Durch das Kirchenjahr: Der sechste Mann
… mit Benedikt:
Dritter Fastensonntag A – Johannes 4,5-42
Man könnte sicherlich mit einigem Recht das Johannesevangelium als das Evangelium der großen Begegnungen beschreiben. Immer wieder überliefert der Evangelist große und großartige Dialoge, die Jesus mit den unterschiedlichsten Menschen führt. Der Herr spricht in der Nacht mit Nikodemus, einem führenden Mann der jüdischen Elite. Er spricht in einer langen Rede zu seinen Jüngern über das Brot, das er selbst ist. Als Jesus kurz vor seiner Kreuzigung Pilatus begegnet, spricht er mit ihm über seine Sendung und die alles entscheidende Frage: Was ist Wahrheit?
Diesen großen Reden ist eines gemeinsam: Sie wirken unverständlich. So überwältigend die Sprache sein mag, der Inhalt kommt oft einem Rätsel gleich. Unterstützt wird das durch ständig unverständige Gesprächspartner Jesu. Wo Jesus in Bildern spricht, wird er wörtlich verstanden. So ist auch im Evangelium dieses Sonntags von einer sehr verwirrenden Begegnung die Rede. Jesu kommt mit seinen Jüngern an einem Brunnen vorbei, von dem die Legende behauptet, der große Jakob habe ihn selbst angelegt. Die Jünger gehen in das nahe Dorf, um Lebensmittel zu kaufen. Jesus bleibt an diesem Brunnen, mitten im Land der Samaritaner, die zwar auch an den Gott Israels glauben, aber im Laufe der Jahrhunderte eine eigene, von Jerusalem unabhängige Religion geschaffen haben.
Jesus begegnet einer Frau am Jakobsbrunnen, bittet sie um Wasser. Und dann bittet Jesus die Frau, scheinbar ganz harmlos und unauffällig, sie möge doch ihren Mann holen. Nur: Das geht nicht. „Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann“ (Johannes 4,18). Was bedeutet das? Jesus kann das wörtlich gemeint haben. Die Frau hatte fünf Männer. Sind sie gestorben? Haben sie sie verstoßen? Eigentlich wäre nur dreimal die Scheidung möglich gewesen, danach untersagten die Rabbinen eine weitere Eheschließung. Jedenfalls lebt die Frau jetzt mit einem Mann zusammen, mit dem sie nicht verheiratet ist.
Andere Deuter glauben, die fünf Männer würden sich symbolisch auf die fünf Bücher des Mose, die Tora, beziehen. Diese Heiligen Schriften haben auch die Samaritaner, aber sie haben noch etwas hinzugefügt, Bestandteile, die nicht von Gott stammen. Diese Auslegung würde gut zum anschließenden Gespräch über die wahre Gottesverehrung passen. Wieder andere Exegeten glauben, mit den fünf Männern seien fünf fremde Götter gemeint: Fünf Völker hatten sich in Samaria angesiedelt, sie alle verehrten ihre eigenen Götter, zusätzlich aber auch den Gott Israels. Vor diesem Hintergrund würde Jesus der Frau vorwerfen, durch ihren Polytheismus letztlich in einer ungeordneten Beziehung mit dem Gott Israels zu leben.
Wie auch immer man diese Aussage verstehen mag: Sie ändert etwas im Leben der Frau. Sie, die gerade noch den beschwerlichen Weg unternommen hatte, Wasser am Brunnen zu holen, kehrt in ihr Dorf zurück, ohne den Krug gefüllt zu haben. Sie ist dem Herrn begegnet und diese Begegnung hat alles geändert.
Im Johannesevangelium ist die Begegnung mit Jesus meist etwas Unerwartetes, das ganz überraschend kommt. Darum geht es schließlich auch in der Fastenzeit: Bereit sein für Begegnungen mit dem Herrn, gerade für die unerwarteten. Manchmal vermag diese Begegnung alles zu ändern, lässt alles in einem neuen Licht erscheinen.