Frank-Walter Steinmeier: „Die Kirche ist notwendig als Vorbild für den Glauben an der europäischen Idee“ - DOMFORUM 2011 in der Regensburger Kathedrale St. Peter
Bereits zum achten Mal lud Bischof Gerhard Ludwig Müller zum „DOMFORUM“ in die Regensburger Kathedrale. Mehr als 700 Besucher waren daher am Donnerstagabend in den Dom gekommen, um den diesjährigen Gast zu hören: Frank-Walter Steinmeier, Fraktionsvorsitzender der SPD war der Einladung des Oberhirten gefolgt und sprach zum Thema: „An Europa glauben“
Bischof Müller bedankte sich bei Frank-Walter Steinmeier für seine Zusage, beim DOMFORUM über das Thema Europa zu referieren und betonte in diesem Zusammenhang, dass der europäische Gedanke auch stets mit Geist und Kultur zu tun habe. Daher sei der Regensburger Dom ein angemessener Ort, um über die Prägung Europas durch den christlichen Glauben zu sprechen: „Den europäischen Gedanken zu leben heißt auch Respekt vor jeder einzelnen Person zu zeigen und diesen in der Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen“. Im Zusammenhang der Spende einer Niere von Frank-Walter Steinmeier an seine erkrankte Gattin im vergangenen Jahr hob der Oberhirte hervor: „Damit haben Sie die christliche Nächstenliebe konkret umgesetzt, ich möchte Ihnen dafür meinen Dank und tiefen Respekt aussprechen!“
Frank Walter Steinmeier stellte in seinem Vortrag fest, dass die letzten Monate nicht spurlos an Europa vorübergegangen seien. Wirtschafts- und Finanzkrise, wachsende Euroskepsis unter den Bürgern, die Erfolge rechtspopulistischer Parteien, der zunehmende Egoismus der Mitgliedsstaaten – dies alles habe den Europa-Glauben, und Europa-Optimismus vieler Menschen heftig erschüttert. Derzeit erlebe man gerade drei gleichzeitige, sich gegenseitig bedingende Prozesse, die unsere herkömmliche Europa-Routine in Frage stellten: das Versagen der EU im Management der „Eurokrise“ die wachsende Infragestellung des Eurozentrismus durch globale Entwicklungen und die zunehmende Europaskepsis in der europäischen Bevölkerung: „Ich will dafür plädieren, dass die Kirchen in dieser Anstrengung eine zentrale Rolle als Gesprächspartner und sogar als Vorbild spielen können“, hob der SPD-Fraktionsvorsitzende hervor. Der aktuelle Ego-Trip vieler Mitgliedsstaaten lasse nichts Gutes hoffen, und erschüttere vor diesem globalen Hintergrund den Glauben an die Zukunftsfähigkeit des europäischen Projekts zusätzlich. Eine neue Europaskepsis, eine Europamüdigkeit unter den Bürgern, die sich breit mache, erscheine deshalb nicht verwunderlich.
Für die Gründerväter Europas und noch ihre Kinder seien die Kriegserfahrungen so prägend gewesen, dass sie über die Notwendigkeit der europäischen Aussöhnung gar nicht lange diskutieren mussten. Der Friede mit unseren Nachbarn sei so sehr zur selbstverständlichen Normalität geworden, dass viele, gerade junge Menschen sich eine andere Wirklichkeit gar nicht mehr vorstellen könnten: „Und doch treibt die Menschen heute um, dass sie ihren Lebensstandard verlieren könnten. Doch vor dem Hintergrund der Zerstrittenheit der EU in der Krise, vor dem Hintergrund der nationalen Eifersüchteleien kann man es den Bürgern noch nicht einmal verdenken, wenn sie das Vertrauen, wenn sie ihren Glauben an Europa verlieren. Und der Glaube an etwas ist immer einfacher, wenn man ihn in einer Gemeinschaft leben kann, wenn man umgeben ist von Gleichgesinnten. Wir brauchen einen neuen gesamtgesellschaftlichen Konsens, wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung, um unseren Glauben an das europäische Projekt wieder zu finden. Und um diesen Glauben mit neuem Leben zu füllen.“
„Können, dürfen, sollen wir an Europa glauben? Am Ende gar ebenso, wie wir an Gott glauben?“ fragte Steinmeier: „Das kann ja sicherlich nicht gewollt und gemeint sein. Und doch trifft der Akt des „Glaubens“ in einiger Hinsicht auch auf unser, auf mein Engagement für die europäische Sache zu. Sie alle kennen die schöne Definition aus dem Hebräerbrief: Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Für uns Christen sei unser Glaube nichts, für das man sich aktiv entscheide, oder zu dem ein Politiker sogar aufrufen könne. Unser Glaube werde uns geschenkt, jeder müsse ihn nur noch annehmen. Glaube bewirke immer etwas. Er ziehe zwangsweise eine Handlung nach sich. Der Glaube der Gründerväter an die europäische Einigung habe dies gezeigt. Unser erneuerter Glaube an Europa müsse in der Zuversicht wurzeln, dass weitere Integrationsschritte richtig, wichtig und durchsetzbar seien. Er müsse allen Mut machen für den nächsten großen europäischen Sprung, um das Europa der Nationalstaaten schrittweise zu überwinden und diese Europäische Union zu einer politischen Union fortzuentwickeln. Ehrlichkeit, Mut und Klarheit seien jetzt gefragt, nicht leere Hoffnung und Angst, appellierte Frank Walter Steinmeier und weiter: „Wenn wir also eine neue gesamtgesellschaftliche Anstrengung unternehmen wollen, um den Glauben an die europäische Sache mit neuem Leben zu erfüllen, dann brauchen wir dazu auch die Kirchen. Und zwar nicht nur als Leihgeber des Konzeptes ‚Glauben’, sondern als Vorbild, als Antreiber und Ideengeber zugleich. Die Verschiedenheit der Kirchen in Europa ist ein Beispiel für die europäische Gesellschaft insgesamt! Dann nämlich, wenn Vielfalt auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Überzeugungen gelebt werden kann.“
Im Hinblick auf die Ökumene machte Steinmeier deutlich, dass Politik und Gesellschaft die Stimmen der Kirchen weiterhin hören wollten, wenn es um die Zukunft des europäischen Projektes ginge: laut und deutlich. Sei es nun im Chor, im Kanon oder manchmal auch im Durcheinander. Abschließend forderte Frank Walter Steinmeier: „ Ich wünsche mir von einer Kirche, die aus der Kraft christlicher Verheißung lebt, dass sie denen widerspricht, die für den Islam in Europa keinen Platz sehen. Toleranz, Weltoffenheit und Völkerverständigung haben derzeit einen schweren Stand in Europa“ und weiter: „Eine Kirche, die aus der Kraft christlicher Verheißung lebt, wird deutlich sagen, dass die Wirtschaft eine dienende Rolle hat. Das heißt heute vor allem, dass dem Wahnsinn an den Finanzmärkten klare Schranken gesetzt werden – und zwar europaweit. Das Wirtschaftsleben muss auf das Erlangen des Gemeinwohls ausgerichtet sein. Auch die Unternehmen tragen soziale Verantwortung. Ein so verstandener kirchlicher Beitrag ist von großem, ja von unschätzbarem Wert für das europäische Projekt.“
Das DOMFORUM
Bischof Gerhard Ludwig hat das Domforum ins Leben gerufen, um die Prägung Europas durch den christlichen Glauben auch zukünftig im Herzen und Denken der Menschen wach zu halten. Bedeutende Persönlichkeiten, die sich um Europa und den Erhalt des christlichen Erbes verdient gemacht haben, haben seit 2005 im Rahmen des Domforums gesprochen: Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler a.D., Kardinal Miloslav Vlk, Erzbischof von Prag, Dr. Otto von Habsburg, Kardinal Antonio María Rouco Varela, Erzbischof von Madrid, Dr. Edmund Stoiber, bayerischer Ministerpräsidenten a.D., und Péter Kardinal Erdö, Erzbischof von Budapest sowie Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments a.D..
(jas)
Vortrag von Dr. Frank-Walter Steinmeier im Wortlaut