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Countdown für Weihnachten: Die „O-Antiphonen“

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In der letzten Adventswoche nimmt die Kirche schon das weihnachtliche Geschehen in den Blick. Besonders unterstrichen wird das durch die „O-Antiphonen“, einen alten und besonderen Schatz der Kirche. Von Benedikt Bögle

In gewisser Weise ist der Advent zweigeteilt. In den ersten Wochen stehen vor allem Wachsamkeit und Umkehr im Mittelpunkt. Der erste Adventssonntag ruft zur Wachsamkeit und Erwartung des Herrn am Ende der Zeiten auf, der zweite und dritte Adventssonntag präsentieren mit Johannes dem Täufer eine Person, die die eigene Lebensführung radikal in Frage stellt. Er predigt in der Wüste Umkehr und Vergebung. So recht weihnachtlich ist das alles eigentlich auf den ersten Blick nicht, und bei diesen Themen verwundert es auch nicht, dass der Advent ursprünglich als Fastenzeit begangen wurde. Heute mag dies nicht mehr weit verbreitet sein, aber die Besinnung auf das eigene Leben mit allen Fehlern und Sünden spielt doch noch eine große Rolle.

 

Lob am Morgen und am Abend

Mit dem 17. Dezember, eine Woche vor Weihnachten also, ändert sich das. Die Evangelienabschnitte sprechen jetzt schon von der Kindheitsgeschichte, von der Geburt Johannes des Täufers, vom Stammbaum Jesu. Sehr deutlich wird dies auch an den sogenannten O-Antiphonen im Stundengebet der Kirche. Seit ältester Zeit heiligt die Kirche den Tag mit seinen unterschiedlichen Tageszeiten, indem sie sich zum Gebet versammelt. Besonders wichtig ist das Gebet am Morgen – die „Laudes“, das „Lob“ – am Abend die Vesper, und dann am Beginn der Nacht die Komplet, die den Tag abschließt. In jedem dieser Gebete singt die Kirche Psalmen, immer aber auch einen Lobgesang aus dem Neuen Testament. In den Laudes ist es das „Benedictus“, der Lobgesang von Zacharias, dem Vater des Johannes. Am Abend ist es das „Magnificat“, der Lobgesang der Maria und dann in der Nacht schließlich das „Nunc dimittis“, ein Lied des alten Simeon, der Jesus sehen und danach sterben durfte.

O Weisheit!

Jeder dieser Gesänge – sowohl die Psalmen als auch die Abschnitte aus dem Neuen Testament – sind umrahmt von einer Antiphon, wir könnten das heute auch Kehrvers nennen. Und die Kehrverse der Tage vom 17. Bis zum 23. Dezember sind besonders ausgestaltet. Jedes Mal beginnen sie mit einem „O“, einem staunenden Ausruf, der zeigt, wie unbegreiflich die Geburt Jesu, wie groß Gott ist. An jedem dieser Tage wird Jesus mit einem theologischen Bild aus dem Alten Testament verglichen. „O Weisheit“ ist das erste Attribut, danach folgen weitere Bilder: Jesus als „Adonai“, als Spross aus Isais Wurzel, als Schlüssel Davids, Morgenstern, König aller Völker und als Immanuel.

 

Jesus und David – Jesus und Gott

Diese Texte haben eine lange Tradition, auf jeden Fall müssen sie vor dem Jahr 850 entstanden sein. Sie nehmen unterschiedliche theologische Motive auf. So wird die Verbundenheit zwischen Jesus und der Tradition des Königs Davids besungen: Isai ist der Vater Davids, Jesus ein Spross aus dieser Familie; er ist der „Schlüssel Davids“. Andere Antiphonen betonen Jesus als göttliche Personen. „Adonai“ bedeutet Herr, bis heute sprechen Juden, die den Gottesnamen JHWH nicht aussprechen, Gott so an. „Immanuel“ heißt übersetzt „Gott ist mit uns“, einen Titel, den Jesus explizit im Matthäusevangelium erhält.

So schön diese Texte sind – eine gewisse Gefahr besteht. Über Jahrhunderte hinweg sah sich das Christentum als alleiniger Erbe des Judentums. Das Judentum sei verdrängt worden durch die Kirche, das neue Volk Gottes. Diese Theologie führte zu unsagbaren Verbrechen an den Juden. In jüngerer Zeit ist das Bewusstsein für eine neue Israel-Theologie gewachsen. Immer mehr Theologen unterstreichen, dass Israel noch immer von Gott berufen ist. Gott, der treu ist, verwirft sein auserwähltes Volk nicht. Es ist daher immer ein wenig gefährlich, Bilder aus dem Alten Testament ausschließlich auf Jesus Christus zu beziehen. Natürlich: Das ist nicht verboten. Aber immer mehr Theologen fordern, anzuerkennen, dass das Alte Testament auch immer noch die Bibel Israels ist. Diesen Respekt sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man sich mit den O-Antiphonen auseinandersetzt.

 

Den Tag heiligen

Zugleich können die O-Antiphonen Anregung zum Stundengebet sein: Seit zwei Jahrtausenden betete die Kirche, natürlich in etwas anderer Form, das Stundengebet. Priester und Diakone versprechen noch heute bei ihrer Weihe, dieses Gebet treu zu verrichten. Vielen Laien dagegen ist es leider unbekannt. Dabei hat das Stundengebet eine große Tradition, verbindet Psalmen aus dem Alten Testament mit Texten aus dem Neuen und ermöglicht, immer wieder Innezuhalten und den Alltag durch das Gebet zu unterbrechen. So kann das ursprüngliche Anliegen der Tagzeitenliturgie auch heute gelingen: Den Tag immer wieder zu heiligen.



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