Feier der Christmette im Regensburger Dom St. Peter mit Bischof Gerhard Ludwig Müller
In der Christmette im hohen Dom zu Regensburg erinnerte Bischof Gerhard Ludwig Müller daran, dass zur gleichen Zeit über zwei Milliarden Christen auf der Welt die Geburt Christi feierten. Mehrere tausend Gläubige waren in die Kathedrale gekommen, um zusammen mit dem Regensburger Oberhirten das Hochfest zu feiern. „Die Weihnachtsbotschaft ist die Botschaft von der unzerstörbaren Würde eines jeden Menschen. Gottes Ankunft bei uns ist das Geschenk seiner Liebe: Jesus Christus, der Sohn Gottes. Diese Weihnachtsgabe gehört nicht weggesteckt in die Schubladen unserer Vorurteile.“, so Bischof Gerhard Ludwig.
Lesen Sie nachfolgend die Predigt des Bischofs im Wortlaut:
Über zwei Milliarden Menschen auf dieser Welt – die Christen – feiern in dieser Nacht die Geburt ihres „Gottes und Retters Christus Jesus“ (Tit 2,13). Die Hirten auf dem freien Feld vor Bethlehem stehen für alle Menschen, die auf Gott ihre Hoffnung set-zen. Darum tritt der Engel des Herrn zu ihnen und wir alle sollen vom „Glanz des Herrn“ (Lk 2,9) umstrahlt werden. Die große Freude, die verkündet wird, gilt nämlich dem ganzen Volk und nicht nur einigen Auserwählten oder solchen, die sich für wichtiger als andere halten. Ja, das ist die Weihnachtsbotschaft Gottes für alle Menschen, die ER nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk 2,11).
Lassen wir alle wichtigen und weniger wichtigen Bräuche, Gewohnheiten, Umtriebe und Geschäftigkeiten beiseite, dann erschließt sich uns, was Weihnachten im Kern bedeutet: die Botschaft von der Erlösung und vom Heil des Menschen, die Gewissheit, dass am Ende alles für uns und mit uns gut ausgehen wird, weil Gott unsere Angelegenheiten in die Hand genommen hat. Gottes ewiger Sohn, der mit dem Vater der eine Gott ist, nimmt aus dem Menschen Maria unser menschliches Fleisch und Blut, unseren Leib und unsere geistige Seele an, damit wir Menschen Gottes Kinder werden.
Gott hat uns geschaffen und das Sein geschenkt. Wir sind auf ihn hingeordnet und unser Geist, der die Wahrheit sucht und sich nach der Liebe sehnt, kann nur in Gott selbst seine Erfüllung und sein Ziel finden.
Der heilige Papst Leo der Große, der einst dem Furcht und Schrecken verbreitenden Hunnenkönig Attila mutig entgegengetreten war, hat in einer Weihnachtspredigt jedem Christen entgegengerufen: „Erkenne, o Christ, deine Würde und bedenke, dass du der göttlichen Natur teilhaftig geworden bist“ (Sermo 1 in Nat. Dom :PL 54,193). Daher gibt es keinen Grund, wieder von dieser Höhe zurückzufallen in die alte Welt des Selbstzweifels, des Negativen und Destruktiven.
Vor einigen Wochen habe ich eine Einrichtung besucht, wo rund 60 alkohol- und drogenabhängige Männer und Frauen betreut werden. Ihr Elend ist ihnen ins Gesicht ge-schrieben. Ein Psychologe hat in einem eindrucksvollen Vortrag die verschiedenen therapeutischen und medizinischen Maßnahmen dargestellt, die für die Befreiung und Heilung dieser Menschen notwendig sind. Am Schluss aber sagte er: Alle Bemühungen bleiben vergeblich, wenn die Suchtkranken nicht in ihrem Selbstwertgefühl bestärkt werden. Ohne die Erfahrung der Würde, die jedem Menschen zukommt, gibt es keinen Ausweg aus dieser Not.
Im Gespräch zeigte sich immer wieder, dass am Anfang dieser „Karriere nach unten“ die mangelnde Erfahrung des Angenommenseins steht. Schon dann, wenn ein Kind im Schoß seiner Mutter empfangen und bei der Geburt in die Welt seiner Familie und der Gesellschaft tritt, ist die Urerfahrung notwenig: Ich bin willkommen, ich stehe niemandem im Weg. Ich werde geliebt, weil ich hier bin, weil ich lebe und so bin, wie Gott mich gewollt hat. Als Eltern, Mitmenschen und gläubige Christen sind wir nur die Vermittler und Zeugen des Wortes Gottes, das uns zu Geschöpfen macht und uns zum ewigen Leben in der Liebe beruft.
Aus dieser Quelle der Gnade und der Liebe schöpfen wir alle. Schütten wir den Brun-nen eines glückenden Lebens nicht zu! Verdecken wir nicht „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1,9). Das Sein ist eine Gabe und das Leben ist ein Geschenk. Gott selbst schenkt sich uns in seinem Sohn, der Mensch geworden ist. ER sagt sich uns in seinem Wort zu, das Fleisch geworden ist. Wie die Sonne lässt ER über uns seine Güte und Menschfreundlichkeit aufstrahlen und macht unser Leben hell und warm.
Bei einer kleinen Andacht am Ende meines Besuchs habe ich jedem Einzelnen die Hände auf den Kopf gelegt und so jeden persönlich gesegnet. Vielen standen dabei die Tränen in den Augen. Manche haben es in Briefen beschrieben, wie sie von diesem Zeichen der Nähe Gottes innerlich bewegt und bestärkt wurden. Sie konnten spüren, dass ER es gut mit ihnen meint und alles auf einen guten Weg kommt mit dem Ziel, sich der eigenen Würde wieder ganz bewusst zu werden. Wir Menschen dürfen aus der Liebe Gottes leben und an Seele und Leib gesund werden.
Wenn ein guter Freund uns ein wohldurchdachtes und ausgesuchtes Geschenk macht, dann packen wir es nicht weg und verstecken es nicht unbeachtet in einer Abstellkammer. Wir geben ihm vielmehr die gebührende Achtung und danken für die Liebe, die sich darin versinnbildlicht hat.
Die Weihnachtsbotschaft ist die Botschaft von der unzerstörbaren Würde eines jeden Menschen. Gottes Ankunft bei uns ist das Geschenk seiner Liebe: Jesus Christus, der Sohn Gottes. Diese Weihnachtsgabe gehört nicht weggesteckt in die Schubladen unserer Vorurteile; Schubladen, auf denen steht: Erinnerung an altselige Kinderzeiten, Romantik und sentimentaler Kitsch, Weihnachtstrubel und –rummel, oder schöne Legenden ohne geschichtliche Realität, Überlegenheitsgefühl aufgeklärter Besserwisserei, oder schwächliche Indifferenz und Skepsis etc.
Nein, du existierst und lebst wirklich! Dein Geist sucht in der Tat die Wahrheit und dein Herz sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit! Darum ist der, der dich geschaffen hat, real! Seine Zuwendung zu dir ist Wirklichkeit und keine Phantasie oder Illusion. Gott schenkt sich dir wirklich in seinem Sohn Jesus Christus. Der Herr geht wirklich deinen Weg mit durch Freude und Arbeit, durch Leiden und Tod hindurch zur Auferstehung. Er ist dir die Hoffnung auf das ewige Leben.
An der Einstellung zu Weihnachten, dem Fest der Geburt unseres Erlösers, entscheidet sich unser Anspruch auf die Würde als Geschöpf und die Sehnsucht nach Liebe als Vollendung unserer Person in der Gemeinschaft mit Gott. Es geht um nichts weniger als um Leben und Tod, Sein oder Nicht-Sein, ewige Freude oder Frustration ohne Ende!
„Allen aber, die ihn aufnahmen gab er die Macht Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,12) – allen, die nicht aus den Gründen dieser vergänglichen Welt geboren werden und ver-geblich leben, sondern die „aus Gott geboren sind“ (Joh 1,13).
Gottes Sohn ist aus Maria eines Menschen Kind geworden, damit wir in Christus Gottes Kinder werden. Das ist unsere Würde und Berufung. Amen.