St. Kassian – die älteste Pfarrkirche Regensburg
St. Kassian ist die älteste und in den Augen vieler Betrachter schönste Pfarrkirche Regensburgs. Sie überrascht die Besucher mit einem einzigartigen Bildprogramm. Hauptdarsteller sind Frauen, die im Alten Testament wegen ihrer Schönheit glänzen: Sarah, Judith, Batseba, Esther, Abigail und Rebekka. Sie stehen aber nicht selbst im Mittelpunkt, sondern verweisen jeweils auf eine Facette der Schönheit der Gottesmutter Maria, die die vollkommen Schöne ist. Bischof Voderholzer hat die von außen unscheinbare Kirche St. Kassian ins Herz geschlossen. Er entfaltet im vorliegenden Heft das theologische Programm der Langhausfresken. Damit führt er auch ein in die Methode der typologischen Schriftauslegung, die ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis der christlichen Kunst ist. Die marianischen Langhausfresken in St. Kassian „gehören zum Kostbarsten und Originellsten, was diese älteste Pfarrkirche Regensburgs enthält“ (S. 9). Es handelt sich bei den Bibelmotiven dieser Fresken um alttestamentliche Marien-Typologien. Die genannten Frauen werden als „Präfigurationen Mariens“ gezeigt. Diese Zusammenstellung ist „Frucht einer besonderen und für die Theologie und Kunstgeschichte zentralen bibeltheologischen Denkform“.
Der geschichtliche Hintergrund: Wallfahrt zur „Schönen Maria“ in Regensburg
Zur Deutung der Fresken bedarf es – so der Bischof – eines dreifachen „Anweges“: Zunächst muss der geschichtliche Hintergrund der Wallfahrt zur „Schönen Maria“ in Regensburg, in deren Dienst die Fresken stehen, ausgeleuchtet werden (S. 11-13). Im zweiten Schritt wird gezeigt, dass die Methode der Typologie, mit der Personen und Ereignisse des Alten und Neuen Testaments miteinander in Beziehung gesetzt werden, der Heiligen Schrift selbst entstammt und zum christlichen Glauben gehört (S. 13-27). Und schließlich muss erläutert werden, was es mit der „Schönheit“, die der Gottesmutter und ihren Vorläuferinnen zugeschrieben wird, auf sich hat (S. 27-37). Schönheit ist nichts Oberflächliches und Vergängliches. Wer der Wallfahrt zur „Schönen Maria“ und ihrem typologischen Bildprogramm in St. Kassian nachgeht, wird feststellen, dass sie eine aus der Tiefe der Seele hervorgehende Eigenschaft ist. Diese Schönheit hat auf ewig Bestand.
Marianisches Bildprogramm
In einem Exkurs geht der Autor auch auf das marianische Bildprogramm in der Wallfahrtskirche Scheuer südöstlich von Regensburg ein: Im Jahr 1760, kurz nach der Vollendung der Fresken in St. Kassian, macht sich der Kirchenmaler Martin Speer in der Wallfahrtskirche Scheuer ans Werk, im Zuge der barocken Neugestaltung das theologische Bildprogramm durch die Deckengemälde und die entsprechenden Wandgemälde zu vervollständigen. In der Gestaltung des Hochaltars war bereits die Verbindung von Altem und Neuem Testament programmatisch ins Bild gesetzt. Die Madonna mit Kind von Hans Leinberger (1520) wird flankiert von Statuen des Königs David und des Propheten Jesaja. Auch die weitere Durchführung des Programms lässt gewisse Ähnlichkeiten mit den gerade erst fertiggestellten Fresken in St. Kassian erkennen.
Sowohl das Bildprogramm in St. Kassian als auch das in Scheuer bezeugen das Glaubensbewusstsein von der Einheit der Heilsgeschichte, die in den Büchern des Alten und Neuen Testaments bezeugt ist und in Jesus Christus ihre Mitte und ihr Ziel hat. Das Programm und seine Umsetzung in St. Kassian ist freilich „wesentlich einheitlicher als das in der Wallfahrtskirche in Scheuer“ (S. 47). Die Einheit der Heiligen Schrift ist – so Rudolf Voderholzer – der Schlüssel zum Marienglauben der Kirche. Die Fresken in St. Kassian mit ihren typologischen Mariendarstellungen sind „sowohl hinsichtlich der theologischen Konzeption wie auch der künstlerischen Ausführung einzigartig“ (S. 47). Sie schöpfen aus der biblischen Überlieferung und bringen sie zusammen mit dem Gebet der Menschen, die bei Maria Zuflucht suchen. Maria als personifizierte Weisheit ist in den Frauengestalten Sarah, Judith, Esther, Batseba, Abigail und Rebekka „vorausgebildet und überbietet diese nicht nur schönen, sondern auch klugen und gottesfürchtigen Frauen“ als die „Mutter der schönen Liebe“.
Ein wichtiges Kapitel der Glaubens- und Kunstgeschichte
Die präsentierten Bilder und die dazugehörigen Erläuterungen wollen – so Bischof Voderholzer – die Leser über ein wichtiges Kapitel der Glaubens- und Kunstgeschichte informieren, die Freude am Glauben vermehren und das Vertrauen in die Fürsprache der Gottesmutter stärken. Das vorliegende Heft der von Domkapitular Prof. Josef Kreiml und Julia Wächter herausgegebenen Schriftenreihe ist bestens geeignet, durch den Blick auf Maria und ihre alttestamentlichen Vorläuferinnen die unzerstörbare Einheit der Heilsgeschichte neu in den Blick zu nehmen.
Weitere Bände der Reihe MARIANUM:
1: Josef Kreiml, Maria verehren
2: Sigmund Bonk, Diotima, Sophia – und Maria
3: August Laumer, Kinder mit Maria zu Jesus führen
4: Julia Wächter, Marienerscheinungen in Paris
5: A. Treiber/H. Reidel, Marienbilder des Malers Erwin Schöppl