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Von der Gefahr, das Glück in der Virtualität zu suchen

Resonanzräume der Innerlichkeit statt rastlose Unruhe

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Regensburg, 12. Oktober 2022

Wir sind ständig online, chatten allgegenwärtig. Die Glücks- und Sinnsuche der Nach-Postmoderne hat sich mittlerweile mit aller Wucht in die Virtualität verschoben, soziale Netzwerke fungieren als Identifikationsflächen des Ich. Wir definieren uns über Facebook, Twitter, Instagram und Selfie-Wahn. Die mediale Präsenz und Inszenierung sind uns quasi zum Religionsersatz geworden, verheißen sie uns doch eine neue „Unsterblichkeit“. Ständig liebkosen und aktualisieren wir unsere virtuelle Existenz, als sei diese die einzige Realität, die es gibt. Doch im Rausch der Klicks verkümmert unser reales Ich. Anstatt das ewige Seelenheil und das seligmachende Glück zu finden, enden wir letztendlich in einem kollektiven Burn-out.

So sieht das zumindest der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa. Wir dampfen fast alle unsere realen sozialen Kontakte ein und nehmen die Welt außer uns nur noch via Bildschirm wahr. Doch wer heute meint, dass er sein Welt-Sein dadurch aufwertet, wenn er nur mehr Likes für seine Postings und Tweets sammelt, wird spätestens dann schnell enttäuscht, wenn er weniger Rückmeldungen aus dem Orbit erhält. Das kurzweilige Pseudo-Glück katapultiert sich im schlimmsten Fall zur Depression und die verweigerte Resonanz führt in eine unendliche Spirale von Unglücklichsein. Wer damit sein Glück außerhalb seiner selbst sucht, dem droht immer die Gefahr, sich selbst zu verlieren.

Was vielen Internet- und Handysüchtigen fehlt, ist eine „libidinöse Weltbeziehung“. Bildschirme, Handytastaturen sind „Resonanzkiller“, weil es sich um virtuelle Weltbeziehungen handelt. Als Alternative zur rastlosen Unruhe hingegen bräuchte es mehr Resonanzräume der Innerlichkeit, Oasen, wo sich der Mensch als leib-geistige Einheit wieder verspürt.

Bereits vor über zweitausend Jahren warb der Philosoph Lucius Annaeus Seneca bereits für diese, für die Innerlichkeit, die Seelenruhe. „Zieh dich zurück in die Stille der Muße, aber lass auch um diese Muße selbst die Stille walten,“ lautete damals die Maxime.

Der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die sich im Digitalisierungswahnsinn verstrickt und in blinder Raserei durch die eigene Geschichte jettet, unruhig eine mediale Bombe nach der anderen zündet, kann Seneca nur entgegenhalten: „Nur die Ruhe ist heiter, die uns die Vernunft schenkt.“ Alles, was den Menschen aus der Ruhe bringt, gilt es zu meiden. Dazu allerdings bedarf es des wohlgeordneten Verstandes, der sich nicht durch leidenschaftliche Affekte aus der Taktung bringen lässt und die Harmonie der Seele effekthascherisch auf das Spiel setzt. Und allen, die ihre Lebenszeit in die scheinbar seligmachende Kraft der Sozialen Netzwerke investieren, würde er entgegenhalten: „Nur ein kleiner Teil des Lebens ist es, den wir leben. Die gesamte übrige Spanne ist nicht Leben, sondern Zeit.“ Darum sollten wir das Leben mit Sinn füllen, anstatt es zu verschwenden und durch Oberflächlichkeit zu zerfasern.  Wir haben, so schreibt er in einem seiner berühmtesten Schriften „Von der Kürze des Lebens“, „kein kurzes Leben empfangen, sondern es kurz gemacht“ und gehen verschwenderisch damit um. Und in der Tat: Ein wenig mehr Besinnlichkeit, Einkehr, Ruhe und Selbstzufriedenheit statt kurzfristiger Sinnenfreude wäre auch eine Erholung für die Seele in den unendlichen Weiten und Tiefen des Internets.

 

Stefan Groß

Titelbild: (c) H_Ko - stock.adobe.com



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