News Bild Brauchtum in Ostbayern: Die Fraisch im Oberpfälzer Stiftland
Brauchtum in Ostbayern: Die Fraisch im Oberpfälzer Stiftland

Diener zweier Herren

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Regensburg, 26. Juli 2024

Das Fraischgebiet, gelegen im Landkreis Tirschenreuth: jahrhundertelang wurde jedes Jahr aufs Neue gewechselt – und zwar das Land.

Versetzen wir uns zurück in die Zeit, als die Grenzen zu unseren Nachbarländern noch nicht aufgehoben waren und es noch keine einheitlichen Währungen gab. Stellen wir uns vor, in unserem Nachbarland wird eine andere Sprache gesprochen, andere Feiertage und Feste werden gefeiert. Und einmal im Jahr versammeln wir uns auf dem Marktplatz und erfahren dann, zu welchem Land wir in den nächsten zwölf Monaten gehören. Dann heißt es das Geld wechseln, die Fahnen tauschen, den Kalender ändern und die Gesinnung auf den jeweiligen „neuen Herrn“ einstellen. Unvorstellbar, aber genau so erging es Jahrhunderte lang den Bewohnern eines kleinen Gebietes in der Oberpfalz.

Geteilte Herrschaft

Bis in das 16. Jahrhundert hinein war die Gegend um Neualbenreuth im Landkreis Tirschenreuth ein Kondominium zweier Reichsstände bzw. ihrer Rechtsnachfolger, dem Königreich Bayern und der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das heißt, Herrschaftsrechte und Gerichtsbarkeit waren geteilt.

In dem sogenannten Fraischgebiet (aus dem althochdeutschen „fraison“ – Gerichtsbarkeit, Todesstrafe) herrschten einst ganz besondere Besitz- und Gerichtsverhältnisse. Hier lebten sowohl Untertanen des Stifts Waldsassen als auch der Stadt Eger. So gehörten z.B. in Neualbenreuth 49 Häuser der Stadt Eger, die Bewohner von 62 Häusern waren dem Stift Waldsassen untertan. Ähnlich war die Situation in einigen umliegenden Orten.

Kloster oder Stadt

Dieses Durcheinander führte nicht nur zu jahrhundertelangen Grenz-Streitigkeiten, gestritten wurde auch um Wegrechte, Steuern, Lehen und Frondienste, Handel, Jagd, Soldaten und die Gerichtsbarkeit. Schließlich musste sogar der Kaiser eingreifen und im Jahr 1591 schlossen Kloster und Stadt einen Grenz- und Zuständigkeitsvertrag, die Fraisch nahm ihren Anfang. Ab jetzt sollte die „Halsgerichtsbarkeit“ jährlich abwechselnd von der Stadt Eger und dem Zisterzienserstift Waldsassen ausgeübt werden. Wer im nächsten Jahr die Landeshoheit innehatte wurde jeweils am 29. Juli auf dem Marktplatz in Neualbenreuth verlesen, der Wechsel wurde noch am selben Tag vollzogen. Für die Bewohner gab es ab sofort eine neue Währung, die Fahnen wurden gewechselt und andere Feiertage begangen. Mit einer Ausnahme: der Kirchenbau und der Pfarrer von Neualbenreuth mussten nicht wechseln – sowohl das Gebäude als auch der Pfarrherr unterstanden immer der Stadt Eger. Und da der Schulmeister zur Kirche gehörte, blieb auch ihm ein jährlicher Wechsel erspart. Im Gegenzug hatte sich das Kloster Waldsassen die Burg in Hardeck gesichert. Dort hatte das Klostergericht dauerhaft seinen Sitz.

Nachwirkungen bis heute

Eigentlich sollte die Regelung nur vorübergehend gelten. Doch es dauerte bis ins 19. Jahrhundert, bis der alte Rechtszustand am 24. Juni 1862 im sogenannten Wiener Vertrag offiziell und endgültig aufgehoben wurde.
Einiges erinnert allerdings noch immer an dieZeit der Wechselfraisch. In der Nähe von Neualbenreuth liegt auf bayerischem Gebiet der „Egerer Stadtwald“, ein etwa 650 Hektar großes Waldgebiet, das seit 1554 im Besitz der Stadt Eger ist. Und bis heute gibt es auch die Regelung, dass die tschechische Stadt Cheb (Eger) berechtigt ist, aus dem bayerischen Gebiet Trinkwasser zu beziehen.


Text: Judith Kumpfmüller

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