Erfurt, 31. Mai 2024
Am Mittwoch grüßte Papst Franziskus die etwa 20.000 Teilnehmer des 103. Katholikentages in Erfurt vom 29. Mai bis zum 2. Juni. Folgende Grußbotschafft richtete Franziskus direkt an die Gläubigen:
Liebe Brüder und Schwestern,
von Herzen grüße ich Euch alle, die Ihr zum 103. Deutschen Katholikentag in Erfurt zusammengekommen seid, um gemeinsam zu beten, euch auszutauschen, einander im Glauben zu bestärken und Zeugnis abzulegen für das Evangelium Christi.
„Zukunft hat der Mensch des Friedens“. So lautet das Motto dieser Tage. Psalm 37 benennt den Grund, warum dem Menschen des Friedens Zukunft verheißen ist: Weil er gerecht ist, weil er tut, was Gott gefällt, weil er auf Gott vertraut. Die Tragik des Menschen ist es jedoch von Anfang an, dass er Gott nicht vertraut, sondern misstraut; dass er nicht tut, was Gott gefällt, sondern eigene Wege geht. Die ursprüngliche gottgewollte Einheit und Harmonie alles Geschaffenen ist so „aus den Fugen geraten“: Der Mensch gebraucht die Schöpfung nicht mehr im Sinne des Schöpfers, sondern missbraucht und misshandelt sie in egoistischem Macht- und Gewinnstreben. So kamen Leid und Tod in die Welt (vgl. Gen 3). Was hier gemeint ist, empfinden und benennen heute viele Menschen – insbesondere junge Menschen – ganz unterschiedlicher kultureller und weltanschaulicher Herkunft. Sie spüren, dass etwas mit dem Menschen und mit der Welt nicht stimmt, dass wir nicht einfach so weitermachen können wie bisher, dass es einer Umkehr, einer echten Neuorientierung bedarf.
Die Sendung Jesu stand ganz im Zeichen eben dieser Neuausrichtung des Menschen auf Gott hin – und damit auch einer Erneuerung und Heilung seiner Beziehungen zu den Mitmenschen, zur Schöpfung und nicht zuletzt zu sich selbst. Der Friede, den Christus bringt, wird sichtbar, wenn er den Menschen neue Hoffnung schenkt, Zukunft in schwierigen Zeiten: denen, die ausgegrenzt waren, den Kranken, denen, die in Schuld verstrickt waren. Christus hat das Unrecht beim Namen genannt und Missverhältnisse verurteilt. Um die göttliche Ordnung wieder herzustellen, musste Jesus nicht selten die menschliche Logik und Werteordnung auf den Kopf stellen, was insbesondere in der Bergpredigt deutlich wird. Aber gerade so stiftet er Frieden: „am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,20). Ja, schauen wir auf zum Kreuz: „Dort wurde auf die Gewalt nicht mit Gewalt reagiert, auf den Tod nicht mit der Sprache des Todes geantwortet. Im Schweigen des Kreuzes verstummt das Getöse der Waffen und kommt die Sprache der Versöhnung, des Verzeihens, des Dialogs und des Friedens zu Wort“ (Predigt am 7. September 2013). Der Friede Christi entsteht aus Liebe und Hingabe. An Ostern wird offenbar: Zukunft hat der Mensch des Friedens.
Wir Christen sind gerufen, seine Sendung fortzuführen: So wie er wollen wir den verlassenen, ausgegrenzten und einsamen Menschen neues Ansehen schenken und sie erfahren lassen, dass sie nicht allein sind. Wir wollen uns aber auch öffentlich, politisch für bessere Lebensbedingungen einsetzen und besonders denen eine Stimme verleihen, die kein Gehör finden. Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Nicht nur in Europa, sondern auch an anderen Orten der Welt scheinen momentan grundlegende Menschenrechte gefährdet: durch zunehmenden Antisemitismus, durch Rassismus und weitere, zu Extremismus und Gewalt tendierende Ideologien.
Die vielen moralischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen, die wir erleben, sind alle miteinander verbunden. Die Sorge um die Natur, die Gerechtigkeit gegenüber den Armen, das Engagement für die Gesellschaft, der Schutz des Lebens und der Familie, die Verteidigung der Würde allen menschlichen Lebens sowie der äußere und innere Frieden gehören zusammen. Die Probleme betreffen alle und können nur gemeinsam gelöst werden. Und entsprechend bedarf es eines weit angelegten, möglichst vielstimmigen Dialogs auf allen Ebenen des sozialen, ökonomischen und politischen Lebens. Die zahlreichen Diskussionsveranstaltungen auf dem Katholikentag mit vielen hochrangigen Vertretern und Repräsentanten aus wichtigen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens bieten eine gute Gelegenheit dazu.
In diesem Zusammenhang ist es schön und von Bedeutung, dass der Katholikentag auch ein Ort des ökumenischen Miteinanders und des interreligiösen Dialogs ist. Denn es braucht die Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens, die bereit sind, an einer friedlichen Zukunft zu bauen. Wie kraftvoll das gemeinsame Zeugnis der Christen sein kann, konnte man 1989 erleben, als Menschen des Friedens mit einer Kerze in der Hand die Friedliche Revolution ausgelöst haben. Hier in Erfurt fanden die Friedensgebete in der Lorenzkirche und in der evangelischen Predigerkirche statt. Dieses Wunder der friedlichen Wende, ausgelöst durch betende Menschen, zeigt uns, was das Gebet vermag. Und so ist diese Erinnerung auch eine Ermutigung für uns heute!
Der Mensch des Friedens hat Zukunft. Diese Gewissheit mahnt uns und ermutigt uns. Beten wir um den Frieden. Beten wir auch füreinander, dass die Kraft des Heiligen Geistes uns mit Hoffnung und Freude erfüllt. Von Herzen wünsche ich euch geistlich bereichernde fruchtbare Tage! Ich begleite euch im Gebet – bitte betet auch für mich. Der Gott des Friedens segne Euch.
Aus dem Vatikan, im Mai 2024
FRANZISKUS
(to)