Sailer hat die geistliche Vaterschaft verwirklicht
Rudolf Graber, der Nachfolger Sailers im Bischofsamt, hat ihn in einer Linie mit Augustinus, Franziskus, Elisabeth von Thüringen, Bonaventura, Theresia von Avila, Franz von Sales und den im vergangenen Jahr heiliggesprochenen John Henry Newman gesehen. Sailer verdiene es, in diese Linie gestellt zu werden, sagt auch der Regensburger Domkapitular Dr. Josef Kreiml. Er habe das ihm von Gott Geschenkte weitergegeben. Der Sailer-Kreis entfaltete eine Ausstrahlung, die in ganz Deutschland, ja sogar außerhalb Europas spürbar sei. Sein großer Wirkungskreis beruhte darauf, dass er die „geistliche Vaterschaft“ verwirklichte und das Wort „Vater“ wieder gefüllt habe, so Professor Kreiml.
Sailer setzte sich für Ökumene ein
Bischof Graber sah Sailer als einen Mann mit prophetischer Witterungsgabe, die sich vor allem im Bereich der Ökumene gezeigt habe. Sailer hat vielfältige Beziehungen zu Protestanten gepflegt, so dass – kaum ein Zufall – ein evangelischer Pastor 1856 die erste Sailer-Biographie herausgegeben hat. Für Bischof Graber war das hochaktuell, denn: „Die entscheidende Front des weltanschaulichen Kampfes verläuft nicht mehr zwischen Evangelischen und Katholiken, sondern zwischen Christen und Nichtchristen.“
Vom heiligen Eifer der Religion ergriffen
Sailers Geist ist sogar in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ zu finden. Hierin erweist sich für Bischof Graber, dass „die Überwindung der Aufklärung, die ja wesentlich Sailer zuzuschreiben ist, die Kirche nicht ins Ghetto führen muss, sondern sie befähigt, Welt und Kultur in der richtigen Weise in die Hand zu nehmen und sie richtig zu steuern.“ Für Sailer selbst war der Rationalismus, der sich „überall verbreitet und überall Spuren seiner Verwüstungen“ hinterlässt, der Auslöser, dass er „vom heiligen Eifer der Religion ergriffen den Entschluss fasste, in Schriften, Predigten, Gesprächen und Vorlesungen diese Grundirrtümer mit den entgegengesetzten Grundwahrheiten zu bekämpfen“. Sein Eifer ging so weit, dass er „gerade das, was am meisten umstritten ward, am meisten verteidigte“.
Den Durchbruch zum Herzen erreichen
Sailer hat sich „gegen jenes Denken, das den Zugang zum Leben verloren hat, das nur mit dem Kopf denkt und das Herz unbefriedigt lässt“, gewendet. Er wollte, so Domkapitular Kreiml, den „Durchbruch zum Herzen“. Das innerste Geheimnis Sailers war Jesus Christus. Oder, wie Diepenbrock es beschrieben hat: „Das durchscheinende Geheimnis seines inneren Lebens war die stete Gegenwart Gottes.“
Seine Gelassenheit war eigentlich ein Wunder
Wie sehr Sailer von der Gegenwart Gottes getragen war, zeigte er in seinem Umgang mit den zahlreichen Schicksalsschlägen, die ihm widerfuhren. Er hat sie mit einer Gelassenheit ertragen, „die eigentlich als Wunder für einen Seligsprechungsprozess gewertet werden müsste“, wie Bischof Graber es formulierte. Sailer habe in einer Feuertaufe von Verfolgungen sich als ein echter Christusjünger erwiesen, so urteilte der Schriftsteller Gisbert Kranz.
Noch im Tod: Gelassenheit und Gottergebenheit
Johann Michael Sailer starb am 20. Mai 1832 um fünf Uhr morgens. Am Vortag hatte ihn Domkapitular Johann Prentner besucht. Der sagte ihm, er habe eine Messe gelesen, „dass der Herr Sie noch länger bei uns lassen möge“. „Wie Gott will. Herr, hier bin ich“, antwortete Sailer. Mit seinen letzten Worten legte er dieselbe Gelassenheit und Gottergebenheit an den Tag, die er in seinem ganzen Leben gezeigt hat.
Die hier erwähnten Aussagen Bischof Grabers stammen aus einer Predigt aus dem Jahr 1982 anlässlich des 150. Todestages Sailers. Lesen Sie hier die Überlegungen von Domkapitular Dr. Josef Kreiml über Bischof Michael Sailer in voller Länge.
Titelbild: Bischof Manfred Müller mit Schülern im Jahr 1996