Neustadt / Donau, St. Laurentius

Kirchen aus unserem Bistum: Stadtpfarrkirche St. Laurentius in Neustadt / Donau

Das Sakrale in der Moderne


Neustadt an der Donau / Regensburg, 23. Oktober 2025

Wer heute über den Kirchplatz von Neustadt an der Donau geht, spürt, dass dieser umbaute Raum mehr ist als nur ein zentral gelegener Ort inmitten der Stadt. Zwischen den Häusern erhebt sich die Pfarrkirche St. Laurentius wie ein Erinnerungszeichen aus Stein – ein geistiges und kulturelles Herzstück, das Jahrhunderte überdauert hat. Ihre Gestalt erzählt von Glauben und Geschichte, von der Kunst der Baumeister und vom unablässigen Willen einer Gemeinschaft, Schönheit und Sinn in den Stein einzuschreiben.

Die Geschichte dieses Gotteshauses reicht bis in das 13. Jahrhundert zurück, als im Zuge der Stadtgründung eine erste kleine Kirche entstand. Sie war wohl bescheiden, ein Bau romanischer Prägung, der das geistliche Leben der jungen Bürgersiedlung trug. Als sich Ende des 15. Jahrhunderts der spätgotische Stil in Bayern ausbreitete, wuchs auch der Anspruch der Gläubigen. Die heutige Hallenkirche mit ihren drei gleich hohen Schiffen, getrennt durch schlanke Pfeiler und überfangen von einem Sternrippengewölbe, entstand in jener Epoche. Sie ist ein charakteristisches Beispiel süddeutscher Spätgotik, wie sie in Regensburg, Landshut oder Straubing ihre Blüte erlebte.

Der Turm aus Marchinger Kalkstein wurde zur beachtlichen Höhe von rund 61 Meter aufgeführt. Er markiert mit seiner klaren Vertikalität das geistige Zentrum des Stadtbildes. Er wirkt nicht triumphal, sondern als Bekenntnis: ein Fingerzeig gen Himmel, eine Frucht dieser süddeutschen Spätgotik.

Die Baugeschichte von St. Laurentius ist keine lineare, sondern eine Abfolge von Wandlungen. Der Barock, der im 18. Jahrhundert auch in Niederbayern Gestalt gewann, ließ kaum eine Kirche unverändert. Zwischen 1723 und 1773 wurde der Turm erhöht und mit einer Kuppel versehen, während der Innenraum eine neue, lichte Gestalt erhielt. Ab 1741 begann die Barockisierung des Raumes: die gotischen Linien blieben, doch sie wurden vom Glanz geschwungener Formen umfangen. Der barocke Hochaltar, 1779 errichtet, zeigte ein Altarbild mit dem Martyrium des heiligen Laurentius – eine Kopie nach einem Werk von Joachim von Sandrart, der das Leiden des Heiligen nicht als blutige Szene, sondern als Akt der Hingabe verstand.

Im 19. Jahrhundert änderten sich der Geschmack und ästhetisches Empfinden. St. Laurentius, sehr wohl weiterhin ein Kristallisationspunkt der Interesses, erhielt zwischen 1854 und 1867 eine neugotische Ausstattung. Der barocke Hochaltar blieb erhalten und wurde so zu einem Zeichen der Kontinuität. Um 1900 und nochmals 1929 fanden Restaurierungen statt, bei denen man Reste gotischer Wandmalereien entdeckte, deren Freilegung jedoch unvollständig blieb. St. Laurentius wurde so zu einem Bau, in dem sich die Epochen überlagern: Gotik, Barock und Neugotik treten in einen stillen Dialog.

Zerstörung und Wiederaufbau

Am 27. April 1945, wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde die Kirche durch Artilleriebeschuss schwer beschädigt. Der Turm stürzte ein und zerstörte den Chorraum und den barocken Hochaltar. Wo Jahrhunderte lang Gebet und Musik erklang, war nur Schutt und Schweigen. Bereits 1946 begann unter der Leitung des Regensburger Regierungsbaudirektors Franz Günthner der Wiederaufbau. 

Günthner lehnte eine reine Rekonstruktion ab; er verstand den Neubeginn als Fortführung der gotischen Idee mit den Mitteln der Gegenwart. Das Langhaus wurde um ein Joch verlängert, der Chor neu gefasst. Der Turm erhielt eine schlichte, aber zugleich kraftvolle Form, die sich harmonisch in das Gesamtbild fügt. 1951 erfolgte die feierliche Wiederweihe der Kirche. Sie wurde zum Symbol des geistigen Neubeginns nach den Verwüstungen des Krieges.

1956 gestaltete der Künstler Robert Rabolt neue Glasfenster und den Kreuzweg. In ihnen deutet sich eine Theologie des Lichts an: das Göttliche bricht in Farbe, nicht in Form. Elf Kreuzwegstationen sind in die Fenster eingelassen, weitere Stationen finden sich als Tafeln im Kirchenraum. Diese Verbindung von Transparenz und Kontemplation verleiht dem Raum eine stille Spannung.

Nach den Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils blieb der Innenraum schlicht. Keine barocke Überfülle lenkt vom Zentrum ab: dem Altar. Bei der Innenrenovierung 2007 unter Franz Bernhard Weißhaar entstanden ein neuer Volksaltar, Ambo und Tabernakel aus hellem Stein – klar in der Linie, unaufdringlich in der Form. Die Weihe durch Bischof Gerhard Ludwig Müller am 21. Oktober 2007 verband Geschichte und Gegenwart.

2008 erhielt St. Laurentius schließlich eine neue Orgel der oberösterreichischen Werkstatt Kögler, ein mechanisches Schleifladeninstrument mit 31 Registern auf zwei Manualen und Pedal. Das Gehäuse prägt die Westwand und fügt sich harmonisch in den Raum ein.

Bedeutung und geistige Deutung

Heute steht St. Laurentius nicht nur als Pfarrkirche im Mittelpunkt des religiösen Lebens von Neustadt an der Donau, sondern auch als Denkmal einer kulturellen Idee: dass Glauben und Kunst, Geschichte und Gegenwart einander durchdringen. Die Architektur ist mehr als Funktion – sie ist Theologie aus Stein, ein sichtbares Gleichnis des Unsichtbaren.

In der Dreischiffigkeit der Halle manifestiert sich das Prinzip des Gleichklangs: keine Hierarchie zwischen Haupt- und Seitenschiffen, sondern ein dialogischer Raum, in dem das Göttliche und das Menschliche einander begegnen. Die gotische Struktur öffnet sich dem Licht; der Barock brachte Bewegung und Fülle; die Moderne fügte Klarheit und Maß hinzu. Aus dieser Überlagerung erwächst jene stille Größe, die wahre Kunst kennzeichnet – sie will nicht beeindrucken, sondern verwandeln.

Der heilige Laurentius, der Patron, ist hier mehr als eine Figur der Legende. Der Diakon, der im Rom des 3. Jahrhunderts sein Leben auf dem Rost gab, weil er das Reich Gottes höher achtete als das des Kaisers, ist Sinnbild einer Kirche, die trotz Zerstörung und Wandel ihrem Auftrag treu blieb. Sein Martyrium, im Altarbild von Sandrart dargestellt, verweist auf den Wert der Treue und auf das Licht, das aus der Dunkelheit erwächst.

St. Laurentius ist ein kulturelles Dokument des Übergangs – vom Mittelalter zur Neuzeit, von der Zerstörung zum Wiederaufbau. Günthner und später Weißhaar verstanden, dass Wiederaufbau nicht Rekonstruktion, sondern Fortsetzung ist. Sie bewahrten das Erbe, ohne es zu musealisieren. Die Kunstwerke von Rabolt und Weißhaar fügen sich in diese Tradition. Farbe ersetzt Figur, Licht ersetzt Pathos – und doch bleibt die Liturgie der Mittelpunkt.

Auch das lebendige kirchliche Leben – die Messen, Prozessionen und das jährlich errichtete Heilige Grab in der Karwoche – führt die Symbolik von Tod und Auferstehung fort. Es ist die plastische Fortsetzung dessen, was die Architektur in Stein ausspricht: Leben aus dem Tod. Wenn am Abend die vier Glocken erklingen – gegossen zwischen 1673 und 1950 –, dann mischt sich in ihren Klang etwas von jener Zeitlosigkeit, die man früher Heiligkeit nannte. Sie erinnern an das, was bleibt, wenn Formen vergehen: an das Bedürfnis des Menschen nach Sinn, nach Transzendenz und nach Schönheit.

St. Laurentius ist so ein Lehrstück über das Sakrale in der Moderne: ein Ort, an dem Tradition als lebendiger Prozess erfahrbar wird. Seine Mauern erzählen von Verwundung und Heilung, von Zerstörung und Neubeginn – und von einer beharrlichen Glaubensgewissheit, die still wirkt. In ihren Linien, im Licht, in den Tönen der Orgel spricht sie von jenem Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde, das alle große Kunst sucht. St. Laurentius ist nicht nur ein Denkmal der Geschichte, sondern eine Schule des Sehens: ein Ort, an dem der Mensch erfährt, dass Schönheit immer auch Wahrheit meint.

Text: Stefan Groß

Bild: G Freihalter / Lizenz CCA3.0

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