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Theologie in der modernen Gesellschaft – Ein Beitrag von Prof. Dr. Josef Kreiml

Die Frage nach Gott stellen

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Regensburg, 22. Januar 2024

Die modernen westlichen Gesellschaften sind aufgrund der weltumspannenden Kommunikation interkultureller und interreligiöser geworden. Damit geht ein grundlegender Wandel in der Religiosität vieler Menschen einher. Heute steht vielfach nicht mehr das klar unterscheidbare Bekenntnis zu einer Glaubensgemeinschaft im Vordergrund. Vielmehr gewinnt eine von der subjektiven Auswahl des einzelnen Menschen her „gebaute“, nicht gebundene Religiosität an Attraktivität.

Umfassendes Lebenswissen oder hochspezialisiertes Expertenwissen

Die Theologie ist heute auch von einem veränderten Wissenschaftsideal betroffen (vgl. Heinrich Schmidinger, Hat Theologie Zukunft? Ein Plädoyer für ihre Notwendigkeit, Innsbruck 2000; auch Joseph Kardinal Ratzinger, Wesen und Auftrag der Theologie. Versuche zu ihrer Ortsbestimmung im Disput der Gegenwart, Einsiedeln 1993). An die Stelle eines umfassenden Lebenswissens ist vielfach ein hochspezialisiertes Expertenwissen getreten, das sich einer gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Kalkulation zu stellen hat. Versucht man die gegenwärtige Situation der Universitätstheologie genauer zu analysieren, dann ergibt sich folgendes Bild: Aufgrund der veränderten Stellung der Religion in der Gesellschaft und der damit zusammenhängenden Krise der Kirche als Institution ist es in den letzten Jahren zu einem Rückgang der Zahl der Theologiestudierenden gekommen. Seitens der Kirche wird die Theologie als Bestandteil der Verkündigung verstanden. Die Lehrenden der Theologie müssen insofern die Spannung zwischen ihrer Kirchlichkeit und ihrer Zugehörigkeit zur wissenschaftlichen Gemeinschaft (Scientific Community) positiv bewältigen. In diesem Zusammenhang haben manche Theologen auch darauf aufmerksam gemacht, dass die entscheidenden geistigen Auseinandersetzungen heute immer weniger in den Universitäten stattfinden.

Die Unterscheidung von Denken und Glauben

Im 12. Jahrhundert ist es zu einer folgenreichen Differenzierung zwischen Philosophie und Theologie, zwischen Denken und Glauben gekommen. Neben der Theologie als übernatürlichem Weg zu Gott wurde die Philosophie als natürlicher Weg zu Gott als gleichrangige Wissenschaft anerkannt. Dabei stand die theologische Überzeugung im Vordergrund, wir würden von Gott gering denken, wenn wir ihm nicht zutrauten, sich auf beiden Wegen gleichermaßen finden zu lassen. Bis zur Barockzeit teilten auch die Naturwissenschaftler die Auffassung, dass das oberste Ziel jeder Wissenschaft die Sichtbarmachung und Verherrlichung Gottes ist. Die konstituierende Rolle der Theologie im Kreis der Wissenschaften wurde bis tief in die Neuzeit hinein anerkannt. Bis zur Zeit Isaak Newtons (1643-1727) war die Vorstellung vorherrschend, Gott habe „zwei Bücher“ geschrieben, nämlich das „Buch der Offenbarung“ und das „Buch der Natur“. Seit der Aufklärung verstanden sich die Wissenschaften jedoch zunehmend als Ersatz von Theologie und Philosophie.

Glaube als eigenständige Form der Wirklichkeitsbewältigung

Nach der reformatorischen Glaubensspaltung und dem Aufkommen der historisch-kritischen Bibelauslegung im 17. Jahrhundert einerseits und der kritischen Philosophie Immanuel Kants andererseits wurde der einstige Optimismus der theologischen und philosophischen Gotteserkenntnis erschüttert. Religion ist eine eigenständige Form der menschlichen Wirklichkeitsbewältigung, die sich mit Wissenschaft verbinden kann, aber niemals in dieser aufgeht. Da die im Christentum bezeugte Zuwendung Gottes zu seinen Geschöpfen allen Menschen gilt, muss sich Theologie prinzipiell an jeden Menschen wenden und ihre Erkenntnisansprüche in einer auf gute Gründe gestützten Debatte zugänglich machen.

Theologie als Vertreterin der religiösen Innenperspektive

Die Religionswissenschaft ist diejenige Disziplin, die im Hinblick auf Religion eine bloße Außen- bzw. Beobachterperspektive einnimmt. Da sich eine Religion aus dieser Perspektive niemals wirklich, geschweige denn erschöpfend begreifen lässt, ist für die Gesellschaft die Theologie als Vertreterin der religiösen Innen- bzw. Teilnehmerperspektive unverzichtbar. Die Theologie tritt mit dem Anspruch auf, Fragen und Antworten zu erörtern, die im Prinzip jeden Menschen und damit letztlich auch die Wissenschaften, sofern sie um den Menschen bemüht sind (z. B. die Humanwissenschaften), beschäftigen.

Woher kommen verbindliche Werte?

In den meisten Ländern Europas spielt die Kirche nach wie vor eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Sie erfüllt Dienste und Aufgaben, die für ein von Gerechtigkeitsprinzipien geleitetes Gesellschaftsleben unersetzlich sind. Gerade eine pluralistische Gesellschaft muss sich über verbindende und verbindliche Werte über die Grenzen der verschiedenen Weltanschauungsgruppen hinweg verständigen. Sofern die Anerkennung der Würde und Freiheit jedes Menschen – so der bedeutende Philosoph Jürgen Habermas (vgl. J. Habermas / J. Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion, Freiburg 2005) – zutiefst mit der Geschichte der jüdisch-christlichen Religion zu tun hat, ist in dieser gesellschaftlichen Debatte der Beitrag der Theologie unverzichtbar. Die Diskussion über die Grundwerte der Gesellschaft muss in Zukunft noch intensiver geführt werden (z. B. im weiten Bereich der Bioethik). Für die Gesellschaft wäre es verheerend, wenn sie dabei auf den gewaltigen Erfahrungsschatz der jüdisch-christlichen Tradition verzichten würde. Da der Mensch unverwüstlich religiös ist, sind auch säkularisierte Gesellschaften auf die Kompetenz für das Religiöse und Sakrale angewiesen. Sofern Religionen auch ein Zerstörungspotential in sich tragen, ist im Umgang mit dem Heiligen ein großes Verantwortungsbewusstsein erforderlich.

Hoffnung auf eine neue Offenheit für die Gottesfrage

Die Theologie darf sich auf Dauer nicht mit Binnenfragen beschäftigen, die ausschließlich im innerkirchlichen Bereich von Bedeutung sind. Vielmehr hat sie Fragen zu stellen und zu reflektieren, die sie mit anderen Wissenschaften teilt. Heutige Sozialphilosophen erkennen die Unersetzbarkeit des Religiösen deutlicher als frühere Epochen. Durch den Verlust des Religiösen in ihrer lebensweltlichen Grundentscheidung bleibt bei vielen Menschen eine Lücke offen. Nach der Ernüchterung über den Verlauf der Säkularisierung und über die Geschichte der atheistischen Ideologien ist eine neue Verhältnisbestimmung zwischen Religion und Wissenschaft dringend geboten. Wissenschaft und Religion sind zwei unterschiedliche, nicht aufeinander rückführbare Formen der Wirklichkeitserklärung, die beide ihre besondere Berechtigung haben. Insofern kann man für die Zukunft nur auf eine neue Wertschätzung der Religionen durch die anderen Wissenschaften hoffen. Religion kann nicht Privatsache sein. Sie muss vielmehr als für die Gesellschaft wichtiges Thema begriffen werden.

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml
(jas)



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