News Bild Christlicher Glaube in säkularem Umfeld
Christlicher Glaube in säkularem Umfeld

Benedikt XVI. in Erfurt: missionarischer Aufbruch

Home / News

Regensburg, 9. März 2023

Vom 29. Mai bis 2. Juni 2024 wird in Erfurt, der Landeshauptstadt des Freistaates Thüringen, der 103. Deutsche Katholikentag stattfinden. Er steht unter dem Motto „Zukunft hat der Mensch des Friedens“. Bei seinem letzten Deutschlandbesuch im September 2011 ist auch Papst Benedikt XVI. nach Erfurt gereist und hat mit den Gläubigen auf dem Domplatz die Heilige Eucharistie gefeiert. Seine damaligen Aussagen in der Predigt sind – gerade im Hinblick auf eine zunehmende Säkularisierung in ganz Deutschland – auch heute höchst bedenkenswert.

Eucharistiefeier auf dem Domplatz in Erfurt

Wir haben – so Papst Benedikt XVI. in seiner Predigt während der Eucharistiefeier in Erfurt – wirklich Grund, Gott von ganzem Herzen zu danken. Wer hätte im „Elisabethjahr“ 1981 geahnt, dass wenige Jahre später Mauer und Stacheldraht fallen würden? Elisabeth von Thüringen, die Schutzheilige des Landes, lebte von 1207 bis 1231. Wer hätte 1941 voraussagen können, dass das „Tausendjährige Reich“ schon vier Jahre später in Schutt und Asche versinken sollte? In der früheren DDR haben die Menschen zwei Diktaturen ertragen müssen, die für den christlichen Glauben wie „saurer Regen“ wirkten. Viele Spätfolgen dieser Zeit, vor allem im geistigen und religiösen Bereich, sind – so Benedikt XVI. – noch aufzuarbeiten. Die Mehrzahl der Menschen in diesem Land lebt mittlerweile fern vom Glauben an Christus und von der Gemeinschaft der Kirche. Doch die letzten beiden Jahrzehnte seit der sog. „Wende“ haben auch gute Erfahrungen gebracht: einen Austausch über Grenzen hinweg und die gläubige Zuversicht, dass Gott uns neue Wege führt. Die neue Freiheit hat geholfen, dem Menschen größere Würde und vielfältige neue Möglichkeiten zu eröffnen. Aber es stellt sich auch die Frage, ob diese Möglichkeiten uns ein „Mehr an Glauben“ gebracht haben. Der Glaube und das christliche Leben haben einen tieferen Grund als die gesellschaftliche Freiheit. „Viele entschiedene Katholiken sind gerade in der schwierigen Situation einer äußeren Bedrängnis Christus und der Kirche treu geblieben“ (Apostolische Reise Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. nach Berlin, Erfurt und Freiburg 22.–25. September 2011. Predigten, Ansprachen und Grußworte. Bonn 2011, 93). Diese Menschen haben persönliche Nachteile in Kauf genommen, um ihren Glauben zu leben. Der Papst dankt den Priestern und ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus jener Zeit; er dankt den Eltern, die inmitten der Diaspora und in einem kirchenfeindlichen politischen Umfeld ihre Kinder im katholischen Glauben erzogen haben. „Das mutige Zeugnis und das geduldige Leben im ihm, das geduldige Vertrauen auf die Führung Gottes sind ein kostbarer Same, der für die Zukunft eine reiche Frucht verheißt“ (ebd., 94).

Gott, sichtbar in den Heiligen

Die Gegenwart Gottes zeigt sich besonders deutlich in den Heiligen. Ihr Glaubenszeugnis kann uns auch heute Mut machen zu einem neuen Aufbruch. Papst Benedikt XVI. verweist dabei auf die Schutzheiligen des Bistums Erfurt: Elisabeth von Thüringen, Bonifatius und Kilian (um 640–689). Die heilige Elisabeth kann uns helfen, die Schönheit und Tiefe des Glaubens und seine verwandelnde und reinigende Kraft zu entdecken und in unseren Alltag zu übersetzen. Die Gründung des Bistums Erfurt im Jahr 742 durch den heiligen Bonifatius (um 673–754/755) markiert die erste urkundliche Erwähnung der Stadt Erfurt. Benedikt XVI. erinnert auch an den heiligen Severus, der im vierten Jahrhundert Bischof von Ravenna gewesen ist; seine Gebeine wurden im Jahr 836 nach Erfurt gebracht. Von diesen Heiligen ging das lebendige Zeugnis des Glaubens aus, das alle Zeiten befruchtet. Was ist das Besondere im Leben dieser Heiligen? Wie können wir verstehen, dass es uns angeht und in unser Leben hineinwirken kann? Die Heiligen zeigen uns, dass es möglich ist, die Beziehung zu Gott radikal zu leben. Sie verdeutlichen, dass Gott sich uns zuerst zugewandt hat. Wir könnten nicht in Beziehung zu ihm treten, wenn er nicht zuerst uns geliebt hätte. Christus kommt auch heute auf uns zu; er spricht jeden einzelnen an und lädt ihn ein, ihm nachzufolgen. Diesen Anruf und diese Chance haben die Heiligen genutzt. Sie haben sich in der beständigen Zwiesprache des Gebets auf Christus hin ausgestreckt und von ihm das Licht erhalten, das ihnen das wahre Leben erschlossen hat.

Mitglauben mit der ganzen Kirche

Glaube ist immer wesentlich ein Mitglauben; niemand kann allein glauben. Nur im großen Miteinander der Glaubenden aller Zeiten kann der einzelne glauben. Dass ich glauben kann, verdanke ich zunächst Gott, der meinen Glauben „anzündet“. Aber ganz praktisch verdanke ich meinen Glauben meinen Mitmenschen, die vor mir geglaubt haben und mit mir glauben. Dieses große „Mit“ ist die Kirche. Die Kirche macht nicht vor Ländergrenzen Halt. Der geistliche Austausch, der sich über die ganze Weltkirche erstreckt, bleibt grundlegend für alle Zeiten. „Wenn wir uns dem ganzen Glauben in der ganzen Geschichte und dessen Bezeugung in der ganzen Kirche öffnen, dann hat der katholische Glaube auch als öffentliche Kraft in Deutschland Zukunft“ (ebd., 96). Benedikt XVI. hat in Erfuhrt die Gläubigen eingeladen, „die Heiligen von heute zu sein, mutige Zeugen Christi, und zum Aufbau unserer Gesellschaft beizutragen. Es waren nämlich immer die Heiligen und die von der Liebe Christi durchdrungenen Menschen, die wirklich die Welt verändert haben“ (ebd., 160 f). Die Rede des Papstes von einem „Mitglauben mit der Kirche“ lässt die Kirche und ihre Vollmacht „so im Innersten des Glaubensaktes selbst enthalten“ (Friedrich Weber, der damalige evangelische Landesbischof) sein, dass ihr Credo zeitlich und seinsmäßig dem Glauben der Einzelnen vorausgeht.

Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit

Die politischen Veränderungen des Jahres 1989 waren – so der Papst in Erfurt – nicht nur durch das Verlangen nach Wohlstand und Reisefreiheit motiviert, „sondern entscheidend durch die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit“ (ebd., 97). Ausgehend von diesem Gedanken Benedikts XVI. ist es aufschlussreich, dass Václav Havel (1936-2011), der ehemalige Dissident und Mitbegründer der Oppositionsbewegung Charta 77 und spätere Präsident der Tschechischen Republik, die kommunistische Misere als besonders schweren Fall einer allgemeinen Misere der Moderne ansah, die den Halt verloren hat, die von der Hybris der Machbarkeit und der Herrschaft des „Apparats“ geprägt ist. In der Anmaßung des erbärmlichen „wissenschaftlichen Sozialismus“ sah Havel den Spezialfall eines größeren Verhängnisses: der Entfremdung des modernen Menschen von seiner Herkunft, seinen Wurzeln und der traditionellen Bescheidenheit einer nicht zuletzt christlich geprägten Kultur (vgl. Christ in der Gegenwart Nr. 52/2011, 588). Václav Havel hat sich nach außen hin nicht als religiöser, gottgläubiger Mensch bekannt. Dennoch war sein Humanismus nicht nur in einer pragmatischen Diesseits-Moral verankert. In einem seiner „Briefe an Olga“, die er aus dem Gefängnis an seine 1996 an Krebs gestorbene erste Frau geschrieben hat, notiert Havel: „Wem sind wir verantwortlich? In letzter Instanz sicher keinem der flüchtigen Dinge dieser Welt. Das verborgene Rückgrat und die tiefste Quelle alles Sinnvollen im Leben ist immer die Verankerung im Absoluten“ (zit. nach: ebd., 588).

Missionarischer Aufbruch

Die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit wurde in Zeiten der kommunistischen Diktatur – so Benedikt XVI. in Erfurt – durch Menschen wachgehalten, die ganz im Dienst für Gott und den Nächsten standen und bereit waren, ihr Leben zu opfern. Sie und die erwähnten Heiligen geben uns Mut, die neue Situation zu nutzen. Wir wollen uns nicht in einem bloß privaten Glauben verstecken, sondern die gewonnene Freiheit verantwortlich gestalten. Wir wollen – wie die genannten Heiligen dieses Landes – unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger einladen, die Lebenskraft und Schönheit des Evangeliums zu entdecken. Dann gleichen wir der berühmten Glocke des Erfurter Domes, die den Namen „Gloriosa“ (die „Glorreiche“) trägt. Sie ist ein lebendiges Zeichen für unsere Verwurzelung in der christlichen Überlieferung, aber auch ein Signal des Aufbruchs und der missionarischen Einladung. Die Domglocke „Gloriosa“ möge uns dazu ermuntern, das Zeugnis Christi sichtbar und hörbar zu machen und so in einer Welt zu leben, in der Gott da ist und unser Leben schön und sinnvoll werden lässt.

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Bild: Thuringius

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/29/Erfurt_cathedral_and_severi_church.jpg

 



Nachrichten