Dietrich Bonhoeffer im Kreise von Studenten, 1932

80 Jahre Ermordung Dietrich Bonhoeffers

Ein Märtyrer der ganzen Christenheit

© Martin-Niemöller-Stiftung und Dietrich Bonhoeffer-Verein e.V.


Flossenbürg / Regensburg, 9. April 2025

Vor 80 Jahren wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg auf dem Gebiet des Bistums Regensburg von den Nazis umgebracht. Unbeugsam ging er seinen Weg zum Strang, getragen von Glauben und Liebe. Wer war dieser Theologe, der in seiner Jugend ein passionierter Wanderer, Klavier- und Tennisspieler war, der die Welt durchmessen, Europa durchquert hatte?

Der deutsche Pastor und Widerstandkämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Für den Glauben und für die Wahrheit zu sterben, lies ihn schnell zum Märtyrer des 20. Jahrhunderts werden. Seine Gottesfürchtigkeit wie sein Wissen, dass das Gute über die dämonische Macht des Bösen, inkarniert im damaligen Nationalsozialismus, siegen wird, zählte für ihn zu einem unverbrüchlichen Geheimnis des Glaubens. Die guten Engel waren es gewesen, die ihn in dunklen Zeiten retteten, als das Absurde ihn wie ein Krake in den Händen hielt, das Böse mit seinen finsteren Mächten umfesselte und in die seelischen Abgründe der Verzweiflung führte. Wie einst Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms widerstand der Christ und Mitbegründer der Bekennenden Kirche den Schergen der Nazi-Diktatur – er blieb seinem Gewissen und Glauben bis in den Tod hinein treu und unbeugsam. Und wie einst der Reformator aus Eisleben betonte Bonhoeffer, dass die Christen die „Gehorsamspflicht“ so lange binde, „bis die Obrigkeit ihn direkt zum Verstoß gegen das göttliche Gebot zwingt.“ Wenn das System aber unmenschlich und antichristlich wird, wurde für Bonhoeffer der Widerstand gegen die Barbarei, die Verbrechen an der Menschlichkeit Christenpflicht.

Der Erzfeind Adolf Hitlers

Am 9. April 2025 jährt sich nun zum 80. Mal sein Todestag. Zusammen mit weiteren Angehörigen des Widerstands um den 20. Juli 1944, dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler, wurde er am 9. April 1945 im Arresthof des Konzentrationslagers Flossenbürg durch den Strang hingerichtet. Ohne Angst, dem Tod in die Augen zu blicken, ist Bonhoeffer diese letzten Schritte hin zum Schafott seines irdischen Lebens gegangen – nicht zuletzt in der Gewissheit und Hoffnung auf ein gnadenreiches ewiges Leben. Berühmt wie emotional berührend. Eine letzte Botschaft kurz vor dem Tod, durch einen Mitgefangenen überliefert, gerichtet an den väterlichen Freund und großen Ökumeniker Bischof George Bell: „Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende ist, aber auch der Anfang. Mit ihm glaube ich an unsere weltumspannende christliche Bruderschaft, die sich über allen nationalen Hass erhebt, und: dass unser Sieg gewiss ist.“

Ob seines couragierten Eintretens gegen den Nationalsozialismus geriet er bereits früh in das Visier der Nazis. Bald stand er auf der Top-Todesliste jener Personen, die Führer und Reich massiv bedrohten. Adolf Hitler selbst hatte sich des Schicksals des aus Breslau gebürtigen Pastors angenommen und dieses bis zu seinem Tod – schon als der Krieg verloren war – persönlich verfolgt und den Tod höchstpersönlich angeordnet. Im Jahr 1943 wurde Bonhoeffer von den Nationalsozialisten in Berlin verhaftet. Während dieser Zeit schrieb er Briefe und Gedichte an seine Familie und Freunde. Es müssen schreckliche Stunden und Tage gewesen sein, die er im Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, in der Prinz-Albrecht-Straße, durchlitt. Geprägt von Todesangst und seiner aussichtlosen Lage, möglicherweise den Krieg nicht zu überleben, schrieb er im Dezember 1944 einen Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Auf der Hinterseite vermerkte er das Gedicht „Von guten Mächten“, welches ihn später – bis in die Gegenwart hinein – unsterblich machen sollte.

Gerade in der Zeit tiefster Ungewissheit und größten Leides spiegelt sich in den Zeilen keineswegs Resignation über sein aussichtloses Schicksal. Vielmehr verleihen die Worte eine tief empfundene Hoffnung und das Vertrauen auf die Gegenwart Gottes. Schon 1940 erhielt Bonhoeffer Rede- und 1941 Schreibverbot. Die Angst vor dem „kleinen Theologen“, der wie Alfred Delp und Paul Schneider, der Prediger von Buchenwald, ein ganzes System zu Wanken bringen könne, war bei den Nazis groß. Alles, was sie aus ihrer menschenfeindlichen Ideologie verachteten, was ihnen am bösen Herzen fremd war, wehte durch die Reden und Schriften dieser Theologen, war Ärgernis und Bedrohung des sich als allmächtig verstehenden Systems. Gegen die Unmenschlichkeit und den Rassenwahn von Hitler und Co plädierten die Widerständler für die Menschenwürde, gleich welcher Religion und Hautfarbe sie angehörten. Anstelle auf Repression, Angst und Kriegseuphorie setzten sie auf Zivilcourage, Alltagstugenden, Ehrlichkeit und die Einheit von Reden und Tun.

Im Gefängnis, 1943, schrieb Dietrich Bonhoeffer sein persönliches Glaubensbekenntnis, das sein ganzes Denken, Fühlen, Wollen und Handeln, aber auch seine Zuversicht spiegelte: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, daß auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und daß es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

 „Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst.“

Verweigerte die Kriegseuphorie vielen Deutschen eine kritische Wahrnehmung und Reflexion auf das Unrechtregime, waren viele durch die Nebelkerzen verblendet, durch die Propaganda gefangen und aus Angst vor Repression und Konzentrationslager zu Mitläufern der NS-Ideologie geworden, so gab es doch viele, die sich nicht den Rücken verbogen und den Mut hatten, sich zu widersetzen. Die Liste jener Menschen ist lang. Sie alle, die Verschwörer des Hitlerattentates, wie auch der seit Anbeginn gegen Hitler rebellierende Journalist Fritz Gerlich waren wie Bonhoeffer von einem fast übermenschlichen Mut getragen, dem Nationalsozialismus als unmenschlicher Diktatur den Kampf anzusagen. So forderte Bonhoeffer bereits 1933 in dem Radiovortrag „Wandlungen des Führerbegriffes“ eine Begrenzung totaler Machtfülle des Kanzleramtes durch rechtsstaatliche Ordnung und Volkswohl: „Der echte Führer […] muß die Geführten von der Autorität seiner Person weg zur Anerkennung der echten Autorität der Ordnungen und des Amtes führen […] Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes.“ Bonhoeffer, einer der profiliertesten Vertreter der Bekennenden Kirche nahm bereits April des gleichen Jahres öffentlich Stellung gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung. Er engagierte sich im Kirchenkampf und bezog Stellung gegen die Deutschen Christen.

Bonhoeffer rebellierte gegen den Arierparagraphen im Berufsbeamtengesetz und verhalf in späteren Jahren jüdischen Gläubigen zur Flucht. Als einer der ersten thematisierte er das Verhältnis der NS-Rassenideologie zum christlichen Glauben und griff die traditionelle antijudaistische Substitutionstheologie auf: „Niemals ist in der Kirche Christi der Gedanke verloren gegangen, daß das ‚auserwählte Volk‘, das den Erlöser der Welt ans Kreuz schlug, in langer Leidensgeschichte den Fluch seines Leidens tragen muss.“  […] „Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst.“ Gegen diesen Staat sich aufzulehnen, der mit seinen Gesetzen gegen die Menschlichkeit verstößt, bleibt daher eine Christenplicht. Die Plicht zu protestieren, zu widerstehen, darf nur auf friedlichem Weg geschehen. Mahatma Gandhis Friedensethik des gewaltlosen bzw. gewaltfreien Widerstandes hatte den Theologen tief geprägt, seine Vision blieb eine Weltgemeinschaft, in der alle Menschen in Frieden miteinander koexistieren. „Es gibt keinen Weg zum Frieden – Frieden ist der Weg.“ „Wer von uns darf denn sagen, daß er wüsste, was es für die Welt bedeuten könnte, wenn ein Volk – statt mit der Waffe in der Hand – betend und wehrlos und darum gerade bewaffnet mit der allein guten Wehr und Waffen den Angreifer empfinge?“

„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“

Gegen das Rechtsbewusstsein des nationalsozialistischen Staates, der Unrecht durch positives Recht legitimierte, der den christlichen Glauben verachtete und anstelle Gottes die Idee des tausendjährigen Reiches setzte, widersetzte sich Bonhoeffer. Er kritisierte seine evangelische Kirche, weil sie dem Führer an den Lippen hänge, weil viele Christen nicht mehr an Gott und Jesus, sondern an das Reich und den Führer glauben und ihr Gewissen an den Nagel gehängt haben. In seinem Hauptwerk „Ethik“ formulierte er ein an den Zehn Geboten orientiertes stellvertretendes Schuldbekenntnis für das Versagen der Bekennenden Kirche gegenüber der Judenverfolgung seit 1933.

Früh sah er die Kirchen berufen, gegen das dämonische System der Diktatur Stellung zu beziehen, begriff er doch die Änderung politischer Zustände nicht mehr als Sache der Welt. Wenn die weltlich-politische Vernunft sich also als chancenlos und unmächtig erweist, dem repressiven System gegenüber Widerstand aufzurichten und den menschenvernichtenden Weltkrieg zu beenden, obliegt es der Kirche, mit der Realisierung der Friedensethik zu beginnen. Hinter diesem Credo steht Bonhoeffers Verständnis von Kirche, die gleichwohl „Offenbarungsform sowie „ein Stück Welt“ ist. „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“ ganz in der Analogie, dass „Christus der Mensch für andere ist“.

Die evangelische Kirche hatte ihre Wächterfunktion gegenüber dem NS-Staat nicht wahrgenommen, so der langjährige Wissenschaftler und Hochschullehrer. Seiner Kirche hielt er 1944 kritisch den Spiegel vor Augen, dass sie „nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft […]“ habe, als wäre dies einzig und allein ihr Selbstzweck. Diese Kritik war vom evangelischen Theologen auch und insbesondere an die Deutschen Christen gerichtet, eine rassistische, antisemitische und sich am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte. Den Zusammenbruch der organisierten Kirchen sah der Theologie als eine Folge der zu „billig“ erworbenen Gnade und zog daraus negative Bilanz des Volkskirchentums.

Die gewissenlose Republik

Die gewissenlose Republik ist Bonhoeffer ein Zeichen dafür, dass der christliche Glaube an Wirk- und Stahlkraft verloren hat. Frühzeitig hatte er die Kirchenferne des Bürgertums diagnostiziert und beklagte eine leere Religiosität innerhalb der Kirche. Dieser Säkularisierungsschub, dieser Hang des Einzelnen nur noch sich zu spiegeln, diese Passivität aus einer wohlsituierten Egozentrik heraus, hat die Menschen nicht nur sich selbst, sondern auch gegenüber Gott entfremdet. Wo der Glaube aber fehlt, breitet sich der Relativismus aus, dem letztendlich auch die christlichen Werte und Gebote verlustig gehen.

Sich der Selbstauslösung des Glaubens entgegenzustellen, wird für Bonhoeffer der Ort der Entscheidung. Wachrütteln will er mit seiner Theologie, mit seinen Werken Nachfolge“ und seiner „Ethik“. Er lehnt die Zwei-Reiche Lehre ab und spannt den Glauben buchstäblich vom Himmel auf die Erde. Glauben an Gott gibt es nur im Diesseits. Den puren „Jenseits-Gott“ als das Wesenskonstitutive der „Religion“ lehnt er ab. „Seit Gott in Christus Fleisch wurde und in die Welt einging, ist es uns verboten, zwei Räume, zwei Wirklichkeiten zu behaupten: Es gibt nur diese eine Welt.“ „Gott ist da; d.h. nicht in ewiger Nichtgegenständlichkeit, sondern – mit aller Vorläufigkeit ausgedrückt – ,habbar‘, fassbar in seinem Wort in der Kirche.“ Und: „Allein weil Gott ein armer, elender, unbekannter, erfolgloser Mensch wurde, und weil Gott sich von nun an allein in dieser Armut, im Kreuz, finden lassen will, darum kommen wir von dem Menschen und von der Welt nicht los […],“ bekennt der Theologe, der an der Maxime festhält, dass wir auf Erden so leben müssten, als ob es Gott nicht gäbe. „Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in dieser Welt leben müssen, als ob es Gott nicht gäbe. Und eben dies erkennen wir vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. … Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt. Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“

Zwei Welten – Realität Gottes und In-der-Welt-Sein

Leben in der Realität Gottes und zugleich in der Welt-Sein – für Bonhoeffer sind das keine zwei parallele Universen, vielmehr kommt der gläubige Mensch nur durch die Welt hindurch zu Gott, aber nicht an der Welt vorbei. Und mehr noch: Nicht nur durch die Welt zu Gott, sondern auch durch die Gemeinschaft mit den anderen, dem Eingebettet-Sein in die christliche Gemeinschaft, vermag der Gottesbezeug gelingen.

Gegen eine positivistische Ethik im Sinne von August Comte, die sich lediglich auf eine Zweckorientierung und Wissenschaftlichkeit reduziert und damit die Wirklichkeit Gottes verleugnet, stellt Bonhoeffer seine Christozentrik und den Gedanken, dass die Kirche eine Gemeinschaft von Seelen, ein realer Leib Christi auf Erden, ist. „Christus als Gemeinde existierend“ wird so zu einem Schlaglicht seiner Theologie, in der Gott sich offenbart, um nicht frei vom Menschen, sondern frei für den Menschen zu sein. Wenn Menschen und Gott zusammenkommen sollen, so nur durch den Weg Gottes zum Menschen. So zeigen das Leben und der Tod Jesu in aller Deutlichkeit, dass Gott dem Menschen in einer bedingungslosen Liebe nachgeht, die „stärker ist als der Tod“ ist. Und dieser Christus kann „nicht in einem An-sich-sein, sondern nur in seinem Für-mich-sein, in gegenseitiger personaler Bezogenheit und nur in der Gemeinde gedacht werden.“

Ohne Kreuz keine Auferstehung

Ohne Kreuz, ohne ein Leben in Leid, gibt es für Bonhoeffer keine Auferstehung. Sein eigenes Leben hatte er unter das Kreuz gestellt. Er ertrug die Qualen, die ihm das Schicksal fesselnd an die Füße schnürte. Sich selbst für den Glauben zurückzunehmen, sich in der Diesseitigkeit allen Erfolgen und Misserfolgen, allen Erfahrungen und aller Ratlosigkeit zu stellen, hat er stets als ein Gott-ganz-in-die-Arme-Werfen verstanden. Nur so vermag man „nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt“ ernst zu nehmen“. „Dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist Metanoia und so wird man ein Mensch, ein Christ.“ Allein durch die Metanoia verändert der Mensch sein Denken, Handeln und seine Art zu leben und die Welt zu interpretieren – aber genau diese wird durch die Krise erzwungen. Bonhoeffer hat diese rigorose Wendung im eigenen Denken vollzogen und ist auf das Schafott gestiegen, wohlwissend, dass dies nicht sein Ende, sondern sein Anfang ist.

Text: Stefan Groß

(sig)

Weitere Infos

Unser Bild zeigt Dietrich Bonhoeffer im Jahre 1932 im Kreis von Studenten während einer Freizeit im brandenburgischen Prebelow bei Rheinsberg, nördlich von Berlin.



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