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Brauchtum in Ostbayern: Die Ölbergkapelle in Falkenstein

Die Sühne des Scharfrichters

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Regensburg, 20. September 2024

Ein frommer Mann mit einem großen Vorhaben: Warum ein Scharfrichter die Ölbergkapelle bei Falkenstein errichtet hat, erläutert unsere Reihe Brauchtum und Geschichte in Ostbayern.

„Wenn man von Arrach nach Falkenstein geht und so ungefähr auf halbem Weg die Wasserscheide zwischen Regen und Donau erreicht, bietet sich dem Auge ein wunderschönes Bild“, schwärmt schon Josef Heigl in seiner Chronik über den Markt Falkenstein in der Oberpfalz, die der Pfarrer im Jahr 1953 herausgegeben hat. Zu allen Zeiten hat dieser Aussichtspunkt jeden beeindruckt, der den Höhenkamm überschritten hat. Hier, an der Gemeindegrenze zwischen Arrach und Falkenstein, wurden einst die Särge auf die Erde niedergestellt, damit die Toten zum letzen Mal Abschied von der Heimat nehmen.

Vom Bildstock zur Kapelle

Schon vor Jahrhunderten soll an dieser Stelle eine Marienfigur gestanden haben, nach ihrer Zerstörung wurde die Figur durch ein Blechbild ersetzt. In außergewöhnlich blumiger Sprache beschreibt der Chronist die Entstehungsgeschichte der heutigen Ölbergkapelle: „Ist es verwunderlich, wenn ein alter Falkensteiner, der auf der Suche um das tägliche Brot hinausgewandert war in die Fremde und der dort ein Auskommen gefunden hatte, das ihm einige Freigebigkeit ermöglicht, wenn er sich unter den mächtigen Linden hier erinnert und ihm der Gedanke kam, hier ein größeres Werk zu schaffen in Gestalt einer Kapelle.“

Bayerischer Scharfrichter

Der Mann, der „fern der Heimat“ in vielen Jahren die Heimat nicht vergessen hatte, war der Scharfrichter Franz Xaver Reichhart. Er wurde am 17. Januar 1851 in Mühltal bei Falkenstein als Sohn eines Wasenmeisters geboren. Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt der Beruf des Wasenmeisters oder Abdeckers als unehrlich und oft waren Scharfrichter und Abdecker dieselbe Person. Franz Xaver Reichhart ließ sich zunächst in Landshut nieder und arbeitete als Scharfrichtergehilfe. Da er ab 1893 überwiegend im Gefängnis Stadelheim tätig war, zog er 1895 nach München. Reichhart war der einzige bayerische Scharfrichter im Beamtenstatus. Bekannt wurde er vor allem durch die Hinrichtung des legendären Räubers Kneißl, die am 21. Februar 1902 mit der Guillotine vollzogen wurde.

Frommer Mann

Wann der Stifter den Plan zum Bau der Kapelle in seiner alten Heimat gefasst hatte, ist nicht bekannt. Belegt ist, dass im Jahr 1912 die ersten Vorbereitungen für die Ausführung getroffen wurden. Das bischöfliche Ordinariat in Regensburg war dem Vorhaben von Anfang an gewogen, ebenso wie das zuständige Pfarramt. Es wurde aber zur Bedingung gestellt, dass die künftige Kapelle regelmäßig beaufsichtigt und abgeschlossen wird, und dass sie in das Eigentum der Kirchenstiftung übergeht. Bereits ein Jahr später erwarb Reichhart von seinem Neffen den notwendigen Baugrund und ließ die Kapelle nach den Plänen eines Falkensteiner Baumeisters für 1400 Mark erbauen. Am 31. August 1913 erfolgte die feierliche Einweihung.

Scharfrichter-Dynastie

Eine Marmortafel in der Ölbergkapelle berichtet, dass „der Kgl. Nachrichter Franz Xaver Reichhart“ diese Kapelle 1913 erbaut habe, nachdem er in 40-jähriger Dienstzeit zahlreiche Todeskandidaten in die Ewigkeit habe befördern müssen. Daneben ließ der Stifter ein Bild mit den 15 Rosenkranzgeheimnissen und eine Gedächtnistafel für seine Eltern anbringen. Franz Xaver Reichhart starb 1934 im Alter von 83 Jahren, nachdem er noch im Rentenalter seinen Neffen zum Scharfrichter angelernt hatte. Johann Reichhart aus Wiechenbach bei Wörth an der Donau trat das Amt am 27. März 1924 an. Bis 1946 vollstreckte er insgesamt 3100 Todesurteile, darunter auch die Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl.

Text: Judith Kumpfmüller

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