Zwischen den Fronten: Christen im Heiligen Land
„Ein schwieriger Spagat“
Jerusalem / Regensburg, 6. August 2024.
Der Krieg im Heiligen Land dauert unvermindert an – und zieht die ganze Region in Mitleidenschaft. Das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt in Kooperation mit dem Lateinischen Patriarch von Jerusalem die Nothilfe der christlichen Gemeinden.
Vor wenigen Wochen hat eine Delegation des Hilfswerks „Kirche in Not“ das Heilige Land besucht. Die Christen dort leiden immens unter den Spannungen, besonders natürlich unter dem Gaza-Krieg. Aber auch dort, in Gaza-Streifen, leben bis heute 600 Christen. Unser obiges Bild zeigt die Erstkommunionsfeier 2024 in der Pfarrkirche zur Heiligen Familie in Gaza-Stadt.
Genaueres zur Lage im Heiligen Land weiß Reinhard Backes, Projektreferent bei „Kirche in Not“ für die Länder des Nahen Ostens. Im Interview schildert er seine Eindrücke.
Herr Backes, welche Orte im Heiligen Land haben Sie besucht?
Wir waren in der Jerusalemer Altstadt, aber auch in Ostjerusalem, wo viele Christen leben. Und wir waren im Westjordanland. In den Gaza-Streifen konnten wir aufgrund der aktuellen Lage nicht fahren. Aber wir hatten zahlreiche Gespräche mit Menschen, die in engem Kontakt stehen mit den zwei christlichen Gemeinden im Gaza-Streifen, der griechisch-orthodoxen und der katholischen Pfarrei.
Wie steht es um die christliche Jugend?
Wir hatten auch die Gelegenheit, christliche Jugendliche zu treffen. „Kirche in Not“ hatte schon vor dem Krieg zugesagt, dass wir den jungen Menschen im Heiligen Land helfen wollen. Sie brauchen Perspektiven: beruflich, aber auch im Glauben.
Reinhard Backes, Projektreferent von „Kirche in Not“ für den Nahen Osten.
Wie sehr hat der Krieg das Land verändert?
Das Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern ist völlig zerrüttet. Auch unter den Christen gibt es Spannungen: Es gibt hebräisch sprechende und arabisch sprechende Christen. Zudem gibt es Katholiken, die in der israelischen Armee dienen, während unter den Opfern der Militäraktion im Gaza-Streifen auch arabische Christen sind. Deswegen hat der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Kardinal Pizzaballa, bei unserem Treffen erklärt: Es ist nicht leicht, von Neutralität und Dialog zu reden, obwohl beides natürlich notwendig ist. Aber er hat betont, dass man den Christen auf der arabischen wie der hebräischen Seite zuhören, mit ihnen leiden und bei ihnen sein muss. Das ist ein schwieriger Spagat.
Zusammenstellen von Medikamentenhilfen, Kirche in Not wird sie ins Westjordanland bringen.
Die Zahl der Christen im Heiligen Land geht seit Jahren zurück. Hat der Krieg diese Abwanderung weiter angefacht?
Einerseits ja. Andererseits gibt aber auch Christen, die ins Heilige Land einwandern. Das mag zunächst überraschen. Die israelische Gesellschaft hat wie die europäische das Problem der Überalterung. Darum wirbt Israel junge Menschen an, in der Altenpflege und im Gesundheitsbereich zu arbeiten. Meistens sind das Frauen, die von den Philippinen und aus Indien kommen. So sind in den vergangenen Jahren bis zu 100 000 Christen nach Israel gekommen. Ihre Lage ist prekär, denn der israelische Staat kann Migranten, die heiraten oder Kinder haben, die Arbeitserlaubnis und das Bleiberecht entziehen. In Israel geborene Kinder von Migranten haben keine klare Aufenthaltserlaubnis und können ab dem 18. Lebensjahr abgeschoben werden. Dabei sind sie in Israel geboren, sprechen Hebräisch und waren nie in der Heimat ihrer Eltern.
Was tut „Kirche in Not“, um die Christen zu unterstützen?
Wir leisten seit Kriegsausbruch Notfallhilfe, zum Beispiel um die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten sicherzustellen. Das setzen wir fort. Im Gaza-Streifen, vor allem in Gaza-Stadt, gibt es aktuell noch an die 600 Christen. Sie halten sich auf dem Gelände der katholischen und auch der orthodoxen Pfarrei auf. Gaza-Stadt ist praktisch zerstört, aber das Leben muss irgendwie weitergehen. Die Christen wollen dortbleiben.
Wie ist die Lage im Westjordanland, und wie hilft „Kirche in Not“ dort?
Im Westjordanland haben viele Menschen ihre Jobs verloren, vor allem die jungen Leute. Israel hat die Grenzen zum Westjordanland geschlossen. Viele Palästinenser können deshalb nicht mehr an ihre Arbeitsplätze. Darüber hinaus kommen wegen des Krieges kaum noch Pilger zu den Wallfahrtsstätten. Also fällt auch diese wichtige Einnahmequelle weg. Deswegen hat „Kirche in Not“ zusammen mit dem Lateinischen Patriarchat ein Programm gestartet, mit dem junge Menschen in Arbeit gebracht werden sollen. Die sind dann zum Beispiel in kirchlichen Einrichtungen tätig und führen dort Renovierungsarbeiten durch. Es ist eine bedrückende Lage, und deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Brüder und Schwestern im Heiligen Land nicht vergessen.
Text: Kirche in Not
(sig)