Eine Hochzeit in Weiden. Von den unvergessenen Begegnungen des jüdischen Historikers Alexander Fried mit Katholiken
Prof. Dr. Alexander Fried und Dr. Dorothea Friederika Wojciechowski haben am Dienstag im Alten Rathaus von Weiden geheiratet. Bereits zuvor hatte ihre Trauung in der Altneuen Synagoge von Prag stattgefunden. Prof. Fried lehrte als Professor für Geschichte in Kanada, Deutschland und Israel. Der jüdische Gelehrte wohnt mit seiner Frau in Tirschenreuth. Geboren wurde er 1925 in der damaligen Ukraine. Fried, der sich in der Tradition des Ostjudentums sieht, wuchs in der Slowakei auf, überlebte den Holocaust sowie überhaupt die nationalsozialistische Verfolgung durch mehrere Wunder und hat im Laufe seines hochgradig bewegten Lebens immer wieder Begegnungen mit katholischen Christen gehabt, die für ihn eine maßgebliche Rolle spielen sollten. Das Thema der Religion ist für ihn, den seine Freunde „Sanyi“ nennen (sprich „Schonji“), von großer Bedeutung. Immer wieder kommt Dr. Fried auf „Nostra aetate“ zu sprechen, auf die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen aus dem Jahr 1965. Bei der Trauung im Rathaus war auch Weidens Oberbürgermeister Kurt Seggewiss anwesend. Bewegt sprach der Politiker von der Ehre, die die Tatsache für die Bürgerschaft bedeute, dass Prof. Dr. Fried und Dr. Wojciechowski in Weiden in der Oberpfalz getraut werden. Manche Gäste meinten, dem Oberbürgermeister seien kurzfristig Tränen in den Augen gestanden.
Dos pintele jid
Vor kurzem erst ist Prof. Frieds Biographie erschienen: „Dos pintele jid. Alexander Nesanel Fried. Leben und Überleben eines slowakischen Juden im 20. Jahrhundert.“ Unter der dauernden Gefahr stehend, erschossen zu werden, so ist darin zu erfahren, hielten die slowakischen Katholiken Antonin und Maria Belanik Alexander Fried und seinen Bruder Itzchak Fried 1944 während der Flucht aus der heimatlichen nordslowakischen Stadt Sillein (Žilina) bei sich im Haus in Dlhé Pole versteckt. Sie trugen die Namen Zyprian und Philipp. Doch wurden die Flüchtlinge letztlich gefasst. Alexander hatte, wie in insgesamt acht lebensbedrohlichen Situationen damals, großes Glück. Was aus ihren Beschützern wurde, ist unklar.
Der sudetendeutsche Pater wurde Frieds akademischer Lehrer
Besondere Bedeutung für Frieds weiteren Lebensweg erlangte Pater Hugo Hantsch OSB (1895-1972). Der Professor für Allgemeine Geschichte der Neuzeit und geschäftsführende Vorstand des Historischen Institutes an der Universität Wien war Mönch des Benediktinerstifts Melk. Der Sudetendeutsche aus Teplitz-Schönau wurde Frieds akademischer Lehrer, der ihn während seiner Wiener Jahre in seinen Studien und durch die Promotion begleitete. 1952 hatte sich Fried bei Prof. Hantsch vorgestellt. Er ist der einzige Jude in seinem Schülerkreis. 1955 erfolgt seine Promotion an der Universität Wien mit einer Arbeit über „T. G. Masaryks erste Tätigkeitsperiode im Wiener Parlament (1891–1893)“.
Mit der erfolgreichen Promotion endete für ihn der Zeitabschnitt, in dem er nach der bis 1945 drohenden Vernichtung erstmals die Möglichkeit erhalten hatte, sich in seinem Leben selbstbestimmt weiterzuentwickeln. Das Promotionsstudium bei dem Benediktiner erschloss ihm die bis dahin fremde Welt der europäischen Geschichte. Zu Frieds Bildungsbiographie zuvor gehört seine Prägung durch den Cheder, eine jüdische Vorschule, sowie durch die jüdische Grundschule in Sillein, das ab seinem zweiten Lebensjahr seine Heimatstadt war. Zu seiner Bildungsbiographie ist außerdem das Trainingscamp zur Vorbereitung der Auswanderung nach Palästina in Čadca in der Nordslowakei zu zählen, in das ihn sein Vater 1941 schickte und wo er bis März 1942 blieb.
Er war ja katholisch und trug ein Rundkollar
Nach Wien floh Fried anlässlich der antisemitischen Slansky-Prozesse aus Prag Anfang der 1950er Jahre. 1952 kam es in der österreichischen Hauptstadt zur Begegnung mit P. Hugo Hantsch. Fried erinnert sich: „Ich war überrascht, dass mich Prof. Hantsch mit so viel Liebenswürdigkeit, ja beinahe väterlich empfängt. Ich konnte mir das nicht erklären. Er war ja katholisch und trug ein Rundkollar.“ Die erste Begegnung mit seinem akademischen Lehrer verbindet er mit folgender Begebenheit: „Ich sagte: Herr Professor, ich bin ein Überlebender der Shoah. Da hat er sofort den ersten hebräischen Satz des Buches Genesis hergesagt. Das machte großen Eindruck auf mich.“ Erst nach einiger Zeit erfährt er, dass Hantsch Sudetendeutscher ist und enge Beziehungen zu maßgeblichen jüdischen Personen, darunter nicht zuletzt zu dem in Amerika wirkenden Professor für österreichische Geschichte, Robert A. Kann, unterhält, den er zu Seminaren nach Wien einlädt. Gesundheitlich ging es Fried damals in mehrerlei Hinsicht schlecht. Prof. Hantsch hatte ein Auge auf seinen jungen Studenten, um dessen gebrochene Lebensgeschichte und fragilen Hintergrund er wusste. Die Freundschaft und von gegenseitigem Respekt getragene Beziehung zwischen dem katholischen Lehrer und seinem jüdischen Schüler dürften ihren Grund auch in der Tatsache gehabt haben, dass Hantsch selbst vor dem Zweiten Weltkrieg in verschiedenen Konzentrationslagern interniert war.
Junge Frau aus katholischer Familie als großer Lichtblick
Obendrein fand Fried damals einen großen Lichtblick in einer jungen Frau aus einer urösterreichischen katholischen Familie aus Gänserndorf. Sie nahm sich in Wien seiner an und unterstützte ihn, indem sie ihn bei Arztbesuchen begleitete und zu Konzerten mitnahm. Allerdings erfuhren die beiden auch deutlich die Unterschiede ihres Glaubens, etwa als Fried die Familie kennenlernte.
Forschen und unterrichten in der ganzen Welt
Wie aber nutzte Fried die Möglichkeiten, die ihm mit der Promotion offen standen? Zunächst unterrichtete er an der Hebräischen Schule in Wien. Von 1960 bis 1964 war er als Kulturdezernent im Zentralrat der Juden Deutschlands in Düsseldorf tätig. Er organisierte unter anderem pädagogische Seminare zur Verbesserung der didaktischen Methoden in den jüdischen Schulen Deutschlands. Von 1964 bis 1965 war er an der Université Libre de Bruxelles tätig und erlangte die Deuxième Licence mit einer Arbeit über das russisch-jüdische Problem am Ende des 18. Jahrhunderts. Bis 1968 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Haute École des Études Juives in Brüssel. Dann begann er als Executive Director des Farband Labor Zionist Order in Toronto. Anschließend lehrte er als Associate Professor of History and Chairman des Department of History des Prince of Wales College in Charlottetown, Prince Edward Island in Kanada. Von 1971 bis 1978 war er, nur wenige Jahre nach Nostra Aetate, Associate Professor of History an der katholischen Mount Saint Vincent University in Halifax. Von 1972 bis 1974 hatte er am Department of History das Amt des Chairman inne. 1979 bis 1983 ging er wiederholt als Gastprofessor Unterrichtsverpflichtungen an Schulen in London, Augsburg, Prag, Montreal und München nach. Zusätzlich war er weiter der kanadischen Hochschule verbunden und lehrte dort erneut 1988, diesmal als Visiting Professor. Von 1983 bis 1990 übernahm er in Israel verschiedene Forschungen und Unterrichtsverpflichtungen, unter anderem an der Hebrew University of Jerusalem und an der Open University in Tel Aviv. Ab 1990 leitete er das Jüdische Kulturmuseum in Augsburg. Heute sagt der 90jährige jüdische Gelehrte, er würde gerne vor katholischen Schülerinnen und Schülern aus seinem bewegten Leben erzählen.