Aufruf der deutschen Bischöfe zur Bundestagswahl am 22. September 2013
Liebe Schwestern und Brüder,
am 22. September wählen die Bürgerinnen und Bürger den 18. Deutschen Bundestag. Wir
wenden uns aus diesem Anlass an die Gläubigen und sprechen einige Themen an, die aus
Sicht der deutschen Bischöfe bei der Wahlentscheidung Bedeutung haben. Deutschland hat
dank günstiger Umstände sowie eines umsichtigen Handelns und Zusammenwirkens der verschiedenen
politischen und gesellschaftlichen Kräfte die Wirtschafts-, Finanz- und Staatsschuldenkrise
bislang besser bestanden als andere Länder. Die Verwerfungen der vergangenen
Jahre haben erneut gezeigt, wie wichtig es ist, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche
Entscheidungen nicht einseitig an kurzfristigen Zielen auszurichten. Politik muss
langfristig angelegt sein und Grundsätzen folgen, die auch in stürmischen Zeiten Orientierung
geben.
Als Beispiel mag die Debatte über die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise
dienen, die oftmals sehr verkürzt geführt wird. Deutschland hat politisch und gesellschaftlich
in hohem Maß von der europäischen Integration profitiert und auch aus der Einführung der
Gemeinschaftswährung Nutzen gezogen. Für uns ist deshalb Solidarität eine Selbstverständlichkeit.
Dabei kann Solidarität aber nicht auf finanzielle Transfers reduziert werden. Sie
muss immer auch eine Hilfe sein, das eigene Schicksal verantwortlich selbst in die Hand zu
nehmen. Wir betonen nachdrücklich, dass die europäische Integration als Friedens- und Einigungsprojekt
einen Wert an sich darstellt, der nicht leichtfertig verspielt werden darf. Die
Politik steht bei der Bewältigung der Krise immer in der Verantwortung, die Folgen des politischen
Handelns für den Zusammenhalt Europas zu bedenken. Vergessen wir nicht: Gerade
Christen haben die Einigung Europas vorangetrieben.
Die europäische Staatsschuldenkrise hat die hohe Verschuldung auch der Bundesrepublik neu
in den Blick gerückt. Immer wieder haben auch wir deutschen Bischöfe vor einer zu starken
Staatsverschuldung gewarnt, weil diese die Handlungsfähigkeit des Staates einschränkt und
die nachfolgenden Generationen in Mithaftung für unser heutiges Handeln nimmt. Sie gefährdet
sowohl die soziale Gerechtigkeit als auch die Generationengerechtigkeit. Vor diesem
Hintergrund ist es wichtig, auch weiterhin eine nachhaltige Haushaltspolitik und eine Konsolidierung
der Staatsfinanzen anzumahnen.
Deutschland hat in den vergangenen Jahren einen erfreulichen wirtschaftlichen Aufschwung
erlebt. Diese Entwicklung ist verbunden mit einem eindrucksvollen Abbau der Arbeitslosigkeit.
Es ist jedoch ein Gebot der Gerechtigkeit, auch denjenigen Chancen zum gesellschaft2
lichen Ein- und Aufstieg zu eröffnen, die derzeit noch vom Erwerbsleben und von gesellschaftlicher
Teilhabe ausgeschlossen sind oder die in prekären Arbeitsverhältnissen verharren.
Die Worte und das Handeln Papst Franziskus‘ mahnen uns, an die Ränder der Gesellschaft zu
schauen: Keiner darf abgeschrieben werden. Keiner ist überflüssig, wie Papst Benedikt XVI.
gesagt hat.
Mit seinem Besuch auf der Insel Lampedusa hat Papst Franziskus die Aufmerksamkeit auf
das Schicksal der Flüchtlinge gelenkt, die den Weg nach Europa suchen. Die Lage in einigen
südlichen Ländern Europas, in denen die Flüchtlinge zunächst anlanden, ruft nach einer fairen
Lastenverteilung in der Europäischen Union. Wie wir uns der Herausforderung durch die
Flüchtlinge stellen, wird zu einem Test unserer Mitmenschlichkeit. Insgesamt darf uns die
europäische Krise nicht dazu verleiten, die globalen Probleme zu vernachlässigen. Die drängenden
Herausforderungen unserer globalisierten Welt verlangen ein erneuertes und vertieftes
Engagement. Hunger- und Armutsbekämpfung müssen deshalb auf der Tagesordnung der
deutschen Politik bleiben. Nach wie vor sollten wir am Erreichen der sogenannten Milleniumsziele
festhalten, die von fast allen Völkern der Welt akzeptiert wurden. In diesen Zielen
geht es unter anderem um Bekämpfung der Armut. Denn immer noch leidet eine Milliarde
Menschen auf der südlichen Halbkugel unserer Erde unter extremer Armut. Ihre Perspektivlosigkeit
ist nicht selten auch Quelle von Unfrieden und Gewalt. Im Sinne der Nachhaltigkeit
muss die Hunger- und Armutsbekämpfung zudem mit Maßnahmen zum Klimaschutz und zur
Bewahrung der Schöpfung verbunden werden.
Mit der Energiewende hat Deutschland einen umfassenden Prozess eingeleitet, um die Energieversorgung
unserer Industrienation nachhaltig zu gestalten. Damit hat Deutschland eine
Vorreiterrolle eingenommen. Gerade deshalb sind wir herausgefordert, diesen Prozess erfolgreich
fortzuführen. Dies ist nicht nur eine technische Frage, sondern eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, bei der viele Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Vordergründig
sind die ökologischen Folgen von Energieerzeugung und –verbrauch zu bewältigen.
Zur Nachhaltigkeit des Prozesses gehört aber auch, dass die sozialen Folgen der Energiewende
bedacht werden. Durch steigende Energiepreise dürfen keine neuen sozialen Ungerechtigkeiten
entstehen. Auch hier gilt das Prinzip der Solidarität.
Als positives Signal nehmen wir wahr, dass die Familienpolitik wieder stärker in den Mittelpunkt
der politischen Debatte gerückt ist. Ehe und Familie bedürfen der besonderen Anerkennung
und der Unterstützung. Die Politik muss Rahmenbedingungen für Familien schaffen,
damit sie ihr Familienleben möglichst weitgehend nach eigenen Vorstellungen und orientiert
an den Bedürfnissen ihrer Kinder gestalten können. Mit Sorge beobachten wir politische Bestrebungen,
den Ehebegriff auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften auszuweiten. Seit
jeher gilt die Ehe als Verbindung von Mann und Frau, die prinzipiell offen ist für Nachkommen.
An diesem Verständnis sollte festgehalten werden. Unsere Gesellschaft braucht für ihre
Zukunftsfähigkeit Ehepaare und Familien, die das Zusammenleben tragen und bereit sind,
Leben weiterzugeben. Das Grundgesetz stellt sie unter einen besonderen Schutz, der Beachtung
verlangt.
Der Umgang mit dem menschlichen Leben ist ausschlaggebend für die Qualität einer Gesellschaft.
Mit Besorgnis nehmen wir wahr, dass sich Tendenzen verstärken, menschliches Leben
an seinem Anfang und seinem Ende als verfügbar zu behandeln. Die Selbsttötung eines unheilbar
kranken Menschen und die Beihilfe dazu gelten vielen Menschen als Ausdruck freier
Selbstbestimmung. Als Christen wissen wir aber: Das Leben ist eine kostbare Gabe Gottes,
die es unbedingt zu schützen gilt. Jedem Menschen kommt unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit
eine unantastbare Würde zu. Es ist daher Aufgabe der Politik, sich beständig für den
Schutz der Würde auch des ungeborenen, kranken, behinderten und alten Lebens einzusetzen.
In den letzten Jahren werden die Rolle und die Stellung der Religion in Gesellschaft und Staat
stärker auch politisch diskutiert. Dabei stoßen zunehmend auch bewährte Formen der Beziehungen
von Staat und Kirche auf Kritik. Einerseits werden die Kirchen gerne als sozial förderlich
angesehen; andererseits fühlt man sich vom Glauben eher belästigt. Wir wenden uns
gegen ein verkürztes Verständnis von Religionsfreiheit, das dem Glauben nur einen Raum in
der Kirche zuweist. Der christliche Glaube erfordert zwar eine individuelle Entscheidung, ist
aber keine reine Privatangelegenheit.
Liebe Schwestern und Brüder, eine nachhaltige Politik braucht verantwortungsvolle Politiker.
Kandidatinnen und Kandidaten für den Deutschen Bundestag sollen sich engagiert und glaubhaft
für politische Ziele einsetzen, die aus christlicher Sicht unverzichtbar sind. Verantwortungsvolles
Handeln ist aber nicht nur eine Anforderung an Politiker, sondern auch an jeden
Einzelnen. Deshalb bitten wir Sie, Ihre Verantwortung wahrzunehmen und sich an der Bundestagswahl
zu beteiligen, aber auch immer wieder für unser Gemeinwesen und die politisch
Verantwortlichen zu beten.
Für das Bistum Regensburg
+ Rudolf
Bischof von Regensburg