Regensburg, 27. Dezember 2024
Holger Kruschina, 1971 in Brand geboren und aufgewachsen, wurde nach Schule und Studium 1996 zum Priester der Diözese Regensburg geweiht. Seit 2018 wirkt er als Regionaldekan für die Region Cham und ist seit 2023 Pfarrer von Nittenau und Fischbach. Wir haben uns mit ihm u. a. über die Herausforderungen, vor denen die Pfarreien stehen, die Stärkung des Ehrenamtes und über das Thema Evangelisierung unterhalten.
Warum sind Sie Priester geworden?
Der Gedanke kam tatsächlich erst kurz vorm Abitur. Aber im Rückblick sieht man viele „Spuren“, die auf diesen Weg geführt haben: ein gutes, katholisches, aber nicht zu „enges“ Elternhaus, die Pfarrjugend, Priestervorbilder, Engagement in der Gemeinde und in der Liturgie, das Gebet und in meinem Fall auch die Musik, die schon immer eine große Schnittmenge mit dem Glauben hatte. Nach anfänglicher Verunsicherung, was „das“ jetzt soll, hab ich mich bald eingefunden in den Gedanken – und den Schritt, auch in schwierigeren Zeiten, bis heute noch nie bereut.
Wie kann man aktuell junge Menschen für die Kirche gewinnen? Wie können wir wieder zu Menschenfischern werden?
Das Wort vom Menschenfischer ist aufschlussreich: Den Anfang macht ja Jesus, der in eine durch und durch religiös geprägte Gesellschaft hinein spricht und wirkt. Diese Grundvoraussetzung ist, zumindest in unserer westlichen Gesellschaft, zu einem großen Teil abhanden gekommen. Auch dürfen wir uns keine Illusionen machen: Bis ins Mittelalter waren wir in der Breite reines Missionsland, dann waren weltliche und religiöse Macht über Jahrhunderte eng verflochten. Am ehesten Hoffnung gab das 19. Jahrhundert, als flächendeckende Bildung– neu vor allem im ländlichen Bereich – und Herzensbildung neue Aufbrüche auch im Glauben hergaben. Aber eine komplette „Durchsäuerung“ der Gesellschaft war nur ein Wunschdenken. Heute gilt es, allen ein Angebot zu machen und mit dem kleineren Teil einen intensiveren Weg zu gehen. Die Jesus-Bewegung war kein Massenphänomen, machte aber keinen Unterschied bei „den Armen“. Das müssen wir uns neu vergegenwärtigen. In diesem Sinne werden wir immer auch Jugendliche gewinnen können, einen Teil für länger, einen Teil auf Zeit. Wir werden uns gerade mit Blick auf sie mühen müssen, uns mehr in ihren Kommunikationsformen zu bewegen, Stichwort „social media“. Ich warne aber davor, in Konkurrenz mit Großereignissen, Events treten zu wollen: das sind singuläre Phänomene und Blender, das darf nicht unser Niveau werden.
Welches sind die großen Herausforderungen, vor denen die Pfarreien stehen?
Die Pfarreien sind eine Frucht der letzten 150 Jahre: häusliches und nachbarschaftliches Gebet, der Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus im Ort, die Berufungen in den zwei folgenden Generationen haben dafür gesorgt, dass Pfarrei „nah“ und kleinteilig war. Die Impulse des Konzils von der „versorgten“ zur „sorgenden“ Gemeinde fanden nur in Teilen der Pfarrgemeinde guten Boden. Ganz ehrlich: ist ja auch bequemer. Wichtig ist es, nicht Verlust, sondern Veränderung zu sehen und hier kreativ zu werden. Noch einmal zurück: Wo die Hauskirche nicht lebt, hat es auch die Gemeinde schwer. Da bin ich ganz bei unserem Bischof. Wie die Hauskirche freilich heute gestärkt werden kann, werden wir immer wieder neu ausprobieren müssen. Dinge in den Pfarreiengemeinschaften zu bündeln und zu verschlanken, kann durchaus der „Gesundheit“ förderlich sein – aber verhungern dürfen sie uns nicht!
Wie kann man das Ehrenamt stärken?
Das Ehrenamt lebt laut KMU da stärker, wo sich Menschen auch als kirchlich verstehen – das darf und muss unsere kritisch säkulare Gesellschaft ruhig sehen! Trotzdem tun sich alle schwerer, Menschen auf Dauer für ein Ehrenamt zu begeistern. Projektorientierte, zeitlich begrenzte Ansätze können motivierend wirken. Stärker nach Charismen zu fragen, damit die Menschen sich in ihrem „Amt“ spielen und wohl fühlen. Niederschwellige und vertiefende Angebote der Begleitung, also eine differenzierte Form. All das ist wichtig. Ich habe gute Erfahrungen mit Gruppen, das ist auch als Hauptamtlicher gut leistbar: Nicht nur die Minis, sondern auch die Kommunionhelfer z.B. zu Gebet und Agape einzuladen – oder gezielt die Lektoren zum Bibelgespräch. Am besten wären eins-zu-eins-Gespräche, klar, aber das ist ja nicht zu leisten. Trotzdem wird es immer einen Kreis geben, der „enger“ ist und nach außen multiplizieren kann. Da denk ich jetzt an den Gründer der Landjugend und des Landvolkes, Emmeran Scharl, dessen Nachfolger ich von 2006 bis 2011 sein durfte. Der hat damals schon von „Zwiebelschalen“ gesprochen: vom Kern aus weiter nach außen. Und: Wertschätzung unseren Engagierten gegenüber, das ist das A und O!
Welche Rolle spielt das Thema Neuevangelisierung? Welche Rolle spielen dabei die Sozialen Medien?
Wir befinden uns in einer doppelten Übergangsphase. Für Viele ist Kirche noch sehr präsent und schleppt das Narrativ der Ewiggestrigen mit sich herum: zu den Klassikern wie Hexenverbrennung und verklemmenden Zölibat, dem vermeintlichen Reichtum und einem – aus meiner persönlichen Sicht – undifferenzierten Vorwurf einer Unterdrückung der Frau (wie gesagt: bitte differenzieren!) kommt der große Skandal des Missbrauchs. Das alles prägt ein ungemein schlechtes Bild der Kirche, die man „schon zu kennen“ meint. Erst in einer oder zwei Generationen wird man uns neu begegnen, wie es z.T. schon in den ostdeutschen Bundesländern geschieht. Aber ein Massenphänomen werden wir da bei der Konkurrenz von irdischen Heilsversprechen mit unserem transzendenten Ansatz nicht werden. Das setzt aber auch Kräfte frei, da bin ich zuversichtlich. Den zweiten Übergang habe ich bereits beschrieben: den schmerzhaften Abschied vom Gewohnten innerhalb der Kirche.
Die Sozialen Medien spielen eine große Rolle, denn Narrative verstärken sich in den „Informationsblasen“. Diese zu durchbrechen ist aber für alle schwer, auch für Politik und Zivilgesellschaft. Da müssen wir einfach dranbleiben.
Was zeichnet die Kirche im 21. Jahrhundert aus? Welches sind die großen Themen, denen wir uns stellen müssen?
Die Kirche bekommt erst in den letzten Jahrzehnten und durch die sozialen Medien noch einmal verstärkt mit, was „katholisch“ heißt. Unsere Themen hier interessieren anderswo überhaupt nicht, das müssen wir akzeptieren und sehen, dass es uns zwischen dem Anspruch unserer westlichen Gesellschaft und dem gemeinsamen Weg im Zeugnis des Glaubens nicht zerreißt! Gleichzeitig spielen wir wie niemand sonst seit Jahrhunderten auf der Klaviatur eines „Global Players“. Da haben wir einen echten Trumpf vor jeder Regierungs- oder anderen Organisation. In diesem Sinne müssen wir uns noch mehr als jemand verstehen, der das Ganze im Blick hat: Klimawandel kennt keine Grenzen, politische und gesellschaftliche Verwerfungen sind ein Kontinente überschreitendes Phänomen. Das ist also unser Thema! Gleichzeitig sind wir „nicht von dieser Welt“ und haben auch eine Hoffnung zu bezeugen, die nicht nur vertrösten will!
Wie kann den Gläubigen die Angst genommen werden, die angesichts der Pastoralen Entwicklung 2034 immer wieder für Verunsicherung sorgt?
Man muss fleißig „kommunizieren“. In den klassischen Medien, bei uns vor allem dem Pfarrbrief. Ich habe hier gute Erfahrungen mit einem regelmäßigen persönlichen Editorial gemacht, „Mein Wort an Sie“. Hier fühlen sich Menschen auf diesem Weg sehr direkt angesprochen. Kommunizieren heißt auch: Erklären, die Menschen mitnehmen, einbinden. Man sollte zudem dem Kurzzeitgedächtnis auf die Sprünge helfen: Die Vorabendmesse ist erst 60 Jahre alt, es gab sie nicht „schon immer“. Wie ging das damals? Ältere Leute können auch noch berichten, wie es ohne Auto war. Seien wir mal ehrlich: Wer zu einer bestimmten Zeit jeden Sonntag eine Messe mitfeiern möchte, kann sich, Gebrechliche natürlich ausgenommen, ins Auto setzen und fährt maximal vielleicht 20 min.
Viele Christen dagegen gehen jetzt schon immer noch regelmäßig, aber nicht mehr jeden Sonntag. Denen reicht die Kirche am Ort alle zwei bis drei Wochen! Ich rede hier jetzt nicht vom Sonntagsgebot, sondern von der Realität.
Auch an diesem Weihnachten geben sich viele mit der Andacht und dem Krippenspiel zufrieden, wie schon seit Jahren! Gerade die O-W-Christen haben eine diffuse Vorstellung von Festgottesdienst. Das kann dann auch eine Vesper oder eine Andacht sein, Hauptsache „Stille Nacht“.
Wo wir nicht nachlassen dürfen, sind die Kasualien, also wenn – um flapsig zu bleiben – die U-Boot-Christen auftauchen. Da müssen wir Qualität und Nähe liefern – und gerade da auch die Verbindung mit Gott knüpfen! Es ist für die Geistlichen in Zukunft hilfreich, dass in unserer Diözese hier auch immer mehr Menschen mit eingebunden werden können, etwa pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Beerdigungsdienst oder Katechisten und – innen in der Sakramentenbegleitung.
Welche besonderen Feste feiern im Sie im Kirchenjahr 2025?
Ich werde sehen, ob und wie ich das „Heilige Jahr“ mit einbringen kann. „Pilger der Hoffnung“ ist ja ein schönes Leitwort. Große Jubiläen stehen bei uns nicht an. Das Jahr 2023 war da voll genug, einschließlich des Pfarrerwechsels. Für mich steht auch im zweiten und dann dritten Dienstjahr Konsolidierung, viel Zuhören und -schauen und mit Bedacht Impulse setzen an. Persönlich werde ich im Dezember auf 30 Jahre Weihe – die erste ist ja der Diakon – zurückschauen. Aber das ist eher ein Grund zum Innehalten, nicht zum „Feiern“. Ansonsten freu ich mich immer noch und immer wieder auf den Pulsschlag, den das Kirchenjahr selbst vorgibt.
Wie können Sie den Glauben in den Familien festigen, damit die Hauskirche lebt?
In der Hochphase der Corona-Pandemie habe ich ein Jahr lang jeden Tag einen Newsletter geschrieben, der auch viele Anregungen zum „Gottesdienst daheim“ enthielt. Heuer mache ich im großen Fenster des Pfarrhofes einen Adventskalender mit einer täglichen Fortsetzungsgeschichte. Seit bald 30 Jahren halte ich Brautleutetage. Man kann heute daheim und in Gesellschaft über alles reden und sich „outen“, aber über sein Gebetsleben … das ist auch unter Eheleuten zunehmend schwierig. Noch haben wir die Chance über die Taufe und Erstkommunion der Kinder auch Impulse in die Familie zu setzen. Wahrscheinlich müssen wir in der Breite denken und bleiben: Was für den Einen eine Anregung ist, schreckt Andere ab. Nicht nur Menschenfischer, sondern Sämann halt, um im biblischen Bild zu bleiben. Sich von Dornen und steinigen Wegen nicht entmutigen lassen. Und das eine Korn, das aufgeht und Frucht bringt vor den tragen, der allein alles schenkt. Mein Glas hat er halb voll eingeschenkt, nicht halb leer. Das möchte ich vor den Menschen bezeugen.
Das Gespräch führte Dr. Stefan Groß
Foto: privat