Regensburg, 30. April 2023
Die Statistiken der Studienanfänger an den Katholisch-Theologischen Fakultäten in Deutschland sind erschreckend, findet die Theologin Annika Seebauer. Immer weniger junge Leute entscheiden sich dafür. Im Herbst 2022 hat sie ihr Studium an der Universität Regensburg erfolgreich beendet. Drei Amtsperioden lang war Frau Seebauer außerdem Fachschaftsvorsitzende der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg. Derzeit absolviert sie ein Doktorat an der Universität in Wien und würde sich nochmals für die Theologie entscheiden.
Liebe Frau Seebauer, wie kamen Sie darauf, Theologie zu studieren?
Zum Theologiestudium haben mich Menschen aus meiner Heimat ermutigt. Meine Eltern, Freunde und Bekannten fanden, dass es kaum ein Fach gibt, dass so breit gefächert ist wie Theologie. Man wird quasi zu einem Multitool ausgebildet. Jura, Geschichte, Ethik, Philosophie, Wirtschaft, Sprachen… – diese Bereiche sind alle Teil des Theologiestudiums. Eine Zeit lang hatte ich auch überlegt, Musik zu studieren. Das ist meine zweite große Leidenschaft. Neben der Musik habe ich mich aber schon seit meiner Erstkommunion kirchlich engagiert. Wie man es eben kennt: zuerst als Ministrantin, später wurde ich Gruppenleiterin und habe so noch mehr Verantwortung für die Minis, aber auch in meiner Heimatpfarrei insgesamt übernommen. Es gab nicht den Moment der Entscheidung, sondern es war mehr eine Entwicklung hin zur Theologie.
Zum Multitool ausgebildet werden – das klingt super! Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?
Das Studium hat sich zu 1000 Prozent gelohnt. Ich wusste immer, auch wenn Prüfungen anstanden – sei es im wörtlichen oder im übertragenen Sinne – , dass dieses Studium die richtige Wahl war. Für meinen Glauben war es stärkend, da ich Zusammenhänge und Hintergründe besser verstand. Das fängt schon beim Ablauf der Heiligen Messe an. Der zwischenmenschliche Kontakt mit den Kommilitonen war auch sehr bereichernd. Oft genug haben wir kritisch über die Lehrinhalte diskutiert. Mein Glaube wurde im Laufe des Studiums bewusster und stärker und ich konnte herausfinden, wo ich mich spirituell verortet sehe.
War es für Sie unangenehm, eine Antwort zu geben, wenn Sie gefragt wurden, was Sie studieren?
Ich habe mich auf jeden Fall gefreut, dass ich bereits durch die Wahl meines Studiums Zeugnis ablegen konnte. Die Kirche und der Glaube werden immer irgendwie zum Thema, sei es in der Heimatpfarrei, im Freundeskreis oder auf einer Geburtstagsfeier. Da hilft mir das Studium, Rede und Antwort zu stehen. Natürlich ist es nicht immer leicht, Antwort zu geben. Für viele Freunde bin ich inzwischen die Ansprechpartnerin schlechthin für Glaubensfragen. Letztens wurde ich gefragt: „Wie ist das eigentlich mit dem Beten?“
Trotz des Mangels an pastoralen Mitarbeitern haben Sie sich nach dem Studium für die Wissenschaft entschieden. Warum?
Das hat sich so gefügt. Ursprünglich bin ich mit dem Ziel ins Studium gegangen, Pastoralreferentin zu werden. Das Engagement in der Pfarrei machte ja einen extrem großen Teil in meinem Leben aus. Das würde ich auch für die Zeit nach meiner Promotion nicht ausschließen. Aber ich denke, dass ich ein Doktorat in ein paar Jahren vermutlich nicht mehr angegangen wäre. Also: wenn nicht jetzt, wann dann?
Mit Blick auf die Kirchenaustrittszahlen – warum bleiben Sie der Kirche treu?
Diese Frage wird mir tatsächlich häufig gestellt. Da gibt es die theologische Antwort und die persönliche. Ich beginne mit meiner persönlichen Erfahrung. Seit ich mein Leben ganz auf Gott ausrichte, habe ich so viele Fügungen und kleine Wunder erleben dürfen, dass ich mir sicher bin, dass Gott durch und in der Kirche wirkt. Auch so manche Prüfung im Studium wurde zur Gotteserfahrung. Für das Doktorat bin ich im Herbst nach Wien gezogen. Jeder Neustart bringt auch seine Schwierigkeiten mit sich, in der Kirche allerdings fand ich sofort Anschluss. Ich bin überzeugt, dass jeder einzelne Mensch, der in der Kirche ist, es wert ist, sich für ihn zu engagieren. Da sind Zahlen zweitrangig. Gleichzeitig darf man den Blick nicht nur auf die Statistiken bezüglich der Kirchenaustritte in Deutschland und Europa richten. Weltweit betrachtet, wächst die katholische Kirche, auch statistisch. Als Grund für meine Treue zur Kirche weise ich auch immer auf die Sakramente hin und darauf, dass Jesus Christus selbst die Kirche begründet hat. Warum sollte ich ihm den Rücken zukehren?
Was müsste sich ändern, dass wieder mehr Leute Theologie studieren?
Prinzipiell gibt es ja sehr viele Jugendliche, gerade in unserem Bistum, die sich kirchlich engagieren. Oftmals heißt es dann aber, dass es ausreichend sei, wenn man es als Hobby beibehält. Die meisten denken wahrscheinlich auch, dass Theologie eine „brotlose Kunst“ ist. Da wäre es wichtig, über die zahlreichen Berufsmöglichkeiten aufzuklären. Man hat durch die breit gefächerten Inhalte während des Studiums viele Möglichkeiten. Man kann Pastoralreferent werden, auch Journalist oder gar in Unternehmen im Personalwesen tätig sein. Auch Krankenhausseelsorge, Gefängnisseelsorge sind mögliche Tätigkeitsbereiche. Einige bekannte CEOs und Politiker sind ursprünglich Theologen – das weiß man nur meist gar nicht. Vor allem aber ist das Theologiestudium absolut sinnstiftend, für einen selbst, aber auch für andere. Dieser Aspekt, etwas „Sinnvolles“ zu tun, vermissen junge Leute heute oftmals in ihrem Studium. Man kann wirklich viel zum Guten bewegen, wenn man das möchte – gerade in Lebenswelten von einzelnen Menschen.
Als letzte Frage werfen wir den Blick noch einmal zurück an den Anfang Ihres Theologiestudiums. Was würden Sie der Erstsemester-Annika gerne sagen?
Bleib dir und Gott treu. Mit dem richtigen Maß an Zielgerichtetheit und Gottvertrauen ist alles möglich. ER wird letztlich alles so fügen, wie es sein soll.
Interviewfragen & Fotos: Jacinta Fink