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Bleibe bei uns, du Wandrer durch die Zeit

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Manchmal können wir den Eindruck haben, alleine auf dem Weg zu sein, alleine die wichtigen Entscheidungen zu treffen, alleine der Dunkelheit des Lebens entgegentreten zu müssen. Der Mensch ist bisweilen ein einsames Wesen: Im Schmerz sind wir alleine, Schuld müssen wir alleine tragen, auch im Tod kann niemand mit uns des Weges gehen. Der Mensch ist auf sich selbst geworfen. Wie sehr sehnen wir uns nach einem Begleiter; nach einem, der den Weg teilt, das Dunkel vertreibt, die Wunden heilt. Seit jeher sehnen sich Menschen nach Leitung und Begleitung, nach Geborgenheit und Hoffnung. Immer wieder haben Christen diese Hoffnung in ihrer Heiligen Schrift gesucht und auch gefunden. Immer wieder verstanden sie in den Schriften die Verheißung Gottes, den Menschen nicht alleine zu lassen. Immer wieder waren und sind Menschen fasziniert von Jesus – von ihm, der heilt, der rettet, der liebt.

In vielen Erzählungen zeigt sich das; etwa in der Erzählung von Emmaus: Zwei Männer sind da auf dem Weg, enttäuscht kehren sie nach dem Tod Jesu Jerusalem den Rücken. Auf dem Weg tritt ein Fremder zu ihnen. Es ist der Herr. Die Jünger erkennen ihn nicht, obwohl er mit ihnen über die Heilige Schrift Israels spricht. Erst als er das Brot mit ihnen bricht, gehen ihnen die Augen auf. Unzählige Menschen haben sich durch die Jahrhunderte hindurch künstlerisch mit diesem Text auseinandergesetzt – in Bildern und Texten. Der katholische Priester Peter Gerloff hat es verdichtet. Als Lied gehört es zum Gotteslob (Nr. 325) der katholischen Kirche:

Bleibe bei uns, du Wandrer durch die Zeit!
Schon sinkt die Welt in Nacht und Dunkelheit.
Geh nicht vorüber, kehre bei uns ein.
Sei unser Gast und teile Brot und Wein.

Weit war der Weg. Wir flohen fort vom Kreuz.
Doch du, Verlorner, führtest uns bereits.
Brennt nicht in uns ein Feuer, wenn du sprichst?
Zeige dich, wenn du nun das Brot uns brichst.

Weihe uns ganz in dein Geheimnis ein.
Lass uns dich sehn im letzten Abendschein.
Herrn, deine Herrlichkeit erkennen wir:
Lebend und sterbend bleiben wir in dir.

Denn es ist Abend

Schon sinkt die Welt in Nacht und Dunkelheit. Und manchmal droht diese Dunkelheit die Oberhand zu gewinnen. Nacht und Dunkelheit gehören nicht nur zum immer gleichbleibenden Wechsel dieser Welt, die zwischen Tag und Nacht zu schwanken scheint. Tiefer geht die Erkenntnis: In dieser Welt ist nicht alles Licht, die Schatten lauern beständig und überall. Schon in der Vorlage aus dem Evangelium könnte diese Spannung angelegt sein. Die Jünger bitten den Herrn: „Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt!“ Ja, der Sonnenuntergang naht – aber gerade angesichts der Dunkelheiten in der Welt und auch in unserem eigenen Leben wächst der Wunsch: Bleibe bei uns, Herr.

 

Ein Wanderer durch die Zeit

Mitten in der drohenden Dunkelheit begegnet uns da ein Wanderer durch die Zeit. Den Weg teilt einer mit uns, den wir erst gar nicht erkennen; er bleibt uns verborgen, erst im Schatten des endenden Tages lichtet sich der Schleier. Was die Jünger von Emmaus erlebt haben, spiegelt eine Erfahrung der Kirche durch alle Zeiten hindurch wider: Die Kirche befindet sich auf dem Weg. Die Gemeinschaft der Glaubenden ist gemeinsam unterwegs. Nicht zufällig wird die Kirche in der Apostelgeschichte auch als „neuer Weg“ bezeichnet. Dieser Weg ist nicht immer leicht, oft schwer oder kaum zu gehen. Doch ist die Kirche auf diesem Weg ebenso wenig allein, wie es die beiden Jünger von Emmaus waren und wie es jeder einzelne ist: Zu ihnen und zu uns gesellt sich, mal mehr bemerkbar, mal weniger, der „Wandrer durch die Zeit“ – der Herr.

Durch die Zeiten hindurch bestand für die Kirche immer die Notwendigkeit, geführt zu sein. Geführt von ihm, dem vermeintlich „Verlorenen“, geführt von dem Mann, dessen Mission am Kreuz nur scheinbar scheiterte. Wie viele Menschen fühlen sich verloren und verlassen – alleine im Leben, alleine mit ihrer Mission. An ihrer Seite steht ein Gott, der dieses Schicksal aus freien Stücken geteilt hat. Am Kreuz hängt der verlorene Mensch, dem sich jede Zukunftshoffnung verdunkelt, dessen Welt in Nacht und Finsternis fällt. Am Kreuz hängt der gescheiterte Mensch, ausgeliefert seinen Feinden und allen finsteren Mächten dieser Welt. Vor dieser erschreckenden Verzweiflung, dieser bestürzenden Hoffnungslosigkeit sind die beiden Jünger geflohen – und wer möchte es ihnen verdenken. Aber sie werden eingeholt. Der Verlorene, den sie hinter sich lassen wollten, ist bei ihnen – als Sieger über die Sünde und den Tod. Er ist ihnen nachgegangen, wie der gute Hirte die verlorenen Schafe sucht; er geht den harten Weg mit ihnen, verlässt sie auch in der Stunde ihrer Niederlage nicht.

 

Brennt das Herz in uns?

Auf dem Weg spricht der Herr zu den Seinen über die Schrift. Im Nachhinein erst fragen sich die Jünger: „Brannte nicht unser Herz in uns“? Es ist keine Aussage. Brennt unser Herz denn tatsächlich, wenn er durch die Worte der Schrift zu uns spricht? Brennen wir für das, was wir da hören – oder nehmen wir gar nicht mehr wahr, was uns da zugesprochen ist? Und wie ist es mit dem Brechen des Brotes? An dieser Geste erkennen die Emmausjünger Jesus. An dieser Geste aber können auch wir immer wieder in der Messefeier den gegenwärtigen Herrn erkennen. Tun wir das? Brennt uns das Herz?

 

Der letzte Abendschein

Gebrochen nur können wir den Herrn sehen; unter den unscheinbaren Zeichen von Brot und Wein. Die Hoffnung wächst, ihn eines Tages unverhüllt zu sehen, ungebrochen. „Lass uns dich sehn im letzten Abendschein“, hoffen wir. In jenem letzten Abendschein, in dem sich der Tag seinem letzten Ende entgegen neigt. Dunkel ist es geworden, der Tag neigt sich dem Ende zu. Sicherlich dürfen wir an den letzten aller Abendscheine denken, wenn es zu Ende geht mit uns und diesem irdischen Leben. Hoffentlich werden wir ihn dann sehen – und dann im Nachhinein seine Gegenwart in unserem Leben erkennen.

 

Ein Gebet für das Primizbild

Der Autor des Liedes, Peter Gerloff, studierte ursprünglich evangelische Theologie und wurde Pastor. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern konvertierte er später zur katholischen Kirche. In diesen Fällen ist ein Dispens, eine Ausnahmegenehmigung vom Gebot des Zölibats möglich; 1995 wurde Gerloff zum katholischen Priester geweiht. „Bleibe bei uns, du Wandrer durch die Zeit“ war das Gedicht, das sein Primizbild schmückte. Immer wieder dichtete der Theologe eigene Lieder und nutzte sie in liturgischen Feiern – auf das Lied zu den Emmaus-Jüngern wurde dann die Redaktion des neuen Gotteslobs aufmerksam, wie Gerloff sagt.

 

Kirche auf dem Weg

Wo und wann immer die Kirche auf dem Weg ist, begegnet sie Schwierigkeiten – von außen oder von innen. Die ganze Heilige Schrift – besonders aber die Begegnung der Emmausjünger mit dem Auferstandenen – darf ihre Hoffnung festigen, diesen Weg müsse sie nicht alleine gehen. Sie darf auf die Begleitung dieses Auferstandenen hoffen und immer wieder bitten: „Bleibe bei uns, du Wandrer durch die Zeit.“

Die Rechte am Liedtext liegen bei Autor Peter Gerloff. Die Veröffentlichung an dieser Stelle geschieht mit ausdrücklicher und freundlicher Gestattung durch Peter Gerloff.



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