Vandalismus: „Geköpfte Madonna“ kehrt nach Restaurierung in Straubinger Jesuitenkirche zurück
Wie Gutes geschieht, wenn Viele helfen
Straubing, 29. Oktober 2022
„Gegrüßest seist du Königin“, intonierte die Orgel der Basilika Sankt Jakob in Straubing und die Gläubigen stimmten gemeinsam mit Stadtpfarrer Johannes Hofmann ein. Kurz vorher hatte die Turmuhr 11 Uhr geschlagen und die Heckladeklappe des Sprinters senkte sich auf die Stufen der Basilika. Erste große Erleichterung: „Sie steht“. Sie steht im Sprinter, wohlverpackt und unbeschädigt, wie gestern im 600 Kilometer entfernten Neuss (Nordrhein- Westfalen) hineingestellt. Sie, das ist die Marienstatue aus der Straubinger Jesuitenkirche, die als „geköpfte Madonna“ traurige Berühmtheit erlangte, als sie am 22. Oktober 2020 von einem Polizisten auf dem Weg zur Arbeit gefunden wurde: der Kopf abgeschlagen mit einem Mund-Nasen-Schutz versehen. Im Vorraum der Kirche fand der Beamte dann die umgestürzte und schwer beschädigte Statue. Groß war die Aufregung um den Vandalismus an der Marienstatue. Dekan Johannes Plank sagte damals: „Wir sind in einer Zeit, in der Menschen mit dem Wort ‚heilig‘ nichts mehr anfangen können“. Die Kriminalpolizei übernahm die Ermittlungen wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“ und war auch erfolgreich – einem 20jährigen konnte die Tat nachgewiesen werden, verurteilt wurde er nicht, da er „krankheitsbedingt schuldunfähig“ ist.
Mit größter Vorsicht wurde die restaurierte Madonna in Straubing ausgeladen.
Schlank und trotzdem 230 Kilogramm schwer
Nun aber ist die Madonna zurückgekehrt nach Straubing, sehnsüchtig erwartet von Stadtpfarrer Johannes Hofmann, Kaplan Kanikyam Arva, Pfarrvikar Pater Thomas und Pfarrer Vasile Florin Reut, dem Pfarrer der rumänisch-orthodoxen Kirche, die in der Jesuitenkirche Straubing ihre Heimat gefunden hat. „Es ist wie Weihnachten“ sagte Puppendoktor Marcel Offermann, als er die schwergewichtige Madonna aus der mit viel Luftpolsterfolie umwickelten Transportsicherung auspackte. Bald stand sie rank und schlank mit ihren 1,65 Metern Größe da, bringt aber satte 230 Kilogramm auf die Waage. „Die schaut aber lieb“, sagt die 7jährige Marie, als das Gesicht mit dem freundlichen Lächeln und den strahlend blauen Augen sichtbar wird. Marie spricht über „ihre Namenspatronin“ aus, was sich die Gläubigen aus Straubing denken: Vertreter der Marianischen Männerkongregation, Mitglieder der Pfarreien Sankt Jakob sowie der rumänisch-orthodoxen Kirchengemeinde „Heiligen Konstantin und Helena“. Eingebettet in eine kurze Andacht wird die Mutter Gottes Statue wieder „zurück in Straubing“ begrüßt. Das Lied „Rosenkranzkönigin“ gehört ebenso dazu, wie die Segnung der renovierten Marienstatue und Fürbitten. Hier freut sich die kleine Marie, dass auch für alle, die den Namen Mariens tragen, gebetet wurde. Und ihr Lieblingslied „Segne du Maria“ rundete die Feierstunde ab. Pfarrer Vasile Florin Reut sprach von einem „Sieg über das Böse“ angesichts der gelungenen Restaurierung.
Die kleine Marie freute sich über die Rückkehr ihrer Namenspatronin.
Der Ehrgeiz eines Restaurators
Im Stiftskeller ist bei einer guten Brotzeit die Gelegenheit, mit dem Puppendoktor über all die Geschehnisse der letzten beiden Jahre zu sprechen. Marcel Offermann hatte von der Schlagzeile der „geköpften Madonna“ gehört, sich gemeldet und die Marienstatue im Dezember 2020 in Straubing abgeholt. „Ich war damals sehr optimistisch“ gestand er lachend und wissend, dass er in der Zwischenzeit eines Besseren belehrt worden ist. Der Dombaumeister aus Regensburg hatte im Herbst 2020 abgewunken mit der Feststellung „da kann man nichts mehr retten“. Diese Aussage hatte seinen Ehrgeiz als Restaurator geweckt. Seine Schützenbrüder aus Neuss unterstützten ihn sofort mit dem Versprechen, für die Finanzierung zu sorgen. Liegend hatte er die Marienstatue nach Neuss transportiert und festgestellt, dass durch den Standort in der kalten Kirche die Marienstatue klamm, „vollgesaugt mit Feuchtigkeit“ war. So galt es erst einmal, die Straubinger Madonna ein halbes Jahr in der Nähe der Heizung zu trocknen.
Mit einer Andacht in der Turmstube der Basilika Sankt Jakob wurde die Marienstatue nach ihrer erfolgreichen Restaurierung wieder begrüßt: v.l. Kaplan Kanikyma Arva, Pfarrvikar Pater Thomas, Restaurator Marcel Offermann, Pfarrer Vasile Florin Reut und Stadtpfarrer Johannes Hofmann.
Mehr als 100 Jahre alt
Das Alter der Marienstatue konnte mit gut 100 Jahren bestimmt werden. Es war die Zeit um den Ersten Weltkrieg, als sie entstand und die Materialbohrungen brachten die verschiedenen verwendeten Materialien zu Tage: Kalksandstein, Sandstein, Gipsmasse und einfacher Beton wechseln sich ab. „Die Instandsetzung war arbeitstechnisch die größte und längste Herausforderung seit ich Restaurator bin“, gestand Marcel Offermann. Dachte er anfangs, er setzt feste Stand-Dübel, um die Stabilität im Corpus für den wieder aufzusetzenden Kopf herzustellen, zerbröselte ihm der Kalksandstein. „Manchmal war ich sehr entmutigt und ich gestehe auch, ab und zu geflucht zu haben“, berichtet der Restaurator. Er hat dann ein paar Tage gewartet und das Ziel nie aus dem Auge verloren. Das Ziel war klar, der Weg aber mit vielen Überraschungen gespickt. „Es gab aber keinen Punkt, wo die Verzweiflung ‚ich schaffe es nicht‘ die Oberhand bekommen hätte“, erklärt der Fachmann. Die vierzehn Nothelfer waren es dann nicht, aber als „Retter in der Not“ entpuppte sich ein Ingenieurteam aus Niederbayern, von der Liechtensteiner Firma Hilti. Als sein Hilferuf per Telefon kam, wussten sie bereits um das Drama der geköpften Madonna und sagten sofort ihre Hilfe zu. Kostenlos. Marcel Offermann bescheinigt den Ingenieuren super gute Arbeit. „Und die waren sofort Feuer und Flamme – aber auch sie kamen schnell an ihre Grenzen“, erläutert er. Insgesamt 8 Diamantbohrer gingen kaputt, aber dann kam der Durchbruch. Vier chemische Dübel wurden gesetzt, so wie sie beim Bau von Autobahnbrücken verwendet werden. „Die Madonna hat erstmal richtig kräftig gedampft“, lacht Marcell Offermann beim Erzählen. Als der Kopf fest war, ging es erstmal an die Schleifarbeiten, die von innen nach außen gemacht werden. 70 bis 80 Vorgänge waren nötig bis man nach außen kam. „Dann wurde es schön“, strahlt der Puppendoktor. Es war ihm ein Anliegen, den alten Glanz und auch die Farbgebung zu erhalten. „Die Marienstatue stand die zwei Jahre in meiner Puppenklinik mit Blick zur Marienkirche in Neuss – das war wie Wellnessurlaub für sie“, resümiert Offermann.
Puppendoktor Marcell Offermann bei der Abholung der zerstörten Statue.
Im Advent zurück in die Jesuitenkirche
„Die Achillesferse“ kam dann mit dem Transport von Neuss zurück nach Straubing. Nur stehend und sehr gut bruchsicher verpackt war es möglich. „Die Anlieferung war spannend. Es war nicht die Ralley Paris-Dakar, nur Neuss-Straubing, aber nicht minder aufregend “, erzählt Offermann. Der Fahrer sei jeder Bodenwelle ausgewichen und viele Stunden ganz behutsam unterwegs gewesen. Erhobenen Hauptes hat sie ihre alte Heimat erreicht und für die nächsten Wochen ihren guten Platz in der Turmstube der Basilika Sankt Jakob gefunden. Dann soll sie „in die Geschichte von Straubing“ zurückgetragen werden. Symbolisch wie das Frauentragen im Advent – dann kehrt sie zurück in die Jesuitenkirche. Sie ist etwas Wertvolles, nicht wegen ihres ursprünglichen Materialwertes, sondern durch den Gemeinschaftssinn, den sie in der heutigen Zeit hervorgerufen hat: Fachkräfte, die ihr Können, ihre Zeit und ihre Liebe zum Detail einbrachten, sowie Sponsoren, die für die Finanzierung von rund 20.000 Euro sorgten (darunter auch zwei muslimische Schützenbrüder).
Text und Fotos: Irmgard Hilmer/jas