News Bild Das Zweite Vatikanische Konzil und die Religionen
Das Zweite Vatikanische Konzil und die Religionen

Das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen

Home / News

Regensburg, 4. Juli 2023

Die Erklärung „Nostra aetate“ vom 28. Oktober 1965 ist einer der bedeutendsten Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils. Obwohl die Aussagen des Konzils über die nichtchristlichen Religionen relativ knapp gehalten sind, waren sie dennoch wegweisend für eine neue Form der Begegnung mit anderen Weltreligionen. Dies ist dadurch erreicht worden, dass die Aussagen in erster Linie dasjenige benennen, was eine gemeinsame Basis mit den anderen Religionen darstellt.

Die Förderung der Gemeinschaft unter den Menschen

„Gemäß ihrer Aufgabe, Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern“, fasst die katholische Kirche „vor allem das ins Auge, was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt“ (Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“, Nr. 1; vgl. auch Jean-Marie Kardinal Lustiger, Zum vierzigsten Jahrestag von Nostra aetate [Vortrag vom 20. Oktober 2005 in Wien], in: Internationale Katholische Zeitschrift 34 [2005], 614-620).

Gott, der Ursprung und das Ziel aller Völker

Die Einleitungsworte der Konzilserklärung „in unserer Zeit“ („nostra aetate“) zeigen, dass es um eine Ortsbestimmung geht, die auf die aktuelle Situation eingeht. Für die Gegenwart sind 1.) eine immer größere Vernetzung der Menschheit und 2.) die Vermehrung der Beziehungen unter den verschiedenen Völkern kennzeichnend. In dieser Situation „erwägt die Kirche ..., in welchem Verhältnis sie zu den nichtchristlichen Religionen steht“ (Nostra aetate, Nr. 1). Als theologische Begründung für diese Ausrichtung wird auf jenen Vers der Rede des hl. Paulus auf dem Areopag in Athen Bezug genommen, in dem der Apostel sagt, dass die Völker eine einzige Gemeinschaft bilden und denselben Ursprung und dasselbe Ziel haben (vgl. Apg 17,26).

Antworten auf die Rätsel des Daseins

Die Religionspluralität unserer Zeit kann mit der Zeit des Hellenismus und der damaligen Begegnung der Kulturen verglichen werden. „Nostra aetate“ argumentiert hier mit dem Blick auf das Heil der Menschen – ganz im Sinne des auch in anderen Konzilsdokumenten zum Ausdruck gebrachten Heilsuniversalismus: Gottes Heilsratschluss erstreckt sich auf alle Menschen. Es wird eine Art Definition von Religion gegeben: „Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen“ (Nostra aetate, Nr. 1). Die Konzilserklärung wählt Formulierungen einer existentiell orientierten Lehre vom Menschen. Grundlegende Sinnfragen werden erörtert (Sinn und Ziel unseres Daseins; die Frage nach dem Guten, nach der Sünde, nach dem Leid, nach dem wahren Glück; die Frage nach Tod, Gericht und ewigem Heil). Die letzte Frage in diesem Zusammenhang knüpft nochmals an die einleitende Frage nach dem Wesen des Menschen an: „Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“ (ebd.)

Dialog und eigenes Glaubenszeugnis

Die religiöse Erfahrung verschiedener Völker und Kulturen beschreibt das Zweite Vatikanum so: Bei den Völkern findet nicht selten „auch die Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters“ (Nostra aetate, Nr. 2). Die Religionen stehen in einem kulturellen Entwicklungsprozess. Die katholische Kirche lehnt – so das Konzil – „nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“ (ebd.). Zudem mahnt die Kirche ihre Gläubigen, dass sie „durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens die geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen … und fördern“ (ebd.).

Der Hinduismus: asketisches Leben, Meditation, Zuflucht zu Gott

Die Erklärung „Nostra aetate“ spricht zunächst über die asiatischen Religionen (Hinduismus und Buddhismus) in sehr knappen Worten. Das Konzil bezieht sich auf einige hervorstechende geistige Werte des Hinduismus, die als Ausgangspunkt für den Dialog mit den Angehörigen dieser Religion dienen können. Im Hinduismus erforschen – so die Konzilserklärung – die Menschen „das göttliche Geheimnis“; sie erhoffen, durch die „Zuflucht zu Gott Befreiung von der Enge und Beschränktheit“ (ebd.) ihrer Lage zu erlangen. Damit ist ein klarer theozentrischer Kontext gegeben. Nichttheistische Richtungen des Hinduismus (Richtungen, die nicht von Gott sprechen) bleiben in „Nostra aetate“ unberücksichtigt. Drei Aspekte des Hinduismus werden besonders hervorgehoben: 1.) der Reichtum der Mythen; 2.) „tiefdringende philosophische Versuche“ und 3.) die drei Wege der Befreiung, die alternativ als asketisches Leben, als Meditation oder als vertrauende Zuflucht zu Gott umschrieben werden.

Der Buddhismus: Die Welt ist radikal ungenügend

Im Hinblick auf den Buddhismus spricht die Konzilserklärung von „verschiedenen Formen“ dieser Religion; als deren gemeinsames Kennzeichen wird „das radikale Ungenügen der veränderlichen Welt anerkannt“ (Nostra aetate, Nr. 2). Verschiedene Autoren haben darauf hingewiesen, dass dieses Kennzeichen der „Insuffizienz“ – so der lateinische Ausdruck für „Ungenügen“ – auf die Grundeinsicht des Buddha zurückgeht, die in der ersten „Edlen Wahrheit“ vom Leiden ausgesprochen wird. Eine Kernaussage des Buddhismus besteht darin, dass der Mensch in seiner Analyse der Welt ein „radikales Ungenügen“ feststellt. Dieses fundamentale „Ungenügen“ bildet den Ausgangspunkt für den Weg, den der Buddhismus – in seinen verschiedenen Richtungen – zur „Befreiung“ bzw. „Erleuchtung“ weist. Die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass in dieser Religion „ein Weg gelehrt wird“, ist ein Hinweis auf den Achtgliedrigen Pfad, den der Buddhist zur Erlangung der Erlösung zu befolgen hat. Innerhalb des Weges, der zur „höchsten Erleuchtung“ führt, werden zwei Arten unterschieden: 1.) die „eigene Bemühung“ und 2.) die Vermittlung einer „höheren Hilfe“.

Strahlen der göttlichen Wahrheit

Große Beachtung hat folgende Formulierung des Konzils gefunden: Die Vorschriften und Lehren anderer Religionen, die zwar „in manchem von dem abweichen“, was die Kirche „selber für wahr hält und lehrt“, lassen „nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen, die alle Menschen erleuchtet“ (Nostra aetate, Nr. 2). D. h. sowohl im Buddhismus als auch im Christentum – und eigentlich in allen Religionen und Philosophien – sind in gewisser Weise Wege der „Erleuchtung“ gegeben. Nach christlichem Verständnis bringt freilich allein Christus den Menschen die höchste und endgültige Erleuchtung (unüberbietbare Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus). Der Konzilserklärung geht es um die Beschreibung dessen, was allen Religionen gemeinsam ist, nämlich „der Unruhe des menschlichen Herzens auf verschiedene Weise zu begegnen“, indem die Religionen „Wege weisen: Lehren und Lebensregeln sowie auch heilige Riten“ (ebd.). Dieses von Augustinus inspirierte Wort von der Unruhe des Herzens zeigt, dass in „Nostra aetate“ die existentielle Deutung der Religion den Ausgangspunkt für die theologische Würdigung der nichtchristlichen Religionen bildet.

Der Islam: gestufte Nähe zum Christentum

Der Konzilstext wählt ein Stufenmodell der Nähe der Religionen zum Christentum („Zwiebelschalen-Modell“), wenn die Erklärung „Nostra aetate“ nach den asiatischen Religionen auf die monotheistischen Religionen Bezug nimmt: in Nr. 3 auf den Islam, in Nr. 4 auf das Judentum. Das Konzilsdokument charakterisiert den Islam in knapper Form. Außerdem wird dazu aufgerufen, die Jahrhunderte dauernde Konfliktgeschichte zwischen Muslimen und Christen zu überwinden. Es wird die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass sich die Angehörigen beider Religionen gemeinsam für „Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ (Nostra aetate, Nr. 3) einsetzen. Die Konzilserklärung hebt Berührungspunkte zwischen dem christlichen und dem muslimischen Glauben hervor: die Erwartung der Auferstehung der Toten und des Gerichts, den Bezug auf Abraham und die Verehrung Jesu als eines Propheten. Zugleich wird der entscheidende theologische Unterschied zwischen Islam und Christentum benannt: im Hinblick auf das Verständnis Jesu, den die Muslime „nicht als Gott anerkennen“ (ebd.).

Ein neues Kapitel in den muslimisch-christlichen Beziehungen

Die vorsichtige Haltung des Konzils wird deutlich, wenn es Muhammad unerwähnt lässt und damit das zweite Element des muslimischen Glaubensbekenntnisses („und Muhammad ist sein Gesandter“) übergeht. Auch der Koran wird nicht direkt erwähnt. Das Zweite Vatikanum hat eine besondere Phase des Dialogs der katholischen Kirche mit dem Islam eingeleitet. Nach einer 1400-jährigen Geschichte der Konfrontation wird der muslimische Glaube „zum ersten Mal in der Konzilsgeschichte gewürdigt. ... Es ging dem Konzil darum, ein ... neues Kapitel in der schwierigen ... Geschichte der muslimisch-christlichen Beziehungen aufzuschlagen“ (Johann Figl / Ernst Fürlinger, Nostra aetate – Grundsatzerklärung über die Beziehungen der Kirche zu den Religionen, in: Jan-Heiner Tück [Hg.], Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg 2012, S. 415).

Die jüdischen Wurzeln der Kirche

In „Nostra aetate“ geht es auch um die Wiederentdeckung der jüdischen Wurzeln der Kirche. Die Konzilserklärung beginnt mit dem Hinweis auf das unauflösliche Band, durch das „das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamm Abrahams geistlich verbunden ist“ (Nostra aetate, Nr. 4). Der Text erinnert an das gemeinsame Erbe von Christen und Juden als Kinder Abrahams „dem Glauben nach“ (vgl. Gal 3,7). Die Verwurzelung der Kirche im Judentum wird durch das paulinische Bild ausgedrückt, dass die Kirche „genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums, in den die Heiden als wilde Schößlinge eingepfropft sind“ (ebd., Nr. 4; vgl. Röm 11,17-24). Zum ersten Mal wird in „Nostra aetate“ durch ein Konzil festgehalten: Auch wenn die Juden mehrheitlich das Evangelium nicht angenommen haben, bleiben sie „nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich“ (Nostra aetate, Nr. 4; vgl. Röm 11,28 f).

Judentum und Kirche: die gegenseitige Achtung fördern

Nachdem das Konzil die bleibende Bedeutung des Judentums für die Kirche herausgestellt hat, ruft es dazu auf, praktische Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Konzilsväter wollen „die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern, die vor allem die Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches ist“ (Nostra aetate, Nr. 4). Die Konzilserklärung von 1965 brachte eine entscheidende Wende im Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum. Es erfolgte eine klare Absage an eine Bestimmung kirchlicher Identität gegen und ohne das Judentum. Die Erneuerungskraft der Kirche erwies sich gerade an der Neubestimmung der christlich-jüdischen Beziehungen.

Der Dialog der Religionen als Voraussetzung für den Frieden

In den Jahren nach Ende des Zweiten Vatikanums hat die Erklärung „Nostra aetate“ eine immense Wirkung entfaltet. Unter dem Druck politischer und religiöser Radikalismen ist die in „Nostra aetate“ formulierte Sicht der Religionen heute noch wichtiger geworden. Papst Johannes Paul II. hat dieses Anliegen so formuliert: „Der Dialog muss weitergehen. In der Situation eines immer ausgeprägteren kulturellen und religiösen Pluralismus … ist dieser Dialog auch wichtig, um eine sichere Voraussetzung für den Frieden zu schaffen und das düstere Gespenst der Religionskriege zu vertreiben, die viele Epochen der Menschheitsgeschichte mit Blut überzogen haben. Der Name des einzigen Gottes muss immer mehr zu dem werden, was er ist, ein Name des Friedens und ein Gebot des Friedens“ (Apostolisches Schreiben „Novo millennio ineunte“ zum Abschluss des Großen Jubiläums des Jahres 2000 [6. Januar 2001], Bonn 2001, Nr. 55).

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml

Fotos: altrofoto.de

 

 



Nachrichten