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Prof. Dr. Josef Kreiml über geschlechtliche Identität und Familie

Leben in gelingenden Beziehungen

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Regensburg, 10. Januar 2024

Prof. Josef Kreiml ist Ansprechpartner des Bistums für den Synodalen Weg. Bei uns schreibt er über die geschlechtliche Identität und Identitätsentwicklung des Menschen, die im Forum IV des Synodalen Wegs zur Sprache kam.

Im Forum IV hat sich der Synodale Weg der Bistümer Deutschlands mit dem Thema „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ befasst. Dabei war an zentraler Stelle von „geschlechtlicher Identität“ die Rede. Dr. med. Christian Spaemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie, macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass sich die Identitätsentwicklung des Menschen – entgegen den Vorstellungen des gegenwärtigen Mainstreams – im Kontext natürlich vorgegebener Strukturen des generationenübergreifenden Gefüges der Familie vollzieht. Die natürliche Tendenz der Individuation Jugendlicher geht in Richtung Identifikation mit ihrer Herkunft.

Phänomene der Entwurzelung von Menschen

Heute sind vielfach Phänomene der Entwurzelung von Menschen wahrzunehmen. Wir erkennen einen historischen Prozess, der durch technischen Fortschritt, geänderte ökonomische Verhältnisse, die Vervielfältigung persönlicher Optionsmöglichkeiten und einen zunehmenden Individualismus gekennzeichnet ist. Zugleich können wir seit einiger Zeit die Tendenz der wirtschaftlichen, politischen und medialen, ja sogar kirchlichen Eliten in westlichen Gesellschaften beobachten, den negativen Folgen dieser Entwicklung auf die familiären Verhältnisse der Menschen nicht gegenzusteuern, sondern diese sogar zu verstärken und ideologisch zu befeuern. Der Erosion gesellschaftlicher und familiärer Ordnungen mithilfe von Ideologien eine Art normativen Status zu geben, scheint nicht wenigen Angehörigen der Führungsschichten ein angenehmes Narkotikum zu sein – angenehmer als eine nüchterne Analyse vorzunehmen und verantwortungsbewusst zu handeln (vgl. Christian Spaemann, Identität, Geschlecht und Familie, in: Welt & Kirche vom 14.12.2023, S. 2-5).

Hoffnung auf positive Entwicklungsmöglichkeiten

Wenn wir den Blick auf den Bereich „Geschlechtliche Identität und Familie“ lenken, befinden wir uns gleichsam an der Wurzel der Entwurzelung des heutigen Menschen. Dennoch tut sich an dieser Stelle Hoffnung auf. Denn es besteht die Möglichkeit, an entscheidenden Punkten die gesellschaftliche Entwicklung zu beeinflussen. „Wir können Familie gründen und Familie gestalten und an der Identitätsentwicklung unserer Kinder wesentlich Anteil nehmen, wobei uns deren natürliche Tendenz zur Identifikation mit ihrer Herkunft entgegenkommt“ (Chr. Spaemann, S. 2). Der Psychologe Klaus Schneewind kommt in Übereinstimmung mit sämtlichen Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie zu dem Ergebnis, dass „Zuneigung, emotionale Wärme, klare Regeln, Bereitstellung angemessener Anregungsbedingungen und Gewährung sich erweiternder Handlungsspielräume seitens der Eltern mit hoher Wahrscheinlichkeit zu selbstbewussten, emotional stabilen, sozial kompetenten, selbstverantwortlichen und leistungsfähigen Kindern führt“ (zitiert nach ebd., 3).

Identität und Selbstvertrauen

Mit der Identität eines Menschen meinen wir in erster Linie sein Selbstbild. Berührt sind hierbei auf der emotionalen Ebene Selbstwert und Selbstvertrauen, auf der geistigen Ebene Wissen über sich selbst. Dieses Wissen schließt Herkunft und geschlechtliche Identität genauso mit ein wie Werte und Grundeinstellungen. Schließlich gehört zu diesem Selbstbild auch eine Vorstellung über die eigenen Fähigkeiten und die Kraft, etwas gestalten zu können. Der Weg zu einer solchen Identität erscheint heute oft komplizierter als in früheren Zeiten. Er erfordert einen Prozess der Integration unterschiedlicher Einflüsse. Dabei kommt der Herkunftsfamilie grundlegende Bedeutung zu.

Intakte Familien

Die Architektur der biologischen Familie und die in ihr gelebte Sexualität als Schnittstelle zwischen den Generationen werden heute durch die Genderideologie angegriffen und infrage gestellt. In neomarxistischer Manier geht diese Ideologie davon aus, dass menschliche Verhältnisse grundsätzlich kulturell konstruiert seien. Unterschiede zwischen den Menschen – insbesondere zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern – werden vorwiegend als Quelle von Ungleichheit und Diskriminierung gesehen. „Allein die Perspektive der intakten biologischen Familie scheint zu provozieren. Menschliche Strukturen wahrzunehmen bedeutet nämlich immer, Heiles und Unheiles zu unterscheiden, gute und weniger gute Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung der Kinder zu erkennen“ (ebd., 3). Es geht den Ideologen darum, in den Köpfen der Menschen eine Sichtweise zu implementieren, die diese Unterschiede einebnet. Hierzu dient ein neues, instrumentelles Verständnis der menschlichen Sexualität. „Diese wird als Lustelement aus vorgegebenen Lebensformen gleichsam extrahiert und mit beliebigen Lebensentwürfen und Verhaltensweisen in Zusammenhang gebracht, die dann alle als gleichwertig und gleich förderungswürdig angesehen werden sollen“ (ebd.). Hier ist ein Prozess der Destruktion im Gange, der mit Wucht medial und pädagogisch auf die Kinder und Jugendlichen einwirkt.

Die identitätsstiftende Kraft intakter Familien

Werfen wir einen Blick auf das Generationengefüge und seine identitätsstiftende Kraft: Kern dieses Gefüges ist die auf Harmonie, Ergänzung und lebenslange gegenseitige Unterstützung angelegte Gemeinschaft von Mann und Frau. Die Frau ist im Durchschnitt fürsorglicher und harmoniebedürftiger als der Mann. Herangewachsen neigen Frauen zu mehr familienorientierten Lebensentscheidungen, zu Mischformen aus Beruf und Familie und zu weniger technischen Tätigkeiten, dafür zu mehr sozial sinnerfüllten Tätigkeiten. „Für die Kinder, Buben wie Mädchen, steht die Mutter für bedingungslose Akzeptanz und Geborgenheit“ (ebd., 4). Bei den Männern finden wir stärker die Neigung zu berufsorientierten Lebensentscheidungen und die gehäufte Tendenz zu technischen Tätigkeiten. In der Familie zeigt der Mann eine eher instrumentell-organisatorische Fürsorglichkeit. Als Vater steht er für eine Art Mentoring ins Leben hinaus. Geschwister stehen für die Dauer ihres Lebens in einem Solidaritätsverhältnis und bilden dadurch gegenüber den jeweiligen Familien und Freundeskreisen ein eigenes Sicherheitsnetz. Je mehr Geschwister jemand hat, desto „geringer ist die spätere Scheidungsrate ihrer Ehen. In der Kindheit wird gelernt, was man miteinander aushalten kann. Was die langfristige Entwicklung der aus ihr hervorgegangenen Kinder anbelangt, ist die intakte biologische Familie allen anderen Lebensformen weit überlegen. Dies gilt genauso für psychische Stabilität, Suchterkrankungen und finanzielle Selbständigkeit, wie für die Wahrscheinlichkeit, selber wieder eine stabile Familie mit Kindern zu gründen“ (ebd., 5).

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Bischöflicher Beauftragter für den Synodalen Weg im Bistum Regensburg

(kw)



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