News Bild Durch das Kirchenjahr: Wegsehen zählt nicht!

Durch das Kirchenjahr: Wegsehen zählt nicht!

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… mit Benedikt

30. Sonntag im Jahreskreis A – Exodus 22,20-26 und Matthäus 22,34-40

„So spricht der Herr: 20Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid im Land Ägypten Fremde gewesen. 21Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen. 22Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören. 23Mein Zorn wird entbrennen und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, sodass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden. 24Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Gläubiger benehmen. Ihr sollt von ihm keinen Zins fordern. 25Nimmst du von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben; 26denn es ist die einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt. Worin soll er sonst schlafen? Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid.“

Exodus 22,20-26

„In jener Zeit, 34als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen. 35Eine von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: Meister, 36welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? 37Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. 38Es ist das wichtigste und erste Gebot. 39Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. 40An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“

Matthäus 22,34-40

 

Und wieder soll eine Falle den Herrn straucheln lassen. Jesus soll sagen, welches Gebot denn das wichtigste ist. Egal was er sagt – man wird darin die Antwort hineinlesen können, andere Gebote seien nicht so wichtig, vielleicht gar zu vernachlässigen. Wieder aber fällt Jesus nicht in die Grube, die andere gegraben haben. Er offenbart vielmehr den Kern des Gesetzes, an dem alle anderen, einzelnen Gebote hängen: Man soll Gott lieben und man soll die Menschen lieben. Das macht die anderen Gebote nicht überflüssig, lässt diese aber letztlich als logische Konsequenz dieses „Grundgesetzes“ der Thora erscheinen. Im Kern steht die Liebe zu Gott. Und diese Liebe kann nicht ohne Konsequenz bleiben: Wer Gott liebt, muss auch seinen Nächsten lieben, der ja als Abbild Gottes geschaffen wurde.

Die erste Lesung dieses Sonntags zeigt das hervorragend. Scheinbar werden einzelne Gebote dem Volk Israel gegeben: Wie man mit Ausländern umgehen soll, wie mit Witwen und Waisen, wie mit einem Pfandrecht. Gemeinsam ist jedoch all diesen Regeln, dass sie die Liebe gegenüber dem Nächsten einfordern – gegenüber dem, der fremd ist, einsam, auf Hilfe angewiesen und bedürftig. Der Umgang mit Witwen und Waisen wird in der Bibel immer wieder als Gradmesser für die Gerechtigkeit einer Gesellschaft genutzt. Witwen und Waisen können kaum oder gar nicht für den eigenen Unterhalt sorgen. Sie sind angewiesen auf eine solidarische Gesellschaft, die sich ihrer annimmt. Im Kern steht dabei die Liebe; das konkrete Gebot ist nur Ausfluss, Konkretisierung dieser Liebe zu den Menschen.

Die zwei Gebote, die Jesus nennt, sind der Kern des Judentums wie des Christentums. Die einfachen Grundsätze lassen sich in unendlich viele einzelne, kleinteilige Gesetze übersetzen. Als Christen ist es unsere Aufgabe, immer wieder danach zu fragen, ob unsere Gesellschaft nach diesen Werten lebt. Das Christentum geht nicht in Politik auf, kann aber die Welt und die Missstände, in denen wir leben, auch nicht einfach missachten und ignorieren. Als Christen haben wir die Aufgabe, kritisch zu fragen: Wie geht unsere Gesellschaft mit den Schwachen um, wie schützt es die unbedingte Würde des Lebens, gerade am Anfang und am Ende? Wie geht unsere Gesellschaft mit den Menschen um, die Hilfe brauchen, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können?

Und auch: Wie geht unsere Gesellschaft mit Geflüchteten um, die in einem fremden Land mit fremder Sprache stranden und deswegen natürlich Hilfe und Unterstützung brauchen?

Immer wieder müssen wir Christen uns und andere fragen: Werden wir dem elementaren Gebot der Liebe gerecht? Sehen wir andere Menschen als von Gott geschaffene und geliebte, mit bedingungsloser Würde ausgestatte Wesen? Oder denken und sprechen wir von anderen als seien sie Dinge, Sachverhalte, die unserer kühlen Argumentation unterworfen werden können?

Nein, das Christentum geht nicht in der Politik auf. Aber uns kann die Politik nicht kalt lassen. Wenn wir den Ruf Jesu zur unbedingten Nächstenliebe ernst nehmen, darf es uns nicht kalt lassen, wenn Menschen leiden. Es muss den Kern unserer christlichen Identität treffen, wenn wir das Leid der Geflüchteten, der Witwen und Waisen, der Armen sehen. Wegsehen zählt nicht.



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