Karfreitag zum Ostermorgen mit seinem Jubel über den Sieg der Gottesherrschaft über alle Macht und Weisheit dieser Welt erinnern wir uns an die Worte des heiligen Paulus für seinen Nachfolger im bischöflichen Apostelamt: „Ich gebiete dir bei Gott, von dem alles Leben kommt und bei Christus Jesus, der von Pontius Pilatus das gute Bekenntnis abgelegt hat und als Zeuge dafür eingetreten ist: Erfülle deinen Auftrag rein und ohne Tadel, bis zum Erscheinen unseres Herrn Jesus Christus, das zur vorbestimmten Zeit herbeiführen wird, der selige und einzige Herrscher, der König der Könige und Herr der Herren, der allein Unsterblichkeit besitzt“ (1Tim 6,13-16).