Laut dem Sozialverband VdK ist die Armutsgefährdungsquote weiter gestiegen: 14,7 Prozent der bayerischen Bevölkerung seien 2019 armutsgefährdet gewesen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist die Quote bei uns niedrig. Also eigentlich kein Anlass zur Sorge – oder?
Michael Weißmann: Doch, auch hier in Regensburg gibt es Armut. Es geht nicht um einen bloßen Vergleich zwischen den Bundesländern, sondern um ein ernstzunehmendes Problem in unserer Gesellschaft. Dieses hat sich nicht zuletzt durch die Pandemie noch einmal verschärft. Außerdem sind armutsgefährdete Personen von den ständig steigenden Preisen besonders betroffen. Aktuell sind es zum Beispiel die Strom- und Gaspreise, die vielen Menschen große Sorgen bereiten. Bereits letztes Jahr hat der Caritasverband eine Erhöhung der Grundsicherung gefordert und gerade jetzt wird die Dringlichkeit dieser Forderung noch einmal deutlich.
Die Armutsgefährdungsquote wird vom Statistischen Bundesamt rechnerisch ermittelt. Doch umfasst sie wirklich alle Menschen, die von Armut bedroht sind?
MW: Leider keineswegs. Der Begriff „verdeckte Armut“ beschreibt den Umstand, dass circa 40 Prozent der Leistungsberechtigten die Grundsicherung nicht in Anspruch nehmen wollen oder können. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von den Hürden der Bürokratie bei der Antragsstellung bis hin zu Schamgefühlen. Außerdem kann aus einer geordneten Verschuldungssituation sehr schnell eine existenzbedrohende Überschuldung entwachsen. Hier ist eine schnelle Unterstützung der Betroffenen notwendig, um Schlimmeres abzufangen. Kurzum: es kann jeden und jede treffen. Deshalb müssen die Hilfsangebote klar kommuniziert werden.
Kinder und Jugendliche aus Haushalten mit geringem Einkommen leiden unter der Armut; ihnen bleibt Teilhabe oft verwehrt. Was für wohlhabendere Familien kein Problem ist, stellt Familien mit geringem Einkommen vor große Schwierigkeiten. Wie kann der Teilhabeprozess verbessert werden?
MW: Gerade aus diesem Grund, dass Kinder und Jugendliche direkt von der finanziellen Situation der eigenen Eltern betroffen sind, müssen wir diese Gruppe mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Die Pandemie hat diese Bevölkerungsgruppe maßgeblich negativ beeinflusst: Homeschooling und die Tatsache, dass die Schülerinnen und Schüler teilweise einer angespannten Situation im eigenen Zuhause ausgeliefert waren, ließ die Schere zwischen Arm und Reich noch einmal weiter auseinandergehen.
Kinder und Jugendliche aus armutsgefährdeten oder armen Familien sind die Bildungsverlierer der Pandemie. Diese Menschen müssen aufgefangen werden; ihnen muss gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und Bildungsangebote zugänglich gemacht werden. Dies hat die Caritas bereits letztes Jahr im Zuge der Familienpatenschaften in Angriff genommen: Familienpaten übernahmen beispielweise Kosten für Vereinsmitgliedschaften oder Musikunterricht, aber auch für Erholungsmaßnahmen und vor allem für den Bildungsbereich.
Wenn junge Erwachsene schließlich selbst ins Berufsleben übertreten, dann hätten sie rein theoretisch die Chance, selbst mehr zu verdienen. Warum sind aber Jugendliche aus Geringverdiener-Familien trotzdem besonders von Armut bedroht?
MW: Jugendliche, die bei ihren Eltern leben und ihr 18. Lebensjahr erreichen, werden in der Regel zur Bedarfsgemeinschaft der Eltern im Rahmen von ALG II eingerechnet. Das heißt: Geld, das von den Eltern beantragt worden ist, wird potenziell von den Jugendlichen als Überzahlung rückgefordert, sobald sie volljährig sind und Geld verdienen. Diese Jugendlichen wägen sich also in der Sicherheit, mit der Ausbildung oder dem Job ihr eigenes Geld zu verdienen, starten jedoch mit Schulden ins Berufsleben. In solchen Fällen ist es wichtig, Einspruch einzulegen und eine Vermögensauskunft beim Jobcenter vorzulegen. Die Experten der Caritas Regensburg können dabei helfen, sich über die rechtlichen Möglichkeiten in so einem Fall zu informieren. Zusätzlich bietet die Schuldner- und Insolvenzberatung ein Expertentelefon während der Armutswochen an.
Inwieweit hat sich die Situation jungen Erwachsenen durch die Corona-Krise verschlechtert?
MW: Das fängt schon bei der Arbeitsplatzsuche an: In den vergangenen zwei Jahren waren Praktika kaum möglich; zudem sind in vielen Branchen Ausbildungsplätze oft komplett weggefallen, da die wirtschaftliche Lage für viele Betriebe unsicher schien.
Für viele war die Situation zu Hause eine zusätzliche Belastung: Das Lernen wurde durch den Distanzunterricht nach Hause verlegt; vielfach fielen praktische Unterrichtsstunden weg. Aber natürlich nicht nur bei einer Person: Plötzlich war die ganze Familie rund um die Uhr zu Hause – mit all ihren Problemen. Sich zurückziehen wurde da oft schwer, das Stresslevel stieg bei Kindern und Jugendlichen stark an.
Wie hilft die Caritas Regensburg jungen Erwachsenen bei ihrer „Verselbstständigung“?
MW: Die Allgemeine Sozialberatung ist für alle da – selbstverständlich auch für Jugendliche und junge Erwachsene. Gerade beim Übergang von der Schule ins Berufsleben stellen sich plötzlich ganz neue Fragen: Wie läuft das eigentlich mit den Steuern? Welche Rechte habe ich als Arbeitnehmer? Auch die Tagesstruktur sieht plötzlich ganz anders aus: Manche müssen für die Ausbildung zum ersten Mal von zu Hause ausziehen – wie können sie sich eine eigene Wohnung leisten? Die Sozialberatung leistet Hilfe beim Umgang mit sämtlichen Ämtern und Behörden.
Und auch bei der Suche nach geeigneten Ausbildungsplätzen kann die Caritas Regensburg manchmal weiterhelfen – schließlich bieten wir in der gesamten Diözese zahlreiche Ausbildungsplätze sowie Praktika im sozialen Bereich an. Aber wir haben auch immer wieder Ausbildungsplätze im kaufmännischen Bereich und bilden sogar Fachinformatiker aus.
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