Ganz im Sinne von „Gaudium et spes“: Augustin-Bea-Preis der Stiftung Humanum für Martin Mosebach
Konsensstörendes gegen Zungensperren
Bern, 7. Juni 2023
Martin Mosebach hat am vergangenen Wochenende in der Schweizer Bundesstadt Bern den Augustin-Bea-Preis 2023 der Internationalen Stiftung Humanum (Lugano) erhalten. Präsident der Stiftung Wolfgang H. Spindler OP nannte den Schriftsteller einen brillanten Denker und Sprachvirtuosen und lieferte präzise Begründungen für die Vergabe.
Christliches Menschen-, Geschichts- und Gesellschaftsbild bewahren
Mosebach schildere in seiner Prosa Menschen, die ihre Würde behaupten, und solche, die sie verlieren. Damit helfe er, das christliche Menschen-, Geschichts- und Gesellschaftsbild zu bewahren, wie es das Zweite Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes gezeichnet hat. Während des stilvollen, geistig anspruchsvollen Festakts im Bellevue Palace Hotel gleich neben dem Bundeshaus erklärte der Präsident: „Jenen, die von hoher Kunst und verfeinerter Lebensführung ausgeschlossen sind, verleiht Mosebach eine Stimme.“ Die Auszeichnung ist mit 30.000 Schweizer Franken versehen. Spindler betonte, dass die Stiftung nicht fromme Bekenntnisse belohne. Mosebach erinnerte daran, dass er nicht zum katholischen Roman beiträgt.
Joseph Ratzinger, Klaus Berger, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Zu den bisherigen Preisträgern zählen Joseph Kardinal Ratzinger (1989), Karoline Mayer (2001), Hans Urs von Balthasar (2005 postum), Paul Kirchhof (2009), Klaus Berger (2019) und Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (2021). Die Stiftung fördert Personen und Projekte im Geist des christlichen Ordnungsdenkens, wie es in Gaudium et spes zum Ausdruck kommt. Kardinal Bea, Lehrer der Biblischen Theologie und der Alttestamentlichen Exegese (1881-1968), hatte das Protektorat über die Stiftung übernommen.
Erinnerung an die 21 koptischen Märtyrer von Sirte
Mosebach wurde 1951 in Frankfurt am Main geboren. Der Büchner-Preis-Träger von 2007 hat Romane, Erzählungen, Hörspiele, Reportagen und Libretti veröffentlicht. Spindler würdigte, dass er wiederholt in kulturelle und religiös-kirchliche Debatten eingreift. Aufzählend hob er hervor: Mosebachs mutiges, gegen die Häresie der Formlosigkeit gerichtetes, konsensstörendes Eintreten für die althergebrachten Liturgien und Bräuche der lateinischen Kirche; die Erschließung übersehener oder vergessener Autoren und Traditionen; seine paradoxe Intervention gegen moderne Denkschablonen und mediale Zungensperre, wie Jean Paul Letzteres nannte; seine aufrüttelnde, die Aufnahme in das römische Martyrologium unbeabsichtigt vorbereitende Erinnerung an die 21 koptischen Märtyrer von Sirte; seine Fähigkeit, soziale Folgerungen aus dem Zusammenhang von Kult und Kultur im Blick auf die Armen und die Einfachen ermessbar zu machen und durch die Infragestellung des Fortschrittsglaubens und der Scheinwelt von „Frieden und Sicherheit“ einen Beitrag für wahren Frieden und Fortschritt der menschlichen Gesellschaft zu leisten. „Die im Glauben gründende Unabhängigkeit von Ideologien und Moden, der Sinn für Geist- und Stilvolles sowie das sichere ästhetische Urteil kennzeichnen Mosebachs Persönlichkeit“, hieß es im Urteil weiter, und: „Dem Spiritualismus und Nihilismus des Ewiggleichen setzt er die geschichtlich gebundene Inkarnation des Logos im Fleisch und das je Einmalige humaner Hervorbringungen entgegen.“ Ihm sei es gelungen, mit maßgeblichen Kreisen in Gesellschaft und Wissenschaft, in Kirche und Medien einen echten, Kontroversen nicht scheuenden Dialog zu führen. „Wir ehren heute nicht das Genie, weder Mosebach noch Goethe, sondern den sozial verankerten Sohn der Freistadt Frankfurt am Main.“ Von diesem Frankfurt war später noch die Rede.
Von der Scheu, dem Letzten nahezutreten
Die Art des christlichen religiösen Romans, in dem gepredigt und gebetet wird, lehnt Mosebach ab. Das sagte Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel in der Laudatio. „Auch den Himmel macht er nicht auf“, und das selbst im Gegensatz zu Joseph Roth, der seinen Helden einmal sogar dorthin habe entschweben lassen. Kiesel: „Dafür ist Mosebach zu sehr Realist.“ Vielleicht auch aus Scheu, dem Letzten nahezutreten, bleibe der Himmel seinem Blick verschlossen. Mosebachs Roman „Krass“ stellte Kiesel über den Ende 2022 veröffentlichten Roman „Taube und Wildente“. „Krass“ sei kein supranaturalistischer, sondern ein ganz und gar weltlicher Roman. Auf den ersten Blick! Mittlerweile habe ein findiger Wissenschaftler die These vorgelegt, dass „Krass“ eine Postfiguration der Passionsgeschichte wie auch der Göttlichen Komödie sei. Wohl könne dieser Roman als ein weltliches und als ein zutiefst christliches Buch gelesen werden.
Stier der Mediokrität bei den Gummihörnern packen
Mosebach nannte es einen Ritterschlag, von Helmuth Kiesel, Herausgeber von Werken Ernst Jüngers, „so“ gepriesen zu werden. Sein „unvergessener Vorgänger“ als Preisträger Klaus Berger und die unmittelbare Vorgängerin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz seien verdientermaßen damit geehrt worden. Der Preis sei kein Literaturpreis, und überhaupt habe er selbst mit seinen Romanen keinen Beitrag zum katholischen Roman im 20. Jahrhundert geleistet. Es sei sein Grundsatz, niemals etwas anderes zu beschreiben als das, was er aus eigenem Erleben bestätigen kann. „Es gibt Autoren, die sich in jede Art Welt hinein zu recherchieren vermögen. Ich gehöre nicht zu ihnen.“ Er, Mosebach, habe genug in sich, um auch ohne die schützende Hilfe einer faszinierenden Umgebung zu schreiben. „Und so habe ich denn den besonders unüberwindlichen Stier der Mediokrität bei den Gummihörnern gepackt und bin in dem eigenschaftslosen neuen Frankfurt geblieben, das mir oft wie eine große Flughafenlounge erscheint, in dieser auch im Vorkriegszustand weitgehend antimetaphysisch gewesenen Stadt, deren heutige Blässe mich periodisch zu Wutanfällen reizt, bis ich dann wieder ihre Bequemlichkeit genieße.“ Die Menschen seiner Romane lebten als ob es Gott nicht gebe. Etsi Deus non daretur; so Mosebach zwischen Hauptgang und Dessert. Der Romanschriftsteller habe sich darüber keinen Täuschungen hinzugeben, habe darüber nicht zu klagen und auch nicht darüber zu richten. „Seine Rechtfertigung besteht darin, das nicht von den Kategorien Erfassbare, das Widersprüchliche, nicht Auflösbare erlebbar zu machen.“ Trotz der Vielfältigkeit der Wirklichkeit vermöge der Schreiber im allerbesten Fall eine solche Ahnung zu vermitteln: weniger eine Einsicht als vielmehr eine Empfindung der Anwesenheit von Wahrheit. Und dann rückte der Romancier doch das Theologische ins erzählerische Wort hinein: „250 Jahre nach Platons Tod trat etwas ein, womit er nicht rechnen konnte: Der Weltschöpfer, der das Wahre, das Schöne und das Gute erdacht hatte, wurde Mensch. Die Wahrheit rückte aus dem Ideenhimmel auf die Erde und wurde anschaubar, und zwar von jedem, dem die Sinne dafür geöffnet wurden“, was eine Zuwendung der Kunst zum Realen erzwungen habe.
Zur rechten Hand der ehrenvolle Platz
Zunächst allerdings hatte der Würzburger Historiker Peter Hoeres über die universale Orientierung und die Bedeutung der rechten Seite in Kultur und Politik gesprochen. Bereits im Alten Testament gelte die Seite zur rechten Hand als der ehrenvolle Platz. Entgegen politischen Umbrüchen richte sich der homo religiosus, der nach Erlösung strebt, in der Orientierung nach der rechten Seite nach dem Schönen aus. Er hege die Hoffnung, dereinst zur Rechten Gottes gerufen zu werden: „Dorthin, wo der Menschensohn ist.“
Text: Prof. Dr. Veit Neumann
Bilder: Christoph Dorn, V. Neumann