In Notzeiten rückt unter den verschiedenen Weisen des Betens besonders das Bitten in den Vordergrund. Es sind die Zeiten, in denen wir uns wiederholt daran erinnern, dass Beten hilft. Oder erfahren, dass es doch nicht hilft? Der Volksmund sagt kurz: Not lehrt beten. Was aber tun wir dabei, wenn wir beten? Weiß Gott selbst nicht ohnehin am besten, was wir benötigen? Wissen wir selbst, was uns zum Heil dient? Wer oder was verändert sich durch das Gebet? Können wir uns in eine Sicherheit vor Corona hineinbeten, können wir Corona wegbeten, beten, dass wir angemessen damit umgehen und nicht über Ungewissheit und Dauerwandel verzweifeln, innerlich unruhig werden, zugrunde gehen?
Corona
Hilft beten?
Fulminanter Vortrag
Prof. Dr. Wolfgang Vogl, Professor für die Theologie des geistlichen Lebens in Augsburg, hat zu dem Thema des Gebets – zumal in Zeiten von Corona – viel Erhellendes und gewiss Tröstliches gesagt. Es war der dritte Vortrag zum Thema mit Diskussion, wobei die Gesamtreihe „Corona und der liebe Gott“ lautet. Dies ist eine Gemeinschaftsproduktion von Katholischer Erwachsenenbildung, Akademischem Forum Albertus Magnus und Bischöflicher Pressestelle. In der Trias hatte zunächst Prof. Dr. Alfons Knoll, Fundamentaltheologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg, die grundlegenden sowie stärker einordnenden Fragen gestellt und bereichernde Antworten bzw. Hinweise auf Antwortmöglichkeiten gegeben (wir berichteten). Sodann stellte Prof. Dr. Hans-Georg Gradl, Neutestamentler an der Theologischen Fakultät Trier, in einem fulminanten Vortrag das gesamte Thema auf eine biblische Grundlage (siehe weiter unten). Insbesondere auf die Frage nach dem Tun-Ergehen-Zusammenhang, der biblisch, aber doch auch bis heute einschlägig ist bzw. denkende und suchende Menschen beschäftigt, war Dr. Gradl eingegangen.
O-Ton Johann Michael Sailers
Nun also setzte Prof. Vogl der Reihe eine „ergänzende Vollendung“ mit seinen Ausführungen zum Thema des Gebets. Zur Stützung der Theologischen Fakultät in Augsburg war ein Lehrstuhl mit dem Schwerpunkt der Theologie des geistlichen Lebens eingerichtet worden, auf dem Dr. Vogl nun bereits seit dem Jahr 2011 lehrt. Einmal mehr erwies es sich in dem Online-Vortrag, dass Prof. Vogl ein „geistlicher Geistlicher“, jedoch kein „Zeitgeistlicher“ (O-Ton des Pastoraltheologen Johann Michael Sailer) ist. Untertitel der Ausführungen Prof. Vogls war: „Bittgebet und Hingabe“.
Vom Plappern der Heiden
Der Geistliche bestätigte, dass in Notzeiten unter den verschiedenen Weisen des Betens besonders das Bitten in den Vordergrund rückt, so auch in den Zeiten der Corona-Pandemie. „Allerdings besteht die vorherrschende Erfahrung zumeist darin, dass Gott anscheinend nur selten unsere Bitten erhört.“ Und doch: Wenn die Dinge, um die man bittet, nicht geschehen, dann sei das kein Beweis dafür, dass Bittgebete wirkungslos sind. Was aber dann? Will man das Bittgebet als reale Möglichkeit in Betracht ziehen, dann muss man Gott Allmacht, Freiheit und den Willen zugestehen, den Bittenden erhören und auch tatsächlich eingreifen zu wollen. „Gerade dieses Bild eines Gottes, der nicht nur alles geschaffen hat, sondern auch wirkmächtig in die Geschichte der Menschen eingreift, dieses Gottesbild ist es, dass Gott selbst uns geoffenbart hat, als der biblische und christliche Gott, der in der Fülle der Zeit in Jesus Christus selbst Mensch geworden ist“, gab der spirituelle Theologe nachhaltig zu bedenken. Und wer genauer die Gebetslehre Jesu betrachtet, der werde anhand einer wichtigen Stelle in der Bergpredigt feststellen, wie Jesus das Bittgebet vom Plappern der Heiden absetzt: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen“ (Mt 6,7). Mit diesem Wort sage Jesus nämlich, dass die Heiden Gott nicht als ihren Vater kennen, der sich seinen Kindern zuwendet. Und deshalb hätten die Heiden Gott als eine Macht betrachtet, die man durch vieles Bitten und Plappern umstimmen müsse, ja manipulieren könne.
Das Wann getrost Gott überlassen
Vortragender Prof. Vogl sagte weiterhin: „Da Gott weiß, was wir zum Leben nötig haben (Mt 6,8), kann es beim Bitten nicht darum gehen, Gott zu informieren. Aber während Gott weiß, was wir brauchen, wissen wir selbst oft nicht, was uns wirklich zum Heil dient.“ So verhalte sich dies aber auch mit dem Bittgebet. Nur wer bittet, habe eine Erwartung an Gott und mache sich zum Empfangen bereit und werde für die Erhörung fähig. Wer aber nicht bittet, erwarte „erst gar nichts“ von Gott. Was wir dann allerdings mit Bezug zur Erfüllung unserer Bitten meinen sollten? Wie und wann dieser Gott unsere Bitte erfüllt, das dürften wir insoweit also getrost Gott überlassen, der uns besser kenne als wir uns selbst, wie dies Jesus selber in der Bergpredigt sage: „Denn euer Vater weiß, was ihr braucht“ (Mt 6,8).
Mit Jesus vereinen
Deshalb fordert uns Jesus im Übrigen in seinen Gleichnissen zum inständigen Bitten auf, zu einem Bitten, das unbeirrbar glaubt und vertraut und auch durch einen vermeintlichen Aufschub bei der Erhörung nur noch inständiger und damit noch empfangsbereiter wird. Wie meine Bitte erfüllt wird, überlasse ich also Gott genauso wie den Zeitpunkt, zu dem Gott weiß, dass ich wirklich empfangsbereit geworden bin.
Und ein weiterer, wohl wichtigster Aspekt des Bittgebets bestehe darin, dass Jesus möchte, dass wir unsere Bitten mit ihm vereinen, dass wir also im Namen Jesu bitten.
Schlafendes Kind bei der Mutter
Wenn wir die Augen unserer Seele geschlossen haben, dann kann Jesus uns ans sichere Ziel tragen wie ein schlafendes Kind auf den Armen der Mutter; und dann kann er demnach die dornenvollsten Situationen lösen, wusste Prof. Dr. Wolfgang Vogl, der ein Priester des Bistums Regensburg ist. „Wenn aber das Übel sich verschlimmert statt sich zu verbessern und unser scharfer Verstand uns hindert, vom Übel wegzusehen und ganz Jesus zu vertrauen“, dann solle man sich nicht beunruhigen, sondern von neuem die Augen schließen, alle Gedanken an die Zukunft abschließen und zu Jesus voll Vertrauen sprechen: „Dein Wille geschehe, Jesus, sorge du!“. Prof. Dr. Veit Neumann, Pastoraltheologe, moderierte die anschließende Diskussion, in der nicht zuletzt zur Sprache kam, wie Jesus Christus die Kinder gerühmt hat – nicht als Vergleichswert von Ferne, sondern mehr noch als ein „Werden wie die Kinder“, und das als Voraussetzung für das Eingehen in das Himmelreich.
Schicksal gräbt sich ein
Den hervorragenden Vortrag von Prof. Gradl zwei Wochen zuvor hatte Wolfgang Stöckl, Bischöflicher Beauftragter für Erwachsenenbildung, souverän moderiert. Dr. Gradl ging es nicht zuletzt um die existenzielle Dimension der Krankheit, die in Aussagen der Heiligen Schrift das Bild des Krankseins bestimmt. Mithin gehe es um die Folgen, um „das Schicksal, das sich eingräbt, nicht so sehr um die Diagnose“. Krankheit verlange allerdings nach Erklärungen, nach Deutungen, warum jemand erkrankt ist. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang sei hier zu nennen (demzufolge Krankheit aus einem bestimmten Tun heraus sozusagen kausal erfolgt). Allein dieser Zusammenhang gerate bereits bei dem alttestamentarischen Leidensmann Hiob (der doch zunächst als „Musterschüler“ des glaubenden Vertrauens vorgestellt wird) in die Krise. Gradl erinnerte in diesem Zusammenhang übrigens auch daran, dass Jesus selbst nach vorgenommener Heilung sage: „Sündige nicht mehr“, was irgendwie doch mit dem genannten Zusammenhang in Verbindung gebracht werden könnte. Und wenn eine Vergebung Voraussetzung für eine körperliche Heilung ist, dann zeigt auch das eine bedenkenswerte Nähe beider Tatsachen – womöglich.
Er schlägt mit der Rute den Sohn
Der Deutungen gibt es mehrere; etwa im Hebräerbrief („Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat“, offenbar eine Bezugnahme auf weisheitliche Literatur im Alten Testament). Jedenfalls könnte Krankheit dieserart als Form der Pädagogik erscheinen. Dr. Gradl deutend: „Als Schicksal, das mich reifen lässt.“ Weitere Ausdeutungen sind: die Krankheit als Boten Satan aufzufassen, oder als Medium, um Gott nahe oder immerhin näher zu kommen (Paulus und Johannesevangelium); etwa wenn es bei Paulus heißt: „Ich will mich meiner Schwachheit rühmen“; oder Krankheit als Ort, an dem ich Gott begegnen kann. In der Schwachheit könne schließlich der Schatz der Gnade wahrgenommen werden.
Jesus aber lässt sich auf die Schuldfrage nicht ein. Krankheit ist für ihn demnach ein Skandal (Ärgernis), der konträr zum Willen Gottes steht. Vielmehr verwies Prof. Gradl auf Jesu therapeutisches Wirken in seiner Verkündigung des Reiches Gottes. In diesem blitze etwas auf, was im Gottesreich in seiner Vollendung sein werde.
Gottesreich blitzt auf
Die Krankheit sei in den Heilshorizont eingebettet, keine Bürde für den Leidenden. Aber ihr Ursprung bleibe im Dunkeln. Und doch oder gerade deshalb ist der Wille Gottes das, was zählt. Stichwort „neuer Horizont“: Wo Heilung geschieht, da blitzt Gottes Reich für einen Moment auf. Im Übrigen habe das Gericht Hoffnungspotenzial. Dass somit „nichts Böses in diese Gottesstadt hineinkommen wird“ (um die sich die Offenbarung des Johannes dreht), das ist der innerste Sinn des Gerichts. Und im Sterben Jesu nimmt Gott Schuld weg und beseitige sie und schenke Leben neu.
Gottesbeziehung buchstabieren
Im Diskussionsteil bemerkte Prof. Bonk, es wäre gewiss furchtbar anzunehmen, ein Nachbar werde krank, weil er etwas (Falsches) getan habe. Deutlich verwahrte sich der Direktor des Akademischen Forums dagegen. Vielleicht aber sei es legitim oder immerhin sinnvoll, von der objektiven Seite her kommend auf die subjektive Seite übergehend, zu unterscheiden, wenn mein persönliches Verhältnis zu Gott betroffen ist, insoweit ich erkranke. Referent Prof. Gradl bestätigte diesen Ansatz: „Da bin ich ganz bei Ihnen.“ Es sei durchaus angebracht, die eigene Krankheit in meiner eigenen Gottesbeziehung auszubuchstabieren bzw. sie als Teil meiner Gottesbeziehung zu verstehen: „Die Krankheit als etwas zu erkennen, wo oder worin mir Gott näher kommt, wo ich die Güte, die überbordende Hoffnung erfahren kann. Krankheit wird dann Teil meiner Gottesbeziehung.“ Ein aufmerksamer Teilnehmer der Veranstaltung bemerkte, es gebe Menschen, die die Krankheit näher zu Gott bringt. Es gebe auch andere, die Krankheit von Gott entfernte. „Es bleiben die Fragezeichen.“
Wider scheinbare Plausibilitäten
Insgesamt haben die Auseinandersetzungen der Referenten mit dem Verhältnis Gottes zu Corona allesamt gezeigt, dass es richtig ist, kein Bild Gottes aufzurichten, anhand dessen scheinbare Plausibilitäten festgemacht werden: Prof. Knoll verlegte sich darauf, die Wahrnehmung vom Verhältnis von Corona und dem lieben Gott zu „Corona und dem Gott der Liebe“ zu lenken. Prof. Gradl empfahl, (theologisch) weniger auf der Frage nach den Ursachen zu verharren, vielmehr auf die neuen Wirklichkeiten zu fokussieren, die sich erschließen lassen – etwa auf das Reich Gottes, das in der heilenden Überwindung von Krankheit maßgeblich aufscheint. Prof. Vogl schließlich hob auf die (geistlichen) Veränderungspotenziale ab, die sich in Zeiten der Not uns auftun und die uns im stärkenden, vertrauenden Gebet bewegen. So bleibt die christliche Botschaft, wie Corona mit Blick auf Gott zu verstehen ist, nicht dunkel, sondern von einer inneren Vielfalt getragen, die einmal uns ringen, ein ander Mal uns zwischen objektiv und subjektiv unterscheiden und wieder ein ander Mal: uns beten lässt.