Rom, 4. Januar 2023
Unser Autor Benedikt Bögle ist gerade in Rom. Er konnte sich von Papst Benedikt XVI. verabschieden und berichtet von den Eindrücken in Rom.
Die Bilder von der Beerdigung des heiligen Papstes Johannes Paul II. haben die Welt bewegt: Menschenmassen waren nach Rom gekommen, um sich von dem Mann zu verabschieden, dessen Leiden und Sterben zuvor die ganze Welt bezeugt hatte. Dreieinhalb Millionen Menschen waren nach Rom gekommen, um an seinem Requiem teilzunehmen. Ganz anders wirkt die ewige Stadt dagegen dieser Tage: Rom ist nicht überfüllt. Als wir am Dienstagmorgen den Petersplatz betreten, rechnen wir mit langen Schlangen in den Petersdom, wo Papst Benedikt XVI. aufgebahrt ist. Es kommt anders: Wir müssen nicht anstehen, können die Basilika sofort betreten und stehen schon in der Reihe derer, die zum Altar strömen, unter dem das Grab des Heiligen Petrus liegt. Wir haben Glück: Am Vortag und am Nachmittag waren die Schlangen länger – viele Gläubige aus Deutschland reisen dieser Tage noch nach Rom, um Papst Benedikt XVI. die letzte Ehre zu erweisen.
Es ist seltsam, sich von einem Mann zu verabschieden, den man im Leben persönlich nicht kannte. Von Ferne habe ich den Heiligen Vater beim Weltjugendtag in Madrid oder bei seinem München-Besuch wahrgenommen; tatsächlich konnte ich ihn mehr von Weitem erahnen, als dass ich ihn wirklich gesehen hätte. Und doch hat Benedikt XVI. auch mein Leben und Denken beeinflusst. Während des Theologiestudiums in Regensburg wurde ich oft mit diesem großen Mann und seinem Werk konfrontiert; damals freilich oft kritisch, unter der Brille einer akademischen theologischen Auseinandersetzung. Seine drei Bücher über Jesus von Nazareth haben mich beeindruckt: Als eine Art Resümee nach einem theologisch durchwirkten Leben, in dem Joseph Ratzinger sich aber doch immer seinen beinahe kindlichen Glauben bewahrt hat. Dieser „kindliche“ Glaube war alles andere als unaufgeklärt oder unhinterfragt; er war aber geprägt vom tiefen Vertrauen eines Kindes, das die barmherzige Liebe Gottes als gegeben annehmen kann.
Endlich steht man vor dem aufgebahrten Leichnam des Heiligen Vaters. Er trägt ein rotes Messgewand und einfache, schwarze Schuhe. Die Mitra auf seinem Kopf ist schlicht, das Pallium liegt nicht um seine Schultern, sondern zusammengefaltet unter dem Haupt. Über ihm prangen in großen Lettern in der Kuppel des Petersdomes die Worte, die der Herr einst zu Petrus gesprochen hat, die aber auch jedem der Päpste zugesagt sind: „Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam“ – „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ Ganz schnell geht es: Eine kurze Verbeugung, Zeit für ein Kreuzzeichen – und dieser eine Augenblick ist vorbei, in dem man dem emeritierten Papst nahe ist. Am Hochaltar wird gerade die Heilige Messe gefeiert, am Seitenaltar beten die Menschen in Stille.
Wenn man die Schlange der Menschen sieht, die sich über den Petersplatz bewegt, durch den Petersdom, hin zu Papst Benedikt, dann möchte man Mitleid haben mit ihm: So sehr hatte sich Joseph Ratzinger gewünscht, nach langen Jahren im Dienst des Heiligen Vaters seinen Lebensabend in Bayern zu verbringen, am Schreibtisch und über Büchern. Es kam anders: Mit 78 Jahren noch musste er als Papst neue Aufgaben übernehmen und stand plötzlich im Vordergrund. Dem eher zurückhaltenden Mann jubelten nun die Massen zu, sein Leben stand inmitten der Öffentlichkeit. Jeder Fehler wurde von der Weltöffentlichkeit breit diskutiert. Ein Papst lebt nicht mehr privat, er stirbt auch nicht privat.
Seit seinem Rücktritt vom Petrusdienst lebte Benedikt XVI. in der Zurückgezogenheit des Klosters in den vatikanischen Gärten. Still wie er in den letzten Jahren lebte, ist er auch gestorben. Papst Benedikt hat einmal gesagt, er stelle sich den Himmel vor wie seine Kindheit: Wie das Gefühl des Angenommenseins, der Liebe zwischen den Eltern und Geschwistern. Als Christen dürfen wir hoffen, dass Benedikt XVI. dieses ewige Ziel erreicht hat. Und mit allen Pilgern auf dem Petersplatz dürfen wir uns von ihm verabschieden: „Auf Wiedersehen“.
Text: Benedikt Bögle/ kw