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Virtuoses Plädoyer für den Glauben

Amüsant führt G.K. Chesterton ins Christentum ein

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Regensburg, 4. März 2023

Rund hundert Bücher hat der englische Essayist Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) verfasst, darunter so bekannte Werke wie „Die Geschichten von Pater Brown“ (1911 bis 1935; vgl. G. K. Chesterton, Die besten Pater-Brown-Geschichten. Ausgewählt und übersetzt von Stefanie Kuhn-Werner, Leipzig 2000) oder „Ketzer. Eine Verteidigung der Orthodoxie gegen ihre Verächter“ (Frankfurt a. M. 1998). Auch die „beste Biographie über Thomas von Aquin“ (Karl Rahner) hat Chesterton geschrieben. Es ist an der Zeit, an den großen Konvertiten und Essayisten zu erinnern, zumal in kirchlich bewegten Zeiten. Das Bild oben zeigt eine Folge der Serie Father Brown der BBC mit Mark Williams. Dabei löst Father Brown ein Rätsel.

Mit Recht hat die Wochenzeitung „Die Zeit“ sein „Orthodoxie“-Buch (Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen. Aus dem Englischen neu übersetzt von Monika Noll und Ulrich Enderwitz. Mit einer Einleitung von Martin Mosebach, Frankfurt a. M. 2001) „eine Kollektion zahlloser Perlen“ genannt. Chestertons Verteidigung des Christentums hat „auch für Nichtchristen in ihrer Virtuosität mehr tiefgründigen Witz als fast die gesamte zeitgenössische Kabarettszene“ (in: „Werdet Christen!“, in: Die Zeit. Leben. Nr. 31/2000, 10). Martin Mosebach verweist in seiner Einleitung des Werkes „Orthodoxie“ auf die eigentümliche „Spannung“, die dieses erstmals 1908 erschienene Buch belebt: Chesterton, der 1922 zum Katholizismus konvertierte, preist die „radikale Antisubjektivität“ des christlichen Glaubens mit einer „radikalen Subjektivität“. Seine jonglierende Virtuosität im Umgang mit der klassischen Form der christlichen Religion finde nur im spanischen Barock ihresgleichen. Papst Pius XI. hat Chesterton posthum den seltenen Titel „Defensor fidei“ („Verteidiger des Glaubens“) verliehen.

Eine Art Biographie

Die Intention seines Werkes „Orthodoxie“ (im Sinne von „Rechtgläubigkeit“) benennt Chesterton so: Das Buch ist nicht als theologischer Traktat, sondern als „eine Art nachlässig hingeworfene Autobiographie“ zu verstehen (vgl. auch G. K. Chesterton, Autobiographie. Übersetzt von Hubert Schiel, Bonn 2002). Dabei will der Verfasser – wie John Henry Newman (1801-1890) in seiner „Apologia pro vita sua“ (Apologie. Geschichte meiner religiösen Überzeugungen [1864]. Übersetzt von Maria Knoepfler, Mainz 1951) – die Einsichten darlegen, die ihn bewogen haben, den christlichen Glauben anzunehmen. Chesterton beschreibt dabei die Welt als einen Ort, der „staunenerregende Fremdheit und freundliches Entgegenkommen miteinander verknüpft“ (Orthodoxie, S. 31). Materialistische Philosophien sind „mit Sicherheit weit einengender als jede Religion“ (ebd., 55); denn sie führen in einen vollständigen Fatalismus. Ein konsequenter Determinist (derjenige, der annimmt, dass alles vorausbestimmt ist) kann nicht einmal mehr den Mitmenschen um einen Gefallen bitten. Die Spannkraft des gesunden Menschen besteht in einer dem Materialisten vollkommen fremden Fähigkeit, nämlich im Ausbalancieren scheinbarer Widersprüche.

Tradition: Übereinkunft vernünftiger Menschen

Auch seine Einsichten über den Wert von Traditionen legt Chesterton dar: Tradition, die als „Demokratie in zeitlicher Erstreckung“ (Orthodoxie, 98) zu verstehen ist, basiert auf der Übereinkunft vieler vernünftiger Menschen und nicht auf irgendeiner willkürlichen Quelle. Normalerweise steht hinter der Überlieferung eines Volkes die große Mehrzahl vernünftiger Menschen, während ein traditionskritisches Buch „im Zweifelsfall von einem einzigen verrückten Menschen“ geschrieben wurde. Die Geltung der Tradition basiert auf einem „erweiterten Stimmrecht“; d. h. in einer traditionsbestimmten Gesellschaft gibt es auch ein „Stimmrecht der Vorfahren“. In seinen Reflexionen über den historischen Ursprung von Moralität vertritt Chesterton die These, dass diese nicht auf dem direkten Weg eines bewussten Interessenausgleichs (im Sinne der Lehren vom Gesellschaftsvertrag) entstanden ist. Vielmehr steht die Genese des Moralbewusstseins in engem Zusammenhang mit dem Gehorsam des Menschen gegenüber religiösen Geboten (vgl. ebd., 137).

Christentum – „etwas ganz Außergewöhnliches“

Eine detaillierte Rückschau auf seinen denkerischen Werdegang seit seiner Jugendzeit gibt Chesterton in einem Abschnitt über die „Paradoxa des Christentums“: Bei seiner Auseinandersetzung mit Agnostikern hat er immer deutlicher den Eindruck gewonnen, das Christentum müsse „etwas ganz Außergewöhnliches“ (ebd., 167) sein. Eigenartigerweise haben gerade Kritiker, die selbst Pessimisten gewesen sind, dem Christentum eine pessimistische Weltsicht unterstellt. Dazu Chesterton voller Ironie: Das Verhältnis zwischen Religion und Glück kann von denen, die „nach eigenem Bekunden weder das eine noch das andere besitzen, nicht gerade am besten beurteilt werden“ (ebd., 170). Es habe ihn „aufhorchen“ lassen, dass es viele, die auf das Christentum einschlagen, „nicht kümmert, wenn sie sich selber widersprechen“ (ebd., 174). Die Entdeckung einer „neuen Balance“ (z. B. zwischen Barmherzigkeit und Strenge) betrachtet Chesterton als das „Hauptstück“ der christlichen Ethik. Das fesselnde Abenteuer der Orthodoxie besteht darin, wild galoppierende Pferde zusammenzuhalten. Der „geringste Fehler“ in der christlichen Dogmatik hat „die schlimmsten Folgen für das Glück der Menschen“ (ebd., 194). Wäre die Kirche der Versuchung erlegen, den bequemen Weg zu gehen, dann hätte sie sich in ihren ersten Jahrhunderten der irdischen Macht der Arianer, die die Gottheit Christi bestritten haben, wohl gebeugt. Fallen ist immer einfacher als aufrecht stehen. Die kraftlosen Ketzereien liegen – so Chesterton – am Boden, die „ungestüme Wahrheit“ des Glaubens hingegen steht „schwankend, aber aufrecht“.

Die Religion der Freiheit und der Liebe

Auch den „Abenteuern der Orthodoxie“ geht Chesterton auf den Grund: Dabei diskutiert er die schon zu seiner Zeit (1908) gelegentlich vertretene These angeblich großer Ähnlichkeiten zwischen Buddhismus und Christentum (ebd., 244 ff). Diese Passagen lesen sich so, als handelte es sich um eine Auseinandersetzung mit den angeblich so originellen Thesen, die heutzutage die so genannten Religionspluralisten (z. B. der presbyterianische Theologe John Hick) vertreten. Die Ähnlichkeiten zwischen Buddhismus und Christentum beziehen sich – so Chesterton – nur auf das „grundsätzlich Menschliche“. Im Hinblick auf das theologisch Wesentliche könnten die Lehren der beiden Religionen gegensätzlicher nicht sein. Der Buddhist „blickt mit extremer Anspannung nach innen“ (ebd., 247), der Christ hingegen nach außen. Der Buddhist steht auf Seiten des Pantheismus (d. h. alles ist göttlich), das Christentum auf Seiten der Freiheit und der Liebe. Die tiefe Kluft zwischen den beiden Religionen besteht darin, dass die unhintergehbare Personalität des Menschen für den Buddhisten einen „Sündenfall“ darstellt, während sie für den Christen „gottgewollt“ ist.

Ein umfassender Sinn der Existenz

In seinem Blick auf die Grunddogmen des christlichen Glaubens (Schöpfung und Erlösung) zeigt Chesterton, dass das Christentum eine echte „geistige Befreiung“ gebracht hat. Manche moderne Philosophie erscheint äußerlich wie ein Kunstwerk, während sie in Wirklichkeit einer denkerischen Verzweiflung entspringt, sofern ein Philosoph „nicht wirklich daran glaubt, dass es im Universum Sinn und Bedeutung gibt“ (ebd., 291). Der christliche Glaube hingegen bezeugt einen umfassenden Sinn der menschlichen Existenz und kann deshalb die Freude „zu etwas Gigantischem“ machen. Bei seiner Auseinandersetzung mit bedeutenden Philosophien der Menschheitsgeschichte lenkt Chesterton seinen Blick immer wieder auf die „alles ins Wanken bringende Persönlichkeit“ Jesu Christi.

Plädoyer für den Optimismus

Philip Yancey weist darauf hin, dass Chesterton sein Werk „Orthodoxie“, das sich durch überraschende Wendungen und Finessen auszeichnet und ein grandioses „Plädoyer für Optimismus“ darstellt, in einer Situation geschrieben hat, in der er gegen eine große Hoffnungslosigkeit ankämpfen musste und beinahe am Sinn des Lebens verzweifelt wäre. Yancey ist der Überzeugung, dass wir heute – in einer Zeit, in der sich das kulturelle Leben und der christliche Glaube weit voneinander entfernt haben – einen „neuen Chesterton bitter nötig haben“. Von seiner Brillanz, seinem unterhaltsamen Stil und seinem großherzigen, fröhlichen Geist geht auch heute eine große Überzeugungskraft aus. Franz Kafka hat über Chesterton einmal gesagt: „Er ist so lustig, dass man fast glauben könnte, er habe Gott gefunden.“ Chestertons „Orthodoxie“ – ein Klassiker der christlichen Literatur – hat besondere Aufmerksamkeit verdient. Das entschiedene Bekenntnis des Autors zum christlichen Glauben bildet einen dringend notwendigen Kontrast zum heute vorherrschenden mainstream eines allzu flachen Religionspluralismus. Mit seiner „Orthodoxie“ präsentiert der englische Essayist eine Verteidigungsschrift im besten Sinne des Wortes. Er hat eine streitlustige, amüsante und zugleich ernsthafte Einführung in den christlichen Glauben geschrieben. Dass dieses theologisch anspruchsvolle und literarisch ausgereifte Werk jemanden gleichgültig lässt, ist kaum vorstellbar.

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml

Bild: Adrian Beney, commons.wikimedia.org/wiki/File:Filming_the_Father_Brown_series_in_Blockley_Churchyard.JPG



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