Christlicher Glaube vermag die Gesellschaft zu prägen - „Petersburger Dialog“ führt Kirchenvertreter aus Deutschland und Russland zusammen
Die prägende Kraft des christlichen Glaubens für die Gesellschaft sowohl in Russland als auch in Deutschland ist ein historisches Faktum. Dass das Christentum auch in Zukunft eine wegweisende Rolle für das mitmenschliche Zusammenleben in beiden Ländern spielen kann und soll, unterstrichen Kirchenvertreter im Rahmen des „Petersburger Dialogs“, der in diesem Jahr zum achten Mal stattfand.
Der „Petersburger Dialog“ ist ein Forum des Dialogs zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Deutschland und Russland, bei dem Vertreter der Kultur, der Medien, der Politik, der Wirtschaft und der Kirchen zusammenkommen, um eine vertrauensvolle Basis für die Beziehungen zwischen beiden Ländern aufzubauen. Vom 30.09. bis 2.10.2008 fand jetzt die achte Gesprächsrunde in St. Petersburg statt – dem Ort, an dem die Gespräche vor acht Jahren von Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin ins Leben gerufen worden waren.
Seit dem vergangenen Jahr gibt es im Rahmen dieses Dialogs eine eigene Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“.
Die Gespräche im Rahmen des Petersburger Dialogs „tragen zu einer weiteren Vertiefung der zwischenkirchlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland bei“, hob Bischof Gerhard Ludwig Müller, der Vorsitzende der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, zu Beginn des Treffens hervor.
Erzbischof Longin von Klin, Koordinator der Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ auf russischer Seite, unterstrich die große Bedeutung, die das Moskauer Patriarchat den Gesprächen beimisst. Der Petersburger Dialog könne gerade „im Kontext kurzfristiger Krisen an das Verbindende zwischen den Menschen in Russland und Deutschland erinnern“, zeigte sich Dr. Johannes Oeldemann, Koordinator der Arbeitsgruppe auf deutscher Seite, überzeugt.
Thematisch befasste sich die Arbeitsgruppe in diesem Jahr mit den Themen Migration, Generationengerechtigkeit und Familie. In ihrem Resümee (s. Anlage) betont die Arbeitsgruppe, dass die Kirchen sich in ihrem gesellschaftspolitischen Engagement für die Benachteiligten in der Gesellschaft einsetzen. Die Sorge um die Integration von Migranten, das Denken über den Horizont der jetzigen Generation hinaus und die Unterstützung von Familien tragen dazu bei, die Botschaft des Evangeliums konkret werden zu lassen. „Es geht darum, dass die Kirchen wieder in der Mitte der Gesellschaft ankommen“, fasste Bischof Martin Schindehütte, im Kirchenamt der EKD verantwortlich für Ökumene und Auslandsarbeit, die Zielsetzung der Arbeitsgruppe zusammen.
Beim abschließenden Plenum mit Präsident Medwedew und Bundeskanzlerin Merkel hob Lothar de Maizière, der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs, die Rolle der Kirchen im Rahmen dieses Dialogs hervor. Die Kirchen würden durch ihr Engagement an „die Bedeutung mitmenschlicher Solidarität über die Grenzen von Völkern und Generationen hinweg“ erinnern. Dem zustimmenden Kopfnicken des Präsidenten und der Bundeskanzlerin war zu entnehmen, dass diese Botschaft angekommen ist.
Informationen zum 8. Petersburger Dialog
„Russland und Deutschland in der globalisierten Welt – Partner in der Modernisierung“ - St. Petersburg, 30.09. – 02.10.2008
Resümee der Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“
Die Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ hat sich in diesem Jahr mit der Frage befasst, welche Impulse die Kirchen zur Orientierung der Gesellschaft in einer sich immer rascher wandelnden Welt geben können.
Im Blick auf das im Hauptthema angesprochene Phänomen der Globalisierung haben wir uns dabei zunächst mit den Folgen der weltweiten Migrationsströme befasst. Während dieses Phänomen in Russland vor allem ein innerstaatliches ist, verzeichnet Deutschland seit Jahren einen kontinuierlichen Zustrom ausländischer Immigranten, darunter viele aus Russland. Wir haben über kirchliche Initiativen zur Integration der Migranten gesprochen und dabei verdeutlicht, dass aus christlicher Sicht jeder „Fremde“ unserer Fürsorge bedarf. Wir waren uns einig, dass die Aufgabe der Kirchen nicht allein in der Hilfe bei der Lösung der sozialen Probleme der Migranten besteht, sondern auch darin, ihre kritische Stimme gegenüber den Ursachen der Migration zu erheben.
Eine der Hauptursachen sind kriegerische Auseinandersetzungen, die aus unserer Sicht niemals als ein Mittel der Machtpolitik eingesetzt werden dürfen, wie es zuletzt im Kaukasus und zuvor auf dem Balkan der Fall war.
Ein zweites Thema in unserer Arbeitsgruppe waren die sozialethischen Herausforderungen im Blick auf die Generationengerechtigkeit. Wenn Russland und Deutschland im Hauptthema des diesjährigen Petersburger Dialogs als „Partner in der Modernisierung“ bezeichnet werden, so kann es dabei aus Sicht der Kirchen nicht nur um Modernisierung im Sinne technischer Neuerungen gehen. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Frage nach der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften gestellt werden.
Um diese zu sichern, ist ein gerechter Ausgleich zwischen den Generationen erforderlich. Die heutige Generation muss nicht nur Verantwortung für die ältere Generation übernehmen, sondern vorausschauend auch für künftige Generationen. Dies hat nicht nur Konsequenzen im Blick auf unsere sozialen Sicherungssysteme, sondern muss sich auch im Bereich der Klimapolitik zeigen. Die christlichen Kirchen unterstützen einen entsprechenden Bewusstseinswandel durch ihr Eintreten für die Bewahrung der Schöpfung.
Um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften ging es auch im dritten Themenkomplex, der von uns erörtert wurde: der Bedeutung der Familie. Wenn das Zusammenleben mehrerer Generationen in einer Familie als Erfahrungshorizont fehlt, wird das Plädoyer für Generationengerechtigkeit eine abstrakte Forderung bleiben.
Die Bedeutung der Familie für die Zukunft der Gesellschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie ist nicht nur eine Keimzelle des christlichen Glaubens, sondern auch ein Lernort mitmenschlicher Solidarität und eine Quelle, aus der grundlegende Werte des menschlichen Zusammenlebens geschöpft werden. Als Kirchen fordern wir von den Politikern daher nachdrücklich Maßnahmen zur Unterstützung der Familien in unseren Gesellschaften.
Wenn wir als Vertreter der Kirchen unsere Stimme in gesellschaftspolitischen Fragen erheben, wollen wir damit nicht direkt politisch handeln, wohl aber den Boden für politisches Handeln bereiten.
Es geht uns nicht darum Politik zu machen, sondern Politik möglich zu machen, indem wir an die ethischen Grundlagen der Politik erinnern. Diese bauen auf einem Verständnis der Würde des Menschen auf, das wesentlich durch das christliche Menschenbild genährt wurde. Wenn wir im Blick auf unterschiedliche Politikfelder daran erinnern, so geschieht dies in der Überzeugung, dadurch unseren spezifischen Beitrag zum Dialog zwischen Russland und Deutschland zu leisten.
Teilnehmer von deutscher Seite
Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz:
1. Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller, Regensburg (Vorsitzender der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz);
2. Dr. Johannes Oeldemann, Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik, Paderborn (Mitglied der Arbeitsgruppe „Kirchen des Ostens“ der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz und Koordinator der Arbeitsgruppe auf deutscher Seite);
3. Prof. Dr. Hermann-Josef Röhrig, Marburg (Mitglied der Arbeitsgruppe „Kirchen des Ostens“ der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz);
4. Prof. Dr. Joachim Wiemeyer, Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bochum (als Referent zum Thema „Generationengerechtigkeit“).
Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland:
1. Bischof Martin Schindehütte, Hannover (Leiter der Hauptabteilung „Ökumene und Auslandsarbeit“ im Kirchenamt der EKD und Mitglied im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs);
2. Oberkirchenrat Michael Hübner, Hannover (Referent für Mittel- und Osteuropa im Kirchenamt der EKD);
3. Dr. Jennifer Wasmuth, Berlin (Wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchen- und Konfessionskunde, Schwerpunkt Ostkirchenkunde, der Humboldt-Universität zu Berlin);
4. Propst Siegfried Kasparick, Wittenberg (Leiter des Orthodoxie-Arbeitskreises der EKD);
5. Frau Doris Peschke, Generalsekretärin der „Kommission der Kirchen für Migranten in Europa“, Brüssel (als Referentin zum Thema „Migration“).
Teilnehmer von russischer Seite:
1. Erzbischof Longin von Klin, Ständiger Vertreter des Moskauer Patriarchats in Deutschland (Koordinator der Arbeitsgruppe auf russischer Seite);
2. Erzbischof Konstantin von Tichvin, Rektor der St. Petersburger Geistlichen Akademie;
3. Bischof Markell von Peterhof, Vikarbischof der orth. Metropolie von St. Petersburg;
4. Erzpriester Alexander Stepanov, Vorsitzender der Abteilung für Diakonie und Caritas der St. Petersburger Metropolie;
5. Erzpriester Gennadij Sverev, Pfarrer der Sophien-Kathedrale in Zarskoe Selo;
6. Erzpriester Viktor Moskovskij, Pfarrer der Kathedrale der Gottesmutter von Smolensk in St. Petersburg;
7. Priester Georgij Rjabych, Moskau, Referent für den Bereich „Kirche und Gesellschaft“ im Kirchlichen Außenamt des Moskauer Patriarchats;
8. Priester Vladimir Chulap, Referent in der St. Petersburger Filiale des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats;
9. Priestermönch Dimitrij (Perschin), Abteilung für Jugend des Moskauer Patriarchats (als Referent zum Thema „Familie“).
Statement zu Beginn der Sitzung der Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ im Rahmen des 8. Petersburger Dialogs am 1. Oktober 2008 in St. Petersburg von Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller
Ich danke Erzbischof Longin für die freundliche Begrüßung und Herrn Dr. de Maizière als Vorsitzendem des Deutschen Lenkungsausschusses für die Einladung zur Teilnahme an dieser Arbeitsgruppe im Rahmen des 8. Petersburger Dialogs.
Als Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz war ich bereits mehrfach zu Gesprächen mit Vertretern der Russischen Orthodoxen Kirche in Russland und habe Metropolit Kyrill auch bei seinen Besuchen in Deutschland getroffen. Ich habe diese Begegnungen und Gespräche in sehr guter Erinnerung, weil sie mir verdeutlicht haben, wie wichtig der Dialog zwischen den Kirchen ist, gerade wenn sie in Gesellschaften leben, die – wie im Falle von Russland und Deutschland – einerseits auf eine lange Geschichte gegenseitiger Beziehungen und Einflüsse zurückblicken können, andererseits aber aufgrund der Entwicklungen im 20. Jahrhundert heute doch in recht unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen leben.
Weil es zum Selbstverständnis der Kirchen gehört, nicht nur auf die jüngste Geschichte zu schauen, sondern das historische Gedächtnis wachzuhalten, bin ich überzeugt, dass sie auch für den Petersburger Dialog eine wichtige Rolle spielen, insofern sie auch im Kontext kurzfristiger Krisen an das Verbindende zwischen Völkern und Menschen in Russland und Deutschland erinnern. Deshalb begrüße ich es sehr, dass es seit dem vergangenen Jahr eine Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ im Rahmen des Petersburger Dialogs gibt. Seitens der Deutschen Bischofskonferenz ist eigentlich Bischof Dr. Gerhard Feige von Magdeburg zuständig für dieses Gesprächsforum, der jedoch aufgrund der kurzfristigen Festlegung des Termins in diesem Jahr verhindert ist. Ich freue mich, dass ich auf diese Weise Gelegenheit habe, mir einmal selbst einen Eindruck vom Petersburger Dialog und der Rolle der Arbeitsgruppe Kirchen im Rahmen dieses Dialogs zu verschaffen.
Thematisch soll es in diesem Jahr in unserer Arbeitsgruppe um die Frage gehen, welche Impulse die Kirchen aus der gemeinsamen christlichen Tradition heraus zur Orientierung der Gesellschaft geben können. Dabei werden wir drei Themenfelder in den Blick nehmen, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sind.
Das erste Themenfeld – „Migration und der Umgang mit dem Fremden“ – ist in unserer globalisierten Welt von zunehmender Bedeutung. Die zwischenstaatlichen Migrationsströme nehmen aufgrund politischer Verfolgung, wirtschaftlicher Missstände, Naturkatastrophen und anderer Ursachen immer weiter zu. In Deutschland verzeichnen wir im letzten Jahrzehnt ein spürbares Anwachsen der Zahl russischsprachiger Mitbürger. Diese Migranten stellen unsere Gesellschaft vor die Herausforderung der Integration. Die Deutsche Bischofskonferenz und die EKD haben darauf bereits vor zehn Jahren (1997) mit einem Gemeinsamen Wort zu den Herausforderungen durch die Migration reagiert. Wie sich die Situation heute darstellt und welche Impulse die christliche Tradition zum Umgang mit dem Fremden gibt, werden wir im ersten Referat des heutigen Tages hören.
Wenn das Dachthema des diesjährigen Petersburger Dialogs Russland und Deutschland als „Partner in der Modernisierung“ bezeichnet, so kann es dabei aus Sicht der Kirchen nicht nur um Modernisierung im Sinne technischer Neuerungen gehen. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Frage nach der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften gestellt werden. Um diese zu sichern, ist ein gerechter Ausgleich zwischen den Generationen erforderlich. „Generationengerechtigkeit als sozialethische Herausforderung“ lautet daher das zweite Themenfeld, mit dem wir uns heute Nachmittag befassen werden.
Im engen Zusammenhang damit steht auch das dritte Themenfeld – „Familie als Zentrum gesellschaftlicher Zukunft“ –, das wir morgen Vormittag in den Blick nehmen werden. Ohne das Zusammenleben zweier oder dreier Generationen im Rahmen der Familie wird die Forderung nach Generationengerechtigkeit eine abstrakte Forderung bleiben. Erst im Kontext der Familie wird dieses Thema konkret und stellt Eltern vor die Frage, wie sie die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder sichern können. Als Kirchen betrachten wir die Familie als wichtigste Keimzelle des Glaubens, in der einerseits die Riten und Gebräuche der kirchlichen Tradition vermittelt werden, andererseits aber auch grundlegende Werte des menschlichen Zusammenlebens, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert.
Familien spielen insofern eine zentrale Rolle für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft, was in unserer Arbeitsgruppe in diesem Jahr in Anknüpfung an entsprechende Initiativen der Russischen Orthodoxen Kirche hervorgehoben werden soll.
Die Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ ist nur ein Gesprächsforum neben anderen zwischen unseren Kirchen. Die EKD kann im nächsten Jahr bereits das 50-jährige Jubiläum des Auftakts ihrer regelmäßigen Begegnungen mit der Russischen Orthodoxen Kirche feiern. Die Gespräche zwischen Rom und Moskau können auf eine fast ebenso lange Tradition zurückschauen, die im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils begann, an dem der heutige Metropolit von St. Petersburg als Beobachter seitens der Russischen Orthodoxen Kirche teilgenommen hat.
Die Deutsche Bischofskonferenz hat in den 80er- und 90er-Jahren ebenfalls theologische Gespräche mit Vertretern des Moskauer Patriarchats geführt und gerade in der letzten Woche bei ihrer Vollversammlung beschlossen, die Einladung des Moskauer Patriarchats zur Wiederaufnahme dieser Gespräche anzunehmen (Achtung: nur erwähnen, falls ein entsprechender Beschluss gefasst wurde).
Dass im Rahmen des Petersburger Dialogs Orthodoxe, Protestanten und Katholiken gemeinsam über vor allem sozialethische Fragen nachdenken, kann nur zu einer weiteren Vertiefung der zwischenkirchlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland beitragen.
Auf dieser Grundlage erhoffe ich mir, dass auch das Verständnis für die Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland weiter wachsen wird, die gerade in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts eine wichtige Grundlage für die Beziehung zwischen unseren Völkern darstellt. In diesem Sinne wünsche ich unserer Arbeitsgruppe ein gutes Gelingen und für die Gespräche einen fruchtbaren Gedankenaustausch, der zur gegenseitigen Bereicherung beiträgt.