Regensburg, 1. März 2024
„Auf dass den Gläubigen der Tisch des Gotteswortes reicher bereitet werde, soll die Schatzkammer der Bibel weiter aufgetan werden, so dass innerhalb einer bestimmten Anzahl von Jahren die wichtigsten Teile der Heiligen Schrift dem Volk vorgetragen werden“, forderte das Zweite Vatikanische Konzil in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ (SC 51). Bis zur Liturgiereform kannte die Messfeier in ihrem Wortgottesdienst nur eine Lesung und das Evangelium; die Lesung war in den meisten Fällen dem Neuen Testament entnommen. Wie die gesamte Messfeier wurden auch die Texte der Lesung und des Evangeliums auf Latein gelesen und konnten von der Gemeinde meist nicht verstanden werden.
Zwar trug der Priester diese Texte zu Beginn seiner Predigt oft zusätzlich auf Deutsch vor, der eigentliche Wortgottesdienst wurde jedoch auf Latein gehalten und die deutsche Lesung der Texte konnte als bloße Eröffnung der Predigt verstanden werden. Der Tisch des Wortes sollte nunmehr „reicher bereitet“ werden, forderte das Konzil. Das Ergebnis dieser Forderung ist die heutige Leseordnung.
Die Lesungen unterliegen einen strengen Ordnung
Welche Texte aus der Heiligen Schrift gelesen werden, obliegt nicht der freien Entscheidung. Die Kirche sieht vielmehr eine ausdifferenzierte Leseordnung vor, die das Ziel hat, den Gläubigen im Lauf der Jahre einen möglichst großen Teil der Bibel zu Gehör zu bringen. Dazu kennt die Kirche für die Sonntage und Hochfeste die drei Lesejahre „A“, „B“ und „C“. Die jeweilige Evangelienlesung ist in diesen Jahren grundsätzlich den Evangelisten Matthäus (A), Markus (B) und Lukas (C) entnommen. Im Advent, der Weihnachtszeit, in der Fasten- und Osterzeit sowie an Hochfesten und Festen werden die Stellen passend zur jeweiligen Zeit ausgesucht; in der Osterzeit wird vor allem das Johannesevangelium gelesen, das keinem Lesejahr fest zugeordnet ist. Die erste Lesung stammt aus dem Alten Testament. Sie wird meist passend zum Evangelium ausgesucht und reflektiert einen Aspekt des Evangeliums. Nur in der Osterzeit wird anstelle der alttestamentlichen Lesung ein Text aus der Apostelgeschichte genommen. Die zweite Lesung entstammt dem Neuen Testament und ist meistens aus einem der Briefe entnommen. Während der Zeit des Jahreskreises handelt es sich hier um sogenannte „Bahnlesungen“; das heißt, dass ein bestimmter Brief Sonntag für Sonntag von vorne bis hinten gelesen werden. Zwar werden einzelne Passagen ausgelassen, aber große Teile der biblischen Bücher werden so im Lauf der Sonntage gelesen.
Der Antwortgesang – eine echte Schriftlesung
Zwischen der ersten und der zweiten Lesung steht der Antwortpsalm. Dieser führt manchmal das Thema der ersten Lesung weiter, manchmal wiederholt er sie, manchmal bezieht er sich auf das Evangelium. Der Antwortpsalm ist „ein wesentlicher Bestandteil der Liturgie des Wortes“ (Grundordnung des Römischen Messbuchs 61). An Sonntagen ergibt sich so eine Abfolge von vier Lesetexten: Zwei Lesungen, der Antwortpsalm und das Evangelium. Dabei sollen grundsätzlich all diese Texte gelesen beziehungsweise gesungen werden. Bei Vorliegen pastoraler Gründe (vgl. Die Feier der Gemeindemesse 37) kann nur eine der beiden Lesungen genommen werden. Der Antwortgesang kann „im Notfall“ (vgl. Die Feier der Gemeindemesse 43) durch ein Lied ersetzt werden.
Die Ursprünge des Wortgottesdienstes
Dass die Kirche während der Heiligen Messe das Wort Gottes hört, geht auf die älteste Liturgie zurück. In der ältesten Zeit war die Feier der Eucharistie noch mit einem gemeinsamen Mahl der Gemeinde verbunden. Soweit sich die Christen dabei am Pessachmahl orientieren, konnte das ein Ansatzpunkt für die Entwicklung des Wortgottesdienstes sein: Während des Pessachmahles wird die „Haggada“ vorgelesen, die von Gottes Wundertaten berichtet. Denkbar ist, dass beim christlichen Mahl kein Tischgespräch stattfand, sondern vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu berichtet wurde. Inwiefern bereits andere biblische Lesungen vor allem aus dem Alten Testament eine Rolle spielten, bleibt unklar. Ebenfalls nicht letztlich geklärt ist, ob der Wortgottesdienst auch vom jüdischen Synagogengottesdienst geprägt wurde. Klar jedoch ist, dass schon im zweiten Jahrhundert eindeutig ein Wortgottesdienst gefeiert wurde, in dem auf die biblischen Lesungen eine Predigt und schließlich die Fürbitten folgten.
Gott ist in seinem Wort gegenwärtig
Das Konzil stellt zur Bibel fest: „Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht.“ (Dei Verbum 21). Der Herr ist in der Eucharistie wahrhaft gegenwärtig – aber auch in seinem Wort. Wenn die Texte aus der Heiligen Schrift erklingen, dann werden sie gegenwärtig. Die Lesung kann mit den Ruf „Wort des lebendigen Gottes“ abgeschlossen werden. Das bedeutet: Die Worte der Heiligen Schrift sind gestern, heute und morgen wirklich das „Wort des lebendigen Gottes“, das sich auch an uns richtet. Besonders deutlich wird das in den reichen Ehrenbezeugungen, die dem Evangelium zugedacht sind. Das Evangeliar kann schon beim Einzug vom Diakon feierlich in die Kirche getragen werden. Es wird auf den Altar gestellt und symbolisiert so Christus, der inmitten seiner Gemeinde thront. Das Evangelium wird schließlich nicht einfach nur verlesen – der Diakon bittet vielmehr den Priester vor der Verkündigung um den Segen, der Priester betet vor der Verkündigung ein privates Gebet, eine sogenannte Apologie. Das Evangelienbuch wird feierlich in einer Prozession zum Ambo getragen, begleitet von Kerzenleuchtern und Weihrauch. All das geschieht, weil der Herr in seinem Wort gegenwärtig ist.
Auf die Verkündigung des Gotteswortes folgt die „Homilie“, die Predigt des Priesters oder Diakons. Sie ist an Sonn- und Feiertagen vorgeschrieben und darf nur aus „einem schwerwiegenden Grund“ ausfallen (Grundordnung des Römischen Messbuchs 66).
Text: Benedikt Bögle
(SSC)