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Interview mit Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt

Verbunden mit Fritz Gerlich und Resl von Konnersreuth

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Regensburg, 31. Januar 2025

Die Pressestelle sprach mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haselhoff. Der CDU-Politiker ist oft zu Gast im Bistum Regensburg. Wir sprachen mit ihm über den Glauben in einer zunehmend säkularen Gesellschaft sowie über den Widerstandskämpfer Fritz Gerlich und die Mystikerin Theresa von Konnersreuth. Wie der Landespolitiker im Hinblick auf die Weltsynode betonte, stünde es uns als Deutschen gut zu Gesicht, uns auch einmal zurückzunehmen. Das Interview wurde vor der grausamen Amokfahrt in Magdeburg vom 20. Dezember 2024 geführt.

Herr Ministerpräsident, Sie sind in der DDR aufgewachsen. Was bedeutete es in diesem Land, für seinen Glauben einzutreten?

Zumindest brauchte es eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Diese war nur durch eine funktionierende und religiös sehr stark gebundene Familie und Kirchengemeinde möglich, die den Schutzraum dafür gebildet haben, dass man den dauerhaften Attacken gegen die Religion und gegen die Kirchen entsprechend widerstehen konnte. Es war eine Entscheidung gegen das System und die feststehende Ideologie, die atheistisch war. Diese führte dazu, dass jeder, der Mitglied der SED werden wollte, in der Regel gleichzeitig aus der Kirche austreten musste. Es war eine Entscheidung für oder gegen dieses materialistische, atheistische, marxistisch-leninistische System, welches die Kirche und die Religion als Gegenpole einer zukunftsfähigen Entwicklung – ganz im Sinne des Marxschen Begriffs, dass die Religion Opium des Volkes ist – eingestuft und abgelehnt hat. Dem religiösen Menschen wurde dann vorgeworfen, die objektive Realität verkehrt herum wahrzunehmen, also auf dem Kopf stehend.

Wie lebendig ist der christliche Glaube im Kernland des Protestantismus heutzutage?

Die Reformation war ein ziemlicher Bruch innerhalb des damaligen „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. Trotz des Bekenntnisses zum Christentum war die konfessionelle Spaltung schon eine erhebliche Schwächung der inneren Einheit des Christentums und Europas. Der 30-jährige Krieg war ein Ergebnis davon und letztendlich auch die Reichseinigung ab 1870/71, die nicht den gesamten deutschen Sprachraum umfasste, sondern als kleindeutsche Lösung von Anfang an ebenfalls Mitteleuropa spaltete. Diese Spaltung war weitestgehend konfessionell bedingt, weil im preußisch dominierten Deutschen Kaiserreich nach 1871, auch konfessionell von der Bindungsquote her, der Protestantismus die dominierende Religion war. Die kritische Politik und Sicht Bismarcks gegenüber der katholischen Kirche führte dann zum Kulturkampf und zur Bildung der „Deutschen Zentrumspartei“, in der sich die benachteiligte katholische Minderheitsbevölkerung politisch artikulieren konnte. Aber in der Gesamtheit des Deutschen Reiches war das Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken ungefähr 65 Prozent zu 35 Prozent, also zwei Drittel protestantisch und ein Drittel katholisch. Noch in meinem Geburtsjahr 1954 war die Konfessionsbindung mehrheitlich protestantisch. 90 Prozent waren es in meiner Heimatstadt Lutherstadt Wittenberg. Heute hingegen haben wir im Osten Deutschlands nur noch Taufquoten von circa fünf Prozent.

Wie hat die sozialistische Diktatur ihre Wirkung entfaltet?

Innerhalb einer Generation hat sich durch die klare Kampflinie des atheistischen DDR-Systems die Zahl der Christen stark reduziert. Im Osten ist das Christentum von der statistischen Bedeutung her gesehen eine Marginalie. Der positive Effekt – trotz der absoluten Minderheitensituation – war, dass man ökumenisch bis in die einzelnen Schulkassen hinein zusammenrückte. Ich war zusammen mit meinem evangelischen Klassenkameraden der Einzige, der nicht zur Jugendweihe gegangen ist. Wir Katholiken waren vor die Situation gestellt, entweder die Jugendweihe zu begehen oder die Firmung. Bereits ab Anfang der 50er Jahre ging die Zahl der Taufen deutlich zurück. Bereits 1968 waren wir Christen in der Minderheit. Selbst in einem Lutherland über irgendwelche Minderheiten oder Mehrheiten eine Diskussion zu führen, geht vor dem Hintergrund der totalen Säkularisation und Kirchenferne hier in Ostdeutschland an den Realitäten vorbei.

Nach dem Aus der Ampel in Berlin – ist damit auch der Gesetzentwurf zur Ablösung von Staatsleistungen an die Kirchen vom Tisch? Die Kirchen in Deutschland erhalten diese Staatsleistungen für die Enteignung deutscher Kirchen und Klöster Anfang des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Säkularisierung. Außer Hamburg und Bremen zahlen deshalb alle Bundesländer eine jährliche Summe an die katholische und die evangelische Kirche. 2022 waren es bundesweit insgesamt rund 602 Millionen Euro. Aus welchen Gründen sind Sie gegen das Ampel-Projekt. Es gibt Ihrerseits ja eine kirchliche und eine fiskalische Gegenargumentation. 

Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, MP Dr. Reiner Haseloff

Interessierter Zuhörer: Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff lässt sich von Bischof Dr. Rudolf Voderholzer die Details des Regensburger Doms St. Peter zeigen.

Bei dieser Entscheidung waren wir im Bundesrat 14 zu null, also 14 Bundesländer sind dagegen. Die zwei Stadtstaaten Bremen und Hamburg haben sich mangels Betroffenheit zurückgehalten. Alle Flächenländer Deutschlands, ob Ost oder West, haben gesagt, dass diese Diskussion über die Ablösung der Staatsleistungen zur Unzeit kommt. Wir als Bundeländer sind finanziell derzeit gar nicht dazu in der Lage, diese Ablösung zu zahlen. Neben dieser historischen Komponente der Staatsleistungen, die auf die Säkularisation von 1803 zurückgehen, sind für mich die beiden großen Kirchen, die jüdischen Gemeinden und alle Religionsgemeinschaften Wertegeneratoren. Sie sind auch mit Blick auf unser Grundgesetz und auf den Wertekodex, der diesem zugrunde liegt, unverzichtbar. Unser Welt- und Menschenbild wäre ohne die jüdisch-christlichen Wurzeln undenkbar – angefangen bei der Würde des Menschen und dem Schutz des ungeborenen Lebens. Wenn wir diesen Wertekanon wegnehmen oder immer weiter zurückdrängen, werfe ich einen Blick auf das Diktum von Ernst Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist …“ Und ich frage: Was ist die Alternative? Dies ist für mich keine Frage von Quantitäten, sondern welcher alternative Wertekodex würde zur weiteren Begründung der Präambel des Grundgesetzes und der wesentlichen Artikel und der Ewigkeitsartikel dienen können? Da sehe ich keine Alternative. Dieser Kodex ist nicht in einem klassisch-diffusen Begriff von Humanismus zu finden, da mit diesem bereits vieles begründet wurde, so auch die Diktatur der DDR. Ich sehe daher keine anderen Werte als die jüdisch-christlichen, aus der sich unsere Gesellschaft speisen kann. Diesen Wertekanon gilt es weiterhin, auch mit Blick auf die Ewigkeitsklausel in der Gesellschaft präsent zu halten. Ich als Politiker sehe daher keine Alternative, an welcher Grundkonzeption sich eine zukünftige Gesellschaft orientieren soll. Diese Werte, die über Generationen weitergegeben, als universelle Werte gelten und immer eine Letztbegründung brauchen, kann man nicht aushebeln. Wenn sie in einer Gesellschaft nicht mehr existent sind, ist eine Renormierung der Gesellschaft aus diesen Werten unmöglich. Auf diese Grundkonzeption haben sich die Mütter und Väter nicht umsonst geeinigt.

Schon zum zweiten Mal haben Sie im Bistum Regensburg Konnersreuth besucht. Therese Neumann, genannt Resl von Konnersreuth, liegt Ihnen am Herzen. Zudem haben Sie in diesem Jahr das Fritz Gerlich-Denkmal besucht. Was verbinden Sie mit der „Resl“ und Fritz Gerlich für unsere heutige Gesellschaft, was können wir für unseren Glauben von diesen Persönlichkeiten lernen?

Man braucht einen gewissen religiösen Bezug, um die Spiritualität und diese konkrete Biografie von Theresa von Konnersreuth zu erkennen. Das Entscheidende für mich ist aber, welche Wirkung sie entfaltet hat. Sie und ihr Umfeld waren ein Stachel im Fleisch des Nationalsozialismus. Und Fritz Gerlich war als Intellektueller in den Medien ein Hauptgegner von Adolf Hitler in den zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre. Durch die Lektüre der Zeitung „Der gerade Weg“ wusste Hitler sehr genau, welche Gefahr für ihn von diesem Medium ausging. Gerlich hatte seinen Wertekanon sehr stark auf Theresa von Konnersreuths Denken aufgebaut, die in ihrem Umfeld sehr klar gemacht hat: Dieser Nationalsozialismus, diese rassistische und völkische Ideologie ist unchristlich, Hölle und Sünde zugleich. Gerlich wurde aufgrund seiner Kritik gemeuchelt. Er leistete von 1931 bis zu seiner Festnahme am 9. März 1933 publizistischen Widerstand auch gegen die NSDAP und den Nationalsozialismus in Bayern. Gerlich zeigte als einer der ersten, was das für eine Katastrophe ist, diesem Hitler die Macht in die Hand zu geben. Für mich als Politiker ist Gerlich ein Vorbild. Ich bewundere diese Personen, gerade aber auch die Resl, die den Mut hatte, sich gegen die Einflussnahme durch die NSDAP zu wehren. Ihr Mut und ihre Widerstandskraft sind für mich beeindruckende Lebenszeugnisse. Für mich verkörpern Personen wie Gerlich und Theresa von Konnersreuth ein Stück Heilsgeschichte. Sie haben damit gezeigt, dass es Menschen gab, die nicht hinter diesem Diktator standen, sondern diesem ihr christliches Menschenbild entgegengehalten haben und so verdeutlichten, dass das, was im Nationalsozialismus geschehen ist, eine Sünde und ein unglaubliches Verbrechen war.

Sie raten den Katholiken in Deutschland zu einem weltkirchlichen Blick. Könnten Sie das bitte erklären? Wie bewerten Sie den Ausgang der Weltsynode in seinen Auswirkungen auf den katholischen Sonderweg der deutschen Kirche?

Es ist immer gut, wenn Synoden mit einer klaren Positionierung stattfinden. Aber diese Synode war weltkirchlich besetzt, um uns in Deutschland klarzumachen, dass wir formal eine Untergröße sind, die von der Entwicklungsperspektive her eher sich selber durch die gesellschaftliche Entwicklung und durch die wachsende Kirchenferne marginalisiert. Wir in der DDR haben aus einer Minderheiten- und Diaspora- Situation heraus erlebt, dass wir nur überlebten und Weltkirche gewesen sind, weil wir mit Rom verbunden waren. Wir wussten, dass Rom wiederum dafür sorgt, dass der „Tross“ beisammen bleibt. Deswegen kann es durchaus regionale Unterschiede geben, eine Buntheit im Glauben. So erleben wir von unseren polnischen Schwestern und Brüdern in den Gemeinden jetzt, dass sie ihre eigene Spiritualität wieder beleben und unsere Gottesdienste bereichern.

Sind wir im heutigen Deutschland zu festgelegt, zu dogmatich?

Ja, vielleicht noch ein anderer Gedanke zur Synode: Wir müssen uns einfach zurücknehmen. Deutschland ist nicht der Nabel der Welt. Wir haben aus unserer eigenen Geschichte doch ausreichend nachgewiesen bekommen, dass nichts problematischer ist als wenn wir glauben, wir hätten den Stein der Weisen gefunden.

In der DDR war der Blick dagegen klar in den Westen gerichtet, und speziell nach Rom?

Wir haben die Unterstützung der westdeutschen Kirche in der DDR-Zeit unbedingt gebraucht. Wir waren ja immer auch Bistumsteil. Rom hat bewusst nicht die Grenzen geändert. Ein wichtiges Ereignis der DDR-Kirchengeschichte war das große Katholikentreffen 1987 in Dresden mit 100.000 Teilnehmern. Joseph Ratzinger, damals Kurienkardinal in Rom, reiste als Vertreter des Papstes in die Elbestadt – und er machte uns deutlich, dass Rom hinter uns steht und uns hinter dem Eisernen Vorhang nicht im Stich lassen wird. Der Heilige Stuhl, insbesondere Johannes Paul II., ist es gewesen, der verhinderte, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen. Die Möglichkeit zur Wiedervereinigung war damit durch Rom gegeben. Und aus der Lutherstadt Wittenberg kommend kann ich nur sagen: Nichts ist schlimmer, als wenn aus dem christlichen Glauben heraus Spaltungen und Absetzbewegungen existieren. Man muss Kompromisse finden, damit wir zusammenbleiben. Nur so haben wir eine globale Möglichkeit, unsere Werte und unsere Solidarität bis hin zu den Mechanismen von Caritas und Kolping zu praktizieren. Es geht darum, dass wir mit unserem universellen Netzwerk für den christlichen Glauben und die damit einhergehende Solidarität und Menschlichkeit eintreten.

Thema Lebensschutz: Assistierter Suizid, die Legitimierung der Leihmutterschaft, die Aufweichung von Paragraf 218 zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Alles ambitionierte Ideen von Grünen, Linken und Sozialdemokraten. Wie weit dürfen wir gehen, steht unser menschliches Weltbild in Gefahr oder wird nach dem Ampel-Aus alles anders?

Ich will mich daran erinnern, was uns die Mütter und Väter des Grundgesetzes dort im unmittelbaren Erleben der NS-Zeit niedergelegt haben. Wir sind gut beraten, uns an dieser Grundintention zu orientieren und auf diese zurückzubesinnen – auch mit ihren Ewigkeitsartikeln. Das Bleiben an der Ursprungsintention und dem Ursprungstext ist die eigentliche „historische Mission“. Das Grundgesetz entstand vor dem Hintergrund von Personen, die ihre geschichtliche Erfahrung mit eingebracht haben, was an Unheil auf dieser Welt durch Menschen möglich ist. Und deswegen muss man sehr sorgsam mit all diesen Werten umgehen, um nicht einer Bewegung Vorschub zu leisten, die diese wieder in Frage stellen will.

Unter den veränderten politischen Bedingungen, also nach dem Aus der Ampel und dem Erstarken der CDU – werden Sie bei der nächsten Landtagswahl wieder antreten?

Die nächste Landtagswahl muss unbedingt mit einer gemeinsamen und starken demokratischen Mitte gewonnen werden. Und alles, was dafür notwendig ist, ist zu gegebener Zeit zu entscheiden. Diese Entscheidung fällt üblicherweise seit Jahrzehnten in Deutschland circa ein Jahr vor der Landtagswahl durch die Partei und ihre Gremien.

Sehr herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Stefan Groß.

(sig)

Der hier publizierte Text ist ein Auszug aus einem Interview mit der katholischen Wochenzeitung „Die Tagespost“.



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