News Bild The show must go on? – Marcel Reif über die Ethik des Sports

The show must go on? – Marcel Reif über die Ethik des Sports

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Es gibt kaum jemanden, der sich nicht mehr an die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika erinnert. Ein großes Sportereignis, das sämtliche Nationen zusammenführte. In modernsten Stadien kämpften Topmannschaften um den Titel. Und die ganze Welt sah zu. Live vor Ort war damals auch der bekannte Sportkommentator Marcel Reif. Wenn er von den Austragungsorten nur wenige hundert Meter in das Land hineinfuhr, sah er aber auch das, was auf den Fernsehbildschirmen zur Nebensache wurde: Menschen, die in Armut leben, die oft keinen Zugang zu Strom, Wasser und ausreichend Nahrung haben. Für Marcel Reif ist das eine entscheidende Grenze: „Da hört es auf, das ist obszön, das ist eine Sünde!“

Nun ist freilich Südafrika kein Land, das wirtschaftlich mit europäischen Maßstäben vergleichbar wäre und dennoch ist es vor dem Hintergrund der Sportwettbewerbsvergabe kein Einzelfall, vielmehr ein Paradebeispiel wenn man so will. Beträge in Milliardenhöhe fallen für jedes Sportevent an. Die Kosten für die Olympischen Sommerspiele 2012 in London werden auf 13,5 Milliarden Euro geschätzt, für die Fußball-WM 2014 in Brasilien wird von 10 Milliarden Euro ausgegangen. Nun steht die Europameisterschaft in Frankreich kurz bevor.

Grund genug einmal näher nachzufragen, meint Dr. Alexander Flierl, Pastoralreferent in der Katholischen Hochschulgemeinde Regensburg (KHG), denn viele der ethischen, sozialen und gesellschaftlichen Fragen, die Christen interessieren, ließen sich am Beispiel des Sports gut diskutieren: „Welche Techniken dürfen eingesetzt werden? Was bedeutet Fair Play? Gibt es Werte, die da noch eine Rolle spielen?“ Deshalb organisierte er in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) einen Gesprächsabend mit Marcel Reif an der OTH Regensburg.

Erst am vergangenen Samstag hatte Reif sein letztes Spiel für den Pay-TV-Sender Sky kommentiert und wird nun im Sommer die Rolle des EM-Experten bei Sat.1 übernehmen. Doch auch im Privaten kann er sich vom Fußball natürlich nicht wirklich trennen. Als er am Sonntagabend nicht umhinkam, das EM-Testspiel im Fernsehen anzuschauen, kam ihm der Gedanke: „Der Himmel hat gedacht: Du wolltest doch nicht mehr kucken.“ Gleich zu Beginn wird deutlich: zumindest was die Sprache angeht sind sich Fußball und Religion gar nicht so unähnlich. Als Kirchenmitglied bezeichnet sich Marcel Reif nicht. Doch die Erziehung durch seine katholische Mutter und seinen jüdischen Vater haben ihn geprägt: „Ich habe von beiden Religionen Dinge mitgenommen, die mir im Leben geholfen haben und die ich versuche, meinen Kindern weiterzugeben.“ 

 

Der Gigantismus im Sport ist eine Sünde

Wird in Anbetracht der immensen Kosten also regelmäßig eine ethische Grenze durch die Sportevents überschritten? „Lassen sich Großveranstaltungen wirklich noch finanzieren oder sollte das Geld nicht doch für soziale Projekte eingesetzt werden?“, überlegt Alexander Flierl: „Da ist vieles ambivalent. Der Sport ist einerseits ein großes Event, an dem sich viele Leute freuen können, aber das man auch kritisch sehen kann und hinterfragen sollte.“ Diese Ambivalenz ist auch für Marcel Reif ein wichtiger Punkt seiner Ausführungen. „Ganz ohne Geld wird’s nicht gehen“, sagt er: „wenn es finanziert wird und Leute sagen, wir sponsern das, und es rechnet sich, dann ist es ok. Wenn es aber andersherum ist, dass man Menschen etwas wegnimmt oder nicht genug gibt, was man geben könnte, und es stattdessen für ein gigantisches Sportspektakel rauswirft, kann ich nichts damit anfangen, wirklich nicht. Und dagegen muss man auch etwas sagen.“ Vor allem stört er sich an Neubauten von Stadien, die wenige Meter neben bereits vorhandenen Stadien angesetzt werden und das „in Ecken, die keine Stadien brauchen. Der Gigantismus und der Wahnsinn, der da passiert, kommt mir zunehmend obszön vor.“

Doch Reif erzählt gleichzeig von seinen positiven Erfahrungen. Der Aufbau einer Infrastruktur im Rahmen der Großveranstaltungen ist gerade für ärmere Länder eine fruchtbringende Investition, so beispielsweise in Südafrika: „Wir hatten einen Fahrer von der Unterkunft zum Stadion“, erzählt er und kann sich noch gut an die Worte des Afrikaners erinnern: „Wisst ihr, ohne euch gäbe es diese Autobahn hier nicht. Wie glaubst du, wie schlimm vorher der Verkehr durch die Dörfer war.“

 

Lebensfreude und Terror

Gänzlich auf große Sportveranstaltungen zu verzichten, würden wohl die wenigsten befürworten. Schließlich geht es nicht nur um Unterhaltung und athletische Spitzenleistungen, sondern auch darum, dass zumindest für einen kleinen Zeitraum die Nationen der Erde vereint zu sein scheinen. Gerade dieses Miteinander, die Lebensfreude ist es, was die Veranstaltungen ausmacht. Perfiderweise werden die Events, wie uns die tragischen Ereignisse von Paris gelehrt haben, gerade deswegen zum roten Tuch von Terrororganisationen, die im Gegenzug die entsprechende Medienaufmerksamkeit für ihre Belange zu nutzen versuchen. Aus diesem Grund aber auf solche Veranstaltungen zu verzichten, sich zurückzuziehen, käme für Marcel Reif nicht in Frage: „Das wäre ein Lebensentwurf, den ich so nicht möchte. Lieber flieg ich – krass gesagt – in die Luft, als so zu leben. Das ist, glaube ich, das schlimmste, was Terroristen den Menschen antun können.“

 

Besser, schneller, länger, höher

Ein Spieler wird für Millionen eingekauft wie Ware, spielt länger als es für seine Gesundheit ratsam wäre, zerstört seinen Körper. Er ist der Held auf den Bildschirmen. „Es gibt Menschen, die versuchen das rauszuholen, was geht, koste es, was es wolle“, sagt Reif auch mit Blick auf das weitverbreitete Doping, das sich durch sämtliche Sportarten hindurchzieht, und gibt zu denken auf: „Muss man die Ansprüche immer höher schrauben?“ Er glaubt, der Attraktivitätsverlust verschiedener Disziplinen hänge auch damit zusammen, dass die Menschlichkeit hinter den Sportlern immer stärker zurückgedrängt werde. „Gedopten Monstern“ wolle er nicht zusehen. „Die Öffentlichkeit wird immer eine Sensation wollen“, sagt Reif, doch „mir wäre es recht, wenn Dinge wie Fairness im Sport noch dabei wären.“

Dass gerade die Öffentlichkeit den Sport in seine Extreme treibe, glaubt Reif aber nicht. Wirklich fair ist der Sport seiner Meinung nach dann, „wenn ich gewinnen will, aber nicht um jeden Preis. Mir gefällt Fußball, wenn ich merke, zwei Mannschaften gehen auf den Platz, die wollen gewinnen und nicht die eine will die andere mit zum Teil unfairen Mitteln am gewinnen hindern.“ Dabei sei ein einzelnes Foul noch kein Strukturproblem: „Ein Foul erleben wir im täglichen Leben in unterschiedlichen Abstufungen.“ Strukturelle Probleme würden dort beginnen, „wo alles darauf angelegt ist, dass es gefährlich wird und der Sportler kein Mitspracherecht mehr hat.“

 

Der Mensch hinter dem Profisportler

Solange es Situationen wie im Champions-League-Finale vergangenen Samstag in Madrid gebe, bei dem Spieler der siegenden Mannschaft über den gesamten Rasen gehen, um dem erfolglosen und in Tränen ausbrechenden Elfmeterschützen ihren Trost auszusprechen, und solange Sportler sich auf die Gemeinschaft im Olympischen Dorf freuten, gibt es laut Marcel Reif noch Hoffnung für die Welt des Sports. Oftmals seien die „Rahmenbedingungen absurd“, so Reif, „aber die handelnden Personen sind menschlich. Junge Menschen haben offensichtlich auch noch Spaß daran, andere junge Menschen zu treffen. Ob das die Völker verbindet und die Welt besser macht, weiß ich nicht. Für einen Moment vielleicht, das ist ja auch etwas.“

 

Welche Mannschaft die EM in Frankreich gewinnen wird, dazu will Marcel Reif keinen Tipp abgeben. Ob es so etwas wie einen Fußballgott gibt? „Ja, den soll es geben“, sagt Reif, wirft aber mit Blick auf die kirchliche Veranstaltung ein: „aber das ist hier gefährlich.“

 



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