News Bild Tagung zur kirchlichen Integration von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen 1945 – 1963
Tagung zur kirchlichen Integration von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen 1945 – 1963

Unterschiedliche Glaubenserfahrungen und neue Konzepte

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Regensburg, 9. Oktober 2023

Erstmals wieder unter normalen Rahmenbedingungen konnte vom 18. bis 20. September im Runtinger-Saal in Regensburg die traditionelle Arbeitstagung des Instituts für Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa (IKKDOS) stattfinden.

Die rund 30 Referenten und Interessenten beschäftigten sich mit dem Thema „Kirche im Wandel. Organisatorische und institutionelle Grundlagen der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen 1945 – 1963“. Mitveranstalter waren die Bundeskonferenz der kirchlichen Archive in Deutschland, der Historische Verein Ermland, die Ackermann-Gemeinde im Bistum Regensburg, das Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa und die Katholische Erwachsenenbildung der Stadt Regensburg.

Für die in Regensburg ansässigen Einrichtungen begrüßte Prof. Dr. Klaus Unterburger, Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Ludwigs-Maximilians-Universität München, die Teilnehmer und informierte über das Tagungshaus, die Räumlichkeiten und deren bis ins 10. Jahrhundert zurückreichende Geschichte. Der Gebäudename geht auf die Patrizierfamilie Runtinger zurück, die im Handel – auch Richtung Osten – aktiv war.

Der IKKDOS-Vorsitzende Prof. Dr. Rainer Bendel verwies in seiner Einführung auf die Tagung von 2020 im Bonifatiuskloster Hünfeld zum Thema „Orientierungssuche? Zur Bedeutung von Kirche und Glauben 1945 – 1950“. Damit war die neue Veranstaltung eine Weiterführung dieses Themas. Er brachte ein Fallbeispiel aus seiner Heimatregion, einem evangelisch geprägten Ort nahe Stuttgart. „Nicht nur verschiedene Gruppen von Vertriebenen trafen aufeinander, es gab auch Differenzen zwischen den Ankommenden und Eingesessenen – und damit Probleme der Gruppen untereinander. Bis in die 60er Jahre war dort kein Seelsorger länger als zwei Jahre da“, deutete er die länger dauernden Integrationsprobleme – auch kirchlich – an. Darüber hinaus zitierte Bendel Passagen aus Texten zur Vertriebenenseelsorge seines Bistums Rottenburg-Stuttgart von 1947 und 1952. Daraus interpretierte er zum einen ein „sensibles, sorgfältiges Vorgehen bei der Vertriebenenseelsorge“, zum anderen „eine Fülle an Aufgaben für die Seelsorger“.

Beispiel eines Vertriebenenseelsorgers: Georg Wengler

Am Beispiel des im Bistum Hildesheim wirkenden Vertriebenenpriesters Georg Wengler (1905-1971), vorgestellt von Prof. Dr. Hans-Georg Aschoff (Dozent für Neuere Geschichte und Kirchengeschichte an der Leibniz Universität Hannover), wurden vor allem die Punkte „Diaspora“ und „Ökumene“ konkret, aber auch die kirchlich-geografisch-politische Situation jener Jahre. Aus der Grafschaft Glatz stammend und am 26. Juli 1930 zum Priester geweiht, war Wengler zunächst Kaplan und ab Mai 1940 Pfarrer in Eckersdorf. Neun Gestapo-Verhören musste sich Wengler wegen seiner Predigten stellen, zum Glück ohne Folgen. Zum Jahresbeginn 1946 kam er mit einem Flüchtlingstransport in einen stark protestantisch geprägten Teil Niedersachsens, wo er am 1. März 1946 die Leitung der Seelsorgsbezirke übernahm. Auch Angehörige seiner früheren Pfarrei gehörten dazu. Der Seelsorgeraum umfasste 25 bis 30 Orte bei 3000 (1947) bzw. noch 1500 Katholiken (1971). Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage wanderten viele Menschen im Laufe der Jahre wieder ab. An der Gesamtbevölkerung machten die Katholiken zehn bis zwölf Prozent aus. Angesichts der besonderen Struktur bediente man sich des Konstrukts von Pfarrvikarien, Wengler war offiziell „Pastor“, wurde aber im Alltag als Pfarrer bezeichnet. Die Erhebung zur Pfarrei erfolgte erst sehr viel später. In der Pastoralarbeit unterstützten ihn einige Zeit sogar zwei Kapläne, dann nur noch einer, und ab 1960 war er wieder auf sich alleine gestellt. Anfangs fanden die Gottesdienste in Gasthäusern und Schulräumen statt, Wengler und sein Kaplan zelebrierten sonntags drei- bis viermal. Für die weitere Pastoral war die Mitarbeit vieler Laien nötig, darunter Caritas-Helferinnen und Nonnen der Kongregation der Schwestern von der Heiligen Elisabeth (bis 1955 in der ambulanten Krankenpflege tätig). Erwähnt sei ein Mitarbeiter, der heute wohl Pastoral- oder Gemeindereferent wäre. „Wegen der Diaspora-Situation entwickelten sich neue Formen“, betonte Aschoff. Aber auch mit Blick auf die Ökumene zeigte er Interessantes auf. So wohnte Wengler zehn Jahre im evangelischen Pfarrhaus (später im früheren Lehrerhaus), evangelische Kirchen wurden genutzt, bis Notkirchen bzw. richtige Gotteshäuser gebaut waren. Gegen kanonische Vorgaben handelte er, wenn er konfessionsverschiedene Eheleute traute und dabei eine Brautmesse zelebrierte. Das brachte „Verwunderung bei benachbarten Geistlichen mit sich. Das Verhältnis zur evangelischen Kirche war weitgehend spannungsfrei. Aber man bemühte sich auch, wieder aus der Verflechtung mit den Protestanten herauszukommen“, relativierte Aschoff. Durch den guten Zusammenhalt der Gemeinde konnte in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre der Bau von Kirchen und Pfarrhäusern bzw. -heimen allmählich in Angriff genommen werden. Das erste Gotteshaus wurde in Rodewald mit der Kirche „Heilige Familie“ im Jahr 1962 geweiht, ein Pfarrheim folgte. Drei Jahre später wurde die Herz-Jesu-Kirche in Hagen (Stadtteil von Neustadt) konsekriert, im Jahr 1976 schließlich die Kirche „Unbeflecktes Herz Mariä“ in Mandelsloh. Nicht mehr zur Ausführung gelangte die vierte geplante Kirche in Helstorf. In einem Brief von 1960 wurde Wengler eine „unermüdliche Tätigkeit“ bescheinigt, ein Schwerpunkt lag auf der Familienseelsorge. Doch es gab auch Kritik, weil er sehr an den kirchlich-religiösen Aspekten aus seiner schlesischen Heimat festhielt, was gewissermaßen die Eingliederung ins Bistum behinderte. Wengler engagierte sich darüber hinaus gesellschaftlich-politisch – für die CDU (bis 1960) im dortigen Kreistag, eine Kandidatur für den niedersächsischen Landtag wurde ihm untersagt. Mit dem Bund der Vertriebenen war er an der Gründung einer Konsumgenossenschaft mit zwölf Filialen beteiligt und hier Aufsichtsratsvorsitzender. In Rodewald regte er den Bau eines Seniorenzentrums an, das aber erst nach seinem Tod fertiggestellt wurde – im Jahr 1980. Seit Anfang der 1950er Jahre litt Wengler an einer Herz- und Asthma-Erkrankung, einige Monate vor seinem Tod (13. September 1971) trat er – nach Druck von oben – in den Ruhestand. In Rodewald ist inzwischen eine Straße nach ihm benannt, zwei der von ihm begründeten Gotteshäuser (2009 Mandelsloh, 2015 Rodewald) sind bereits wieder profaniert. „Diese Veränderungen mindern Wenglers Leistungen nicht“, schloss Aschoff zusammenfassend seinen Vortrag.

Der Umgang mit ostdeutschen Kirchenliedern

Den Aspekt Kirchenmusik beleuchtete Pastoralreferent Dr. Jürgen Franz Selke-Witzel im Referat zum Thema „‘Morgenstern in finsterer Nacht’. Das Diasporabistum Hildesheim und das ostdeutsche Kirchenliedgut“. Da ca. 400.000 ostdeutsche Katholiken in eben dieses Diaspora-Gebiet kamen und neben Liedern aus der Heimat auch ihre Wallfahrtstradition mitbrachten, spielten diese Faktoren in den Jahren nach der Vertreibung eine wichtige Rolle. Zudem siedelten sich heimatvertriebene Franziskaner im Bistum Hildesheim an, so dass schon im Oktober 1946 erstmals eine Hedwigswallfahrt stattfinden konnte. Nach 1949 kamen drei neue Marienwallfahrtsorte (Winsen an der Luhe, Bad Gandersheim, Bishausen) dazu, womit Überlegungen zur Sammlung und Überlieferung ostdeutschen Liedguts aufkamen. Im Bistum Hildesheim waren damals mehrere Kirchengesangsbücher im Umlauf bzw. in Nutzung. Im Jahr 1949 erschien zwar ein neues, in dem von den 246 enthaltenen Liedern etwa 100 neu waren, aber keine ostdeutschen. Die etwa 130 in der Diözese wirkenden Priester ostdeutscher Herkunft waren enttäuscht, der zuvor in Ermland wirkende Bischof Maximilian Kaller unterstützte nun als Bischöflicher Sonderbeauftragter für die Heimatvertriebenen den Wunsch nach einem entsprechenden Gesangs- und Gebetbuch. Mit dem von den Steyler Missionaren herausgebrachten Buch „Jubilate Deo“ waren die ostdeutschen Seelsorger unzufrieden. So wurde ein Ausschuss gegründet, der sich der Sache annahm. Darin vertreten waren auch 24 Dekanatsflüchtlingsseelsorger, die „an einen größeren Umfang und eine preisgünstige Lösung“ dachten. Doch das zur Veröffentlichung an Ostern 1948 geplante Buch scheiterte am Papiermangel. Eine vierköpfige Kommission bearbeitete das Projekt weiter und schlug eine zweigleisige Lösung vor: ein vollständiges Gesangbuch und einen Anhang zum „Canta Bona“, dem Gebet- und Gesangbuch für das Bistum Hildesheim. Besonders beim ersten Vorschlag zog jedoch der anvisierte Verlag nicht mit. So gewann das „Ostdeutsche Gesang- und Gebetbuch. Eine Handreichung für Gottesdienste der Heimatvertriebenen“ mit Liedern aus den einzelnen Herkunftsgebieten und -diözesen, dem Rosenkranz der Heimatvertriebenen und einem neuen Kreuzweglied immer mehr an Bedeutung. Bereits 1951 kam die zweite Auflage, dazu noch der Anhang im „Canta Bona“. Besonders der damalige Hildesheimer Bischof Joseph Godehard Machens hat für Selke-Witzel den Weg für diese Publikationen geebnet. Grundlage waren aber auch die Manuskripte von Adam Dworzynski, in denen viele der Lieder genannt waren. „Die Lieder brachten Licht ins kirchliche Leben und leisteten einen Beitrag zur kirchlichen Beheimatung“, bilanzierte der Pastoralreferent.

Ovales Schild an einer Wand

Das neben dem Eingang an der Neutraublinger Pfarrkirche St. Michael angebrachte Schild, das auf die Pfarrpartnerschaft mit der Pfarrei Corpus Christi in Graslitz hinweist. © Markus Bauer

Beispiel für Kirchenneubau: Kirche St. Ansgar in Seevetal-Hittfeld

Ein konkretes Beispiel aus dem Kirchen(neu)bau stellte Dr. Zofia Durda, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Freilichtmuseum am Kiekeberg, in ihrem Vortrag „‘Dass alle eins seien’ – die Kirche St. Ansgar in Seevetal-Hittfeld“ vor. Sie lieferte, auch als Basis, Zahlen zur Entwicklung der Diaspora-Situation für den Landkreis Harburg (südlich von Hamburg). Hier betrug 1939 der Katholikenanteil 2,1 Prozent. Nach der Bombardierung Hamburgs 1943 übersiedelten viele Hamburger in den Landkreis Harburg. 1945/46 kamen zahlreiche Flüchtlinge hierher, vor allem aus Schlesien – und damit Katholiken. So waren 1946 von den rund 120.000 Landkreisbewohnern ca. 9000 katholisch, d.h. nun 7,5 Prozent. Sieben neue katholische Kirchen entstanden im Bistum Hildesheim nach 1945, die meisten in den 1960er Jahren. Die Seelsorge erfolgte in dieser Gegend zunächst von Buchholz (in der Nordheide) aus. In Hittfeld fanden die Gottesdienste anfangs in der Friedhofskapelle statt, die sich bald als zu klein erwies. Im Jahr 1958 wurde der Wunsch nach einer eigenen Kirche größer, vier Jahre später – die Bistumsleitung war eher konservativ – begannen die Planungen mit vier Entwürfen. Es setzte sich das Konzept eines modernen Kirchenbaus und -raums (Platz für ca. 200 Personen) durch mit einem freistehenden Glockenturm. Als Hauptpatron wählte man den Heiligen Ansgar, als Nebenpatrone die Heiligen Bernward und Godehard. Im August 1964 erfolgte die Weihe des neuen Gotteshauses, nach den liturgischen Erneuerungen durch das Zweite Vatikanum gab es einige Umbauten. Das rege Gemeindeleben erforderte schließlich die Erweiterung mit einem Gemeindehaus – Einweihung 1983. Fünf Jahre später wurden im Keller Räume für die Jugend geschaffen. Bereits 1965 kam es zu ersten Zusammenlegungen von Seelsorgestellen, seit 1978 ist St. Ansgar nur noch Filialkirche der Pfarrgemeinde Guter Hirt in Winsen an der Luhe. Auch wegen des zuletzt immer stärkeren Rückgangs der Kirchenmitglieder ist die Zukunft der Kirche St. Ansgar offen. Dennoch würdigte die Referentin das Gotteshaus als „besonders gelungenes Beispiel für modernen Kirchenbau“.

Neu entstandene Wallfahrt „Maria in der Ferne“ in Bishausen

Vom neu entstandenen Marien-Wallfahrtsort Bishausen war bereits die Rede. Die dort bis zum heutigen Tag – inzwischen am 10. September – stattfindende Wallfahrt „Maria in der Ferne“ stellte Dr. Heinke Kalinke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, vor. Der immense Zustrom an Flüchtlingen und Heimatvertriebenen führte damals im Dekanat Nörten zur Verdopplung der Katholiken, vor allem Sudetendeutsche und Schlesier. Diese brachten andere Formen der Glaubenspraxis bzw. der Volksfrömmigkeit (z.B. Wallfahrten) mit. Bereits im Sommer 1946 gab es eine „Wallfahrt der Ostflüchtlinge“, so Kalinke, bei der auch ein Marienmarterl geweiht wurde, quasi als Ersatz für die bisherigen Aktivitäten zuhause. Die Bestrebungen ab 1947 zur Verstetigung dieser kleinen Wallfahrt stießen jedoch nicht auf das Wohlwollen des Ortspfarrers. Trotzdem pilgerten die Heimatvertriebenen zu ihrem Marterl. Im Jahr darauf wurden die Wallfahrer gebeten, Steine zum Bau einer Kapelle mitzubringen, 4000 Wallfahrer untermauerten den Plan zum Kapellenbau, als sichtbares Zeichen wurde eine Marienstatue zur Verehrung auf einem Sockel befestigt. Ab 1949 führte die Wallfahrt in den nahen Wald, in den darauffolgenden Jahren erlebte die Wallfahrt ihre Blütezeit – trotz des weiter bestehenden Widerstands des Pfarrers, der vor allem an den eigenständigen Initiativen der Heimatvertriebenen Anstoß nahm, „die Gefahr einer Kirche in der Kirche“ sah, so die Referentin, und sich auch um das Schwinden seines Einflusses sorgte. Auf der anderen Seite begrüßten und förderten Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde die Wallfahrt. Sozusagen den Ritterschlag erhielt die Wallfahrt, als 1950 Papst Pius XII. einen Kelch dafür stiftete. In den 1950er Jahren wurde es stiller, die Veranstaltung entwickelte sich zum Vertriebenentreffen. Ende der 1950er Jahre, nun wirkte ein dieser Veranstaltung positiver gesinnter Pfarrer, kam erneut der Plan zum Bau einer Kapelle auf, den aber 1962 der Kirchenvorstand ablehnte. In den 1980er Jahren wurden Spätaussiedler einbezogen, während des Kalten Krieges erlebte die Wallfahrt eine Intensivierung. Zusammenfassend beschrieb Kalinke die Wallfahrt „Maria in der Ferne“ als „Erinnerungsort an Flucht und Vertreibung und an die nicht immer konfliktfreie Integration“.

Gemeinde(neu)bildung in der atheistischen ČSSR

Aufgezeigt sollte auch werden, wie sich Gemeinde(neu)bildung in ehemals von Deutschen bewohnten Gebieten vollzog. Der Historiker Prof. Dr. Jaroslav Šebek warf vor allem einen Blick auf die grenznahen böhmischen Regionen nach 1945, auf das religiöse Leben in den Gemeinschaften (Klöster) und die Lage der katholischen Kirche insgesamt. „Es gab eine Abnahme der Beziehung zum Vatikan, die kommunistischen Machthaber sahen die Kirche als potenzielles Risiko“, verdeutlichte Šebek. Dass die katholische Kirche einer ihrer Hauptfeinde ist, hatte die Kommunistische Partei bereits vor der Machtübernahme kundgetan und im Herbst 1949 mit dem neuen Staatsamt für Kirchenangelegenheiten (Grundsatz: Zustimmung zu allen kirchlich-religiösen Fragen und Angelegenheiten) manifestiert. „Die Kirche soll unter die Kontrolle der Staatsmacht gebracht werden“, führte der Historiker aus. Und dies hatte – mit Ausnahme des Jahres 1968 – von 1948 bis 1989 Bestand. Von der Vertreibung der Deutschen waren in Bezug auf die katholische Kirche die Grenzgebiete und das Bistum Leitmeritz am stärksten betroffen. Der dort wirkende Bischof Anton Alois Weber resignierte am 28. Januar 1947 wegen der politischen Repressalien, seinem Nachfolger Štěpán Trochta untersagten die kommunistischen Machthaber ab 1949 die Tätigkeit und steckten ihn bis 1960 ins Gefängnis. Während am Ende des Zweiten Weltkriegs ca. 1600 deutsche Priester in den böhmischen Ländern wirkten, waren es schließlich nur rund hundert, die geblieben sind. Die Mehrheit gelangte direkt im Zuge der Vertreibung sowie in späteren Aussiedlerwellen in die Bundesrepublik Deutschland, die DDR und nach Österreich. „Einige Geistliche wurden von den kommunistischen Behörden dafür belohnt, dass sie dem Bischof nicht die Treue hielten. Es gab auch aktive Priester im Dienste des Regimes und der Staatssicherheit, die Informationen aus dem Milieu der sudetendeutschen Priester beschafften. Damit wurden die sudetendeutschen Katholiken in der Bundesrepublik negativ dargestellt“, erläuterte Šebek. Fakt war aber, dass die noch in der ČSSR tätigen sudetendeutschen Priester oft alt, krank und kraftlos waren. Dennoch spielten die verbliebenen Priester eine wichtige Rolle in der Seelsorge - vor allem in der Grenzregion, zum Beispiel bei der Wallfahrt nach Maria Kulm. Die Zerstörung von Dörfern bzw. Orten erschwerte die pastorale Arbeit, und nach dem Volksaufstand in Ungarn 1956 verschärfte sich die Kirchenpolitik auch in der Tschechoslowakei weiter. Damit änderte sich der Charakter der religiösen Veranstaltungen – „die kommunistische Machtübernahme zerstörte das geistliche Leben in Böhmen“, bilanzierte Šebek. Die Neubesiedlung etwa mit Ukrainern oder Slowaken brachte – wenn überhaupt – andere Konfessionen und Glaubenspraktiken, die Katholiken im Grenzgebiet waren nun in einer Diaspora-Situation.

Alter Kirchturm hinter Bäumen

Der Turm über einem der Gebäude im Neutraublinger Schlangenbau erinnert noch heute an die frühere Notkirche. © Markus Bauer

Entwicklungen in den Jahren nach 1945 im Ermland

Über die Gemeindebildung im Ermland nach 1945 referierte der Archivar und Hochschullehrer Prof. Dr. Andrzej Kopiczko. Grundsätzlich sprach er für die Zeit 1945/46 – verbunden mit der Vertreibung der Deutschen - von einem Bevölkerungsaustausch, was auch die konfessionellen Verhältnisse betraf. Von den historisch belegten ca. 80 Kirchen im Ermland waren 14 völlig zerstört, viele weitere schwer geschädigt und fast alle geplündert. Andererseits stieg durch die Ansiedlung neuer Bewohner (vor allem aus Litauen, teils aus der Ukraine) die Zahl der Gläubigen und damit der Seelsorgeeinheiten stark an, die Sanierung und der Wiederaufbau der Gotteshäuser war also die drängendste Aufgabe. Bis Ende 1947 konnte dies „ruhig und sachlich“, so Kopiczko, angegangen werden. Doch im Dezember 1947 erfolgte eine Intervention des zuständigen Ministeriums, wonach die Zuwendungen für die Kirchen im Ermland und Masuren gestoppt werden sollten bzw. der Bau neuer Kirchen verboten wurde. Die Folge war, dass die katholische Kirche größere evangelisch-lutherische Kirchen übernahm, umgekehrt die Protestanten Gebäude der Katholiken. Wichtig für die Glaubenspraxis war aber das aus Vilnius stammende Gnadenbild von der „Muttergottes im Tor der Morgenröte“, das nun große Verbreitung fand. Da manchmal ein ganzes Dorf mitsamt dem Ortspfarrer aus der Region um Vilnius umgesiedelt wurde, ist das Festhalten an solchen Frömmigkeitsformen verständlich. Der Referent erwähnte auch die Leute aus Kurpie (Kurpengau), die eine große Verehrung von Heiligenbildern pflegen und nun hier neu angesiedelt wurden. Zum Abschluss seiner Ausführungen ging Kopiczko auf die Quellenlage ein und charakterisierte die einzelnen Quellen.

Ursula Koschinsky: Sakrale Kunst einer Ermländerin

Ebenfalls im Ermland-Kontext war der Vortrag von Bruno Riediger, Geschäftsführer des Historischen Vereins für Ermland, angesiedelt. „Sakrale Kunst einer Ermländerin für Ermländer. Zum frühen Schaffen der Glas- und Wandmalerin Ursula Koschinsky“ lautete sein Thema. Die aus Königsberg (Ostpreußen) stammende Künstlerin (1923 – 2016) war durch die Familie, die sich aktiv in die Pfarrarbeit einbrachte, kirchlich geprägt. Schon Ende 1944 schuf sie erste künstlerische Werke, die Flucht unterbrach diese Aktivitäten. Während ihre Familie 1946 nach Randegg im Hegau übersiedelte, blieb sie in Hamburg und studierte dort an der Landeskunstschule – vor allem Glaskunst und Wandmalerei. „Ohne Unterstützung durch ermländische Förderer wäre ihr Weg wohl anders verlaufen“, machte Riediger deutlich. Im Ermländischen Hauskalender veröffentlichte sie Motive aus dem bäuerlichen Leben, ab 1950/51 begann sie mit ihren kirchlichen Arbeiten. Die erste größere Arbeit war die Schutzmantelmadonna in Bordersholm (Schleswig-Holstein), in der die Künstlerin auch byzantinische Elemente und Bezüge zum ermländischen Schicksal aufnahm. Nach Abschluss des Studiums nahm sie an einem Wettbewerb zur Gestaltung der Verglasung des großen Westfensters im Kölner Dom teil und gehörte mit ihrem Entwurf zu den zwölf besten Teilnehmern. In der Kapelle des 1952 errichteten Maximilian-Kaller-Heims in Balve-Helle gestaltete sie den Kreuzweg, den sie thematisch mit Szenen aus dem Alten Testament verband. Weitere Wandbilder und Bilder in der Sakristei wie auch im Speisesaal folgten. Diese Werke fanden auch überregional Beachtung und brachten Koschinsky 1961 einen weiteren Auftrag im Ermland-Dunstkreis: die Gestaltung der 24 Quadratmeter großen Fensterwand in der Andreaskapelle des neu erbauten Ermlandhauses in Münster. Hier thematisierte sie unter anderem auch die Vertreibung mit in einem Boot sitzenden Menschen, wobei das Segel die Hoffnung ausdrücken sollte. Auch den Tabernakel der Kapelle durfte sie gestalten. Von 1972 bis 1988 wirkte sie als Kunsterzieherin in der St. Ursula-Schule in Geisenheim (Hessen). Im Alter von 93 Jahren starb sie 2016 in Schwenningen im Schwarzwald.

Beispiele für Notkirchen und -kapellen...

Mehrmals wurden bereits die Begriffe „Notkirche“ bzw. „Notkapelle“ erwähnt. Damit bzw. konkret mit „Notkirchen – architekturhistorische Definition und Beispiele aus der Diözese Hildesheim“ befasste sich der Architekt, Bauhistoriker und Denkmalpfleger Dr. Stefan Amt in seinem Vortrag. Er verdeutlichte, dass es auch schon in früheren Zeiten immer wieder aus Notsituationen heraus entstandene Gotteshäuser gegeben hat. Aus seinen Beispielen wurde ersichtlich, dass Notkirchen zuvor unter anderen Gaststätten, Verwaltungsgebäude oder sogar ein Kriegsgefangenenlager – wie etwa im niedersächsischen Sandbostel – waren. Oft wurden diese Notkirchen und -kapellen von beiden christlichen Konfessionen genutzt, später durch echte Kirchenneubauten ersetzt und anders genutzt (z.B. Pfarrheim) oder profaniert und einer weltlichen Nutzung zugeführt. „Mir ist die Not oft nicht präsent bei den Gebäuden. Es drückte sich das Prosperieren der Kirchengemeinden aus. Oft erfolgte nach einigen Jahren schon wieder der Abbruch“, fasste Abt zusammen.

… und ein Architekt von Notkirchen

Einen Architekten jener Jahre, der speziell Notkirchen plante, stellte der Historiker und Theologe Thomas Oschmann vor, der als Archivar am Diözesanarchiv in Rottenburg tätig ist. „‘Den Flüchtlingen einen neuen religiösen Mittelpunkt geben …‘ Architekt Martin Schilling und die Notkirchen der frühen Nachkriegszeit“ lautete sein Thema. Grundsätzlich machte er deutlich, dass sich durch die Ansiedlung von Heimatvertriebenen im Bistum Rottenburg-Stuttgart in den 1950er Jahren die Zahl der Katholiken stark erhöhte und vor allem anfangs Kirchen fehlten. Als Ersatz dienten auch hier Gasthäuser und evangelische Gotteshäuser. Das Ordinariat erließ am 1. Juni 1949 das Notkirchenprogramm, dabei sollten zehn US-Tropenbaracken zu Notkirchen umgebaut werden, die dann jeweils für ca. 200 Personen (120 Sitzplätze, 80 Stehplätze) Platz bieten. Zehn Seelsorgestellen wurden dafür ausgewählt, mit dem Projekt wurde der Rottenburger Architekt Martin Schilling (1896 – 1991) betraut. Dieser war seit 1928 besonders mit sakralen Bauten aufgefallen, die sich durch Einfachheit und Klarheit auszeichneten. Nach 1945 wirkte er auch als Berater für den Bischöflichen Stuhl, weshalb er für diese Aufgabe prädestiniert war. Die Notkirchen sollten keinen großen architektonisch-künstlerischen Anspruch haben. Und Schilling hatte bei seinen Überlegungen auch das Landschaftsbild im Auge. „Auf seine Planungen gehen viele Notkirchen zurück. Es sollte aber auch nichts mehr auf die ehemalige profane Nutzung hinweisen“, erläuterte Oschmann. Schillings Ansätze waren unter anderem eine massive Außengestaltung und eine Aufwertung des Innenraumes. Er fertigte zunächst Standardpläne und dann – nach Ansicht der Baracken – detaillierte Einzelpläne. Die Bauleitung vor Ort gab er an örtliche Fachleute (Architekten, Handwerker) ab. Am 26. September 1949 war Start der Bauphase, die Innenausstattungen waren meist Geschenke aus anderen Kirchen oder Spenden. Wie auch andernorts hatten die zehn Notkirchen eine nur kurze Existenzdauer von meist kaum zwei Jahrzehnten, weil durch Hitze bzw. Kälte Schäden entstanden. Es gab aber auch Probleme hinsichtlich der Parzellierung oder der Pachtverträge. Mitunter wurden Mitte der 1950er Jahre auch neue Kirchen gebaut. „Keine einzige der US-Tropenbaracken bzw. Notkirchen steht heute noch“, stellte der Referent abschließend fest.

Beispiel für die Flüchtlingshilfe der Caritas

Ebenfalls im Bistum Rottenburg-Stuttgart war das Referat der Archivarin Claudia Seufert angesiedelt, das Thomas Oschmann vortrug, da Seufert gesundheitlich angeschlagen war. Thema war die Caritasflüchtlingshilfe. Bereits im Juli 1945 war dort eine Caritasstelle installiert worden, und auch Ortscaritasstellen für rasche Hilfen vor Ort. Die Zentrale in Stuttgart wies sehr bald eine landsmannschaftliche Komponente (Donauschwaben) auf, da der Leiter Dr. Ludwig Leber (1903 – 1974) aus Ungarn stammte. Er gründete 1949 auch die Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn und gehörte von 1950 bis 1952 dem Landtag von Württemberg-Baden an, ab Dezember 1952 bis 1968 dem Landtag von Baden-Württemberg. Der Interessen, Sorgen und Angelegenheiten der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen nahm er sich besonders an. Mit eingebunden war er in die Gründung des St. Gerhards-Werks. Mit dem Lastenausgleichsgesetz von 1952 erweiterten und konkretisierten sich die Aufgaben der Caritas, so unter anderem Unterstützung bei der Grundversorgung, finanzielle und rechtliche Aspekte, Fragen der Wohnung und Familie sowie der Einreise und Rückwanderung – und übergreifend Hilfen bei Behörden. Darüber hinaus wirkte die Flüchtlingshilfe beratend bei Gesetzesvorlagen. Oschmann beschrieb abschließend die vielfältigen und höchst unterschiedlichen Dokumente und Quellen sowie die Archivierungsstruktur. „Die Nöte und Sorgen über 40 Jahre werden darin deutlich. 1948/49 spielten Aspekte wie Kleidung, Wohnung, Arbeit und Sprache die zentrale Rolle, später ging es vor allem um die Verbesserung des Vorhandenen“, fasste der Vortragende zusammen und bedauerte, dass bis 1970 vielfach Dokumente vernichtet wurden.

Wallfahrten im Erzbistum Bamberg

Ins oberfränkische Erzbistum Bamberg ging es beim Vortrag der im dortigen Archiv vor allem für Sammlungen und Nachlässe zuständigen Archivoberinspektorin i.K. Susanne Schmidt. „250.000 Heimatvertriebene und mehr als 14 Heilige. Alte Wallfahrtsziele und neue Kirchenpatrozinien im Erzbistum Bamberg“ lautete ihr Thema. Sie warf zunächst einen Blick auf Personen bzw. Konferenzen und Dokumente zur Flüchtlingsseelsorge und -fürsorge 1945 bis 1948. „Die Herkunft hat die Leute geprägt. Der Sonntagsgottesdienst soll beide Gruppen, die Einheimischen und die Neubürger, vereinen. Andachten waren nachmittags und abends vorgesehen“, charakterisierte sie die Überlegungen jener Jahre. Rückblickend führte Schmidt Vertriebenenwallfahrten für zwölf Orte im Erzbistum an, wobei es heute nur noch die in Gößweinstein (dorthin seit 2021 von Vierzehnheiligen verlegt) gibt. Viele davon waren eher regional, in Schwarzenberg bildete eine Kopie des Marienbildes aus Krakau einige Jahre die Basis zur Wallfahrt von Vertriebenen, die größte – auf Diözesanebene – war von 1946 bis 2019 die nach Vierzehnheiligen. Und bei ca. 250.000 neuen Katholiken waren auch Kirchenneubauten dringend nötig – 110 in den Jahren 1947 bis 1976, vor allem in den ersten 1960er Jahren. Zwar waren meistens die Kirchenpatrozinien eher unwichtig, aber mitunter gibt es Hinweise auf die alte Heimat: St. Hedwig, St. Johann Nepomuk, St. Elisabeth und vor allem verschiedene Marientitel. Denn die Gottesmutter Maria wurde in nahezu allen Siedlungsgebieten besonders verehrt.

Seelsorge in einer Vertriebenengemeinde

Einen Blick auf die Flüchtlingsseelsorge im Erzbistum München-Freising in den 1950er Jahren, konkret in der damals neu entstandenen Vertriebenensiedlung Waldkraiburg, warf Ferdinand Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Bei der Integration war besonders auch die Kirche gefragt“, betonte Müller einleitend und verwies auf die Traumata der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen. Da an diesen neuen Orten eine bodenständige Kultur und entsprechendes Brauchtum fehlten, boten sich für die Seelsorge Chancen, ja es waren manchmal „Orte für Experimente“, so der Referent. Denn oft waren verschiedene Kirchenerfahrungen präsent. In Waldkraiburg entstand im Jahr 1951 zuerst eine Pfarrkuratie, neun Jahre später wurde diese zur Pfarrei. Die erste zentrale Aufgabe war der Bau einer Kirchenbaracke für 150 Personen, die dann durch eine Behelfskirche ersetzt wurde. Die neue Christkönig-Kirche wurde schließlich 1964 geweiht, zeitweise hatte man bis dahin ein Simultaneum. Erster Seelsorger war ein aus dem Sudetenland stammender Priester, ab Ende der 1950er Jahre unterstützten Ordensbrüder und ein Katechet den neuen Priester. Die Seelsorge mit den Vertriebenen gestaltete sich anfangs wegen der verschiedenen Prägungen etwas schwierig, darüber hinaus gab es manchmal auch „Dissonanzen zwischen Einheimischen und Heimatvertriebenen“, so Müller. Denn im Jahr 1960 zählte Waldkraiburg bereits 10.000 Einwohner, viele Leute aus der Region hatten sich ebenfalls in dem neu entstandenen Ort angesiedelt. Im Jahr 1950 gab es eine spezielle Firmung für Heimatvertriebene, wo auch Erwachsene das Sakrament erhielten. Deren Glaubenspraxis zeigte sich vor allem in Wallfahrten, Marienverehrung, Herz-Jesu-Frömmigkeit und Bittgängen. Zur Pflege des kulturellen Erbes entstanden Gruppen im landsmannschaftlichen Bereich, weniger kirchliche Vereine außer dem Kirchenbauverein. Zwar gab es bereits 1950 ein erstes Jugendheim, die Jugendlichen nahmen aber eher die Angebote der Deutschen Jugend des Ostens (DJO) wahr. Ab Mitte der 1950er Jahre verliefen dann die Gemeindebildungen – sowohl im politischen wie im kirchlichen Bereich – positiver, wenngleich, wie Müller anmerkte, die Säkularisierung schon damals stark fortgeschritten war.

Exkursion in die Vertriebenenstadt Neutraubling

In die Vertriebenenstadt Neutraubling führte eine Exkursion. Denn die von hier stammende und dem Instituts-Vorstand angehörende Dr. Elisabeth Fendl referierte in der Stadthalle zum Thema „Geschichten vom Aufbau. Die Kirchenbauten in der Vertriebenengemeinde Neutraubling“ und erläuterte diese im Anschluss bei einem kurzen Rundgang. Die seit vielen Jahren an dem in Freiburg ansässigen Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa tätige Wissenschaftlerin ging auf die Vorgeschichte, den Fliegerhorst Obertraubling, ein, der dann ab 1943 ausschließlich den Messerschmitt-Werken für die Flugzeugproduktion und -tests überlassen und Ende April 1945 von US-Truppen besetzt wurde. Außerdem entstand hier ein Kriegsgefangenenlager für etwa 2750 Zwangsarbeiter. Vom 20. Februar bis zur Auflösung am 16. April 1945 befand sich das Außenkommando des KZ Flossenbürg hier, Überlebende wurden in Richtung Dachau geschafft. Da die US-Truppen die Einrichtung nicht weiter nutzten, erfolgte die Freigabe des Geländes. Ab 23. September 1946 war der Aufbau einer Gemeinde – Industriesiedlung Obertraubling – geplant. Da aber auch Handwerker und Landwirte hierherkamen, rückte man von diesem Vorhaben ab. Die Mehrheit der Leute waren Katholiken, zumindest eine Notkapelle war angesagt. Im Jahr 1947 wurde mit Hilfe des Caritasverbandes ein Raum für eine Notkirche (im sog. Schlangenbau) gefunden, das erste Fronleichnamsfest wurde noch in Trümmern begangen. Die erste Monstranz war aus Flugzeugblech gestaltet, der erste Seelsorger ein Sudetendeutscher (große Mehrheit der Heimatvertriebenen). 1949 konnte die Notkirche geweiht werden, sie war bis zur Weihe der Kirchen der zwei christlichen Konfessionen Ort einer frühen Ökumene. Es kamen auch einige Nonnen der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz in Eger, die unter anderem einen Kindergarten und eine ambulante Krankenpflege leiteten sowie Sakristei-Dienste leisteten. Zu nennen ist natürlich der seit 1949 hier tätige Seelsorger Monsignore Anton Böhm (1907 – 1998). Bereits zu Beginn seines Wirkens fiel die Entscheidung, auf der Ruine des früheren Klosters bzw. an der Stelle der ehemaligen Kommandantur des Fliegerhorstes eine Kirche zu bauen.

Bis 1951 war die Zahl der Bewohner auf 1250 angestiegen – 76 Prozent waren katholisch, 22 Prozent evangelisch-lutherisch, der Rest gehörte anderen Konfessionen an. Am 1. April 1951 wurde die neue Gemeinde Neutraubling gegründet, sie war (und ist) eine von vier Vertriebenengemeinden in Bayern (die anderen drei sind in Oberbayern). Auf 245 Hektar waren 70 Betriebe tätig, 93 Prozent der Bewohner waren Heimatvertriebene, von denen wiederum die Sudetendeutschen mit 61,6 Prozent die größte Gruppe waren.

Die Grundsteinlegung für die dem Heiligen Michael gewidmete Kirche war am 4. Oktober 1953, für die Planung war federführend der Architekt Josef Pospischil zuständig, sogar 21 spanische Studenten waren in die Bauarbeiten einbezogen. Am 16. Oktober 1955 vollzog Erzbischof Michael Buchberger die Weihe der neuen Pfarrkirche und erhob Neutraubling, bis zu diesem Tag Expositur der Pfarrei Obertraubling, zur selbständigen Pfarrei St. Michael. Der Patron wurde – wohlgemerkt in einer Zeit des aufkommenden Kalten Krieges und der Bedrohung durch den Kommunismus – wohl auch als Kämpfer gegen das Böse auserkoren. Ein weiterer Höhepunkt war am 26. Oktober 1958, als Weihbischof Josef Hiltl die von der Passauer Glockenbaufirma Perner (ursprünglich aus Budweis) geschaffenen Glocken weihte.

In der Neutraublinger Pfarrkirche St. Michael befinden sich viele Embleme und Hinweise auf die früheren Orte und Siedlungsgebiete der Vertriebenen. Gleich im Eingangsbereich sind am Boden 29 Wappen in Mosaikform, die auf Herkunftsorte oder -regionen hinweisen und damit auch gewissermaßen politisch wirken, da sie natürlich in Verbindung zu den jeweiligen Landsmannschaften und deren Aussagen gebracht werden können. Nicht zu übersehen ist die Schutzmantelmadonna, eine Kopie der Madonna, die im Original in Königstein/Taunus steht. Den Heiligen Erzengel Michael hat der aus Tachau stammende Maler Rudolf Böttger (1887 – 1973) geschaffen, die 14 Kreuzwegstationen der aus Briesen stammende frühere Regensburger Dombaumeister Richard Triebe (1922 – 2012). Die konkreten Herkunftsorte und -regionen der in Neutraubling angekommenen Vertriebenen sind groß vorne rechts an der Wand verzeichnet. Fendl verwies auch auf die seit 2002 bestehende Pfarrpartnerschaft mit der Pfarrei Corpus Christi in Graslitz (Tschechien). Kurz ging sie auch auf die am 2. September 1956 geweihte evangelische Lutherkirche ein, die schon damals ein Beispiel für moderne Architektur und ein Gegenpol zur katholischen Michaels-Pfarrkirche war. Heftige Diskussionen gab es damals, weil die evangelisch-lutherische Kirche keine Hinweise auf die alte Heimat enthielt. Das Gotteshaus sollte vielmehr als „Zelt des wandernden Gottesvolkes“ betrachtet werden, erläuterte die Referentin.

Beim anschließenden Rundgang entlang des Schlangenbaus führte die Tour dann zur Pfarrkirche, wo auch Ortspfarrer Josef Weindl dazustieß und Erläuterungen zur aktuellen pfarrlichen Situation beisteuerte. Am Abend gab das Maliconia-Ensemble aus Stuttgart ein Konzert mit Werken von Komponisten, die aus früheren deutschen Siedlungsgebieten stammten.

Arbeit mit Heimatvertriebenen im Bistum Passau

Ins Nachbarbistum Passau ging es beim Vortrag des Historikers Dr. Markus Schubert über „Integration der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen durch Initiativen von Verbänden, Organisationen und heimatvertriebenen Priesterpersönlichkeiten im Bistum Passau nach 1945“. Bereits ab Frühjahr 1945 wurde hier die Flüchtlingsproblematik sichtbar – auch angesichts des hohen Katholikenanteils - und beschäftigte bis 1964 die entsprechenden Einrichtungen. Am schnellsten reagierte die Caritas, die Lager, Versorgungseinrichtungen und Küchen zur Verfügung stellte. Bisweilen herrschte ein „unfreundliches Verhältnis der Vermieter gegenüber den Flüchtlingen“, stellte Schubert fest. Bereits 1946 ging man von einem dauerhaften Verbleib in der neuen Heimat aus. Neben der Caritas waren das Rote Kreuz und die Evangelische Diakonie in der Flüchtlingsarbeit aktiv. Da auch noch 1948 der Flüchtlingsstrom anhielt, gründete sich eine kleine Gemeinde im Lager, das zuvor eine Kaserne war. Die etwas prekäre Lage änderte sich mit der Ankunft der Barmherzigen Schwestern vom Dritten Orden des Heiligen Franziskus aus Troppau, die sich unter anderem der Betreuung der Kinder (Schulspeisung usw.) annahmen. Kurz stellte der Historiker einige aktive und prägende Priester vor. Der erste Flüchtlingsseelsorger war der vom Stift Braunau stammende Pater Beda Menzel OSB (1904 – 1994), der dann leitende Funktionen im Gymnasium Rohr innehatte. Weiter nannte er den aus Oberschlesien stammenden Georg Schlapka (Innenstadtpfarrer von 1959 – 1981), Pfarrer Johannes Bischof (Initiator der Kapelle „St. Marien am Eisernen Zaun“ bei Haidmühle) und Dr. Norbert Kocholaty (1908 - 1995), der 1932 in Leitmeritz zum Priester geweiht wurde und stark an der Gründung des Passauer Diözesanverbandes der Ackermann-Gemeinde im Jahr 1952 mitgewirkt hat. In diesem Zusammenhang ging Schubert auf das Wirken dieses Verbandes und dessen Jugendverbandes, der Jungen Aktion, in den ersten Jahrzehnten ein. „Die Stellung innerhalb der Stadtgesellschaft wurde ausgebaut“, fasste er zusammen. Abschließend widmete er sich dem Katholischen Wohnungsbau und den Aktivitäten auf evangelischer Seite.

Zweifache Diaspora in der DDR

Die Situation in der DDR beschrieb unter dem Titel „Beheimatung oder Abwanderung? Die katholischen Vertriebenen in der DDR“ Dr. Torsten Müller, Direktor des Museumsdorfes Cloppenburg. Die Vertriebenen hießen dort ja „Umsiedler“, das Thema „Vertreibung“ war tabu, kirchliches Leben fand vor allem in Schuppen, Garagen und Wirtshäusern statt, es gab nur einige wenige Kirchenneubauten. Die Kommunikation mit den westdeutschen Diözesen war eingeschränkt. „Die zentrale Form der Organisation der Kirche war die ostdeutsche Bischofskonferenz, im Bistum Erfurt war die einzige Stelle zur Ausbildung der Priester“, stellte Müller fest und verwies noch auf den in Leipzig angesiedelten St. Benno-Verlag. Trotz dieser Rahmenbedingungen sprach der Museumsdirektor von „fruchtbaren Wachstumsjahren für die katholische Kirche bis 1955“, wobei diese da ihre eigene Mentalität ausprägte. Er verwies auf lebendige Flüchtlingsgemeinden, die einen „Beitrag für ein neues Bewusstsein dieser Kirche“ hätten leisten können – zum Beispiel durch neue Seelsorgekonzepte usw. Doch ab Mitte der 1950er Jahre bis 1961 wuchs der Druck auf die katholische Kirche - der Staat drängte zunehmend die Kirche zurück, etwa durch die Einführung der Jugendweihe. Vertriebene, die bereits wegen ihrer Konfession zum Großteil in einer Diaspora-Situation waren, erlebten nun eine zweite Form der Diaspora, eine ideologisch geprägte Umwelt. Das führte zu neuen Wegen in der Ökumene und zum Aufbau eigener kirchlicher Verwaltungsstrukturen – auch als Gegenpol zu einer Integration in die sozialistische Gesellschaft. Aber auch Binnenwanderungen innerhalb der DDR (vor allem in die Städte) und Abwanderung in die Bundesrepublik waren bei Katholiken in diesen Jahren stark verbreitet. Und besonders schmerzhaft für Priester, in deren Region ein Kirchenbau geplant war. „Trotz der Zuwanderung der Vertriebenen in protestantische Regionen blieb der katholische Anteil gering und weit verstreut. Die religiösen Bindungen ließen nach, auch weil das soziale Umfeld fehlte und die religiösen Eigenarten der protestantischen Menschen dies begünstigten. Eine Volkskirche in Verbünden oder einem kleineren Maßstab ließ sich nicht realisieren“, beschrieb Müller. Zudem fehlten Elemente religiöser Volksfrömmigkeit, fast die komplette Infrastruktur (theologische Fakultäten, katholische Gymnasien, Vereine, Verbände, Zeitschriften usw.). In einer antireligiösen Atmosphäre erlebten die Heimatvertriebenen zunehmend eine Entwöhnung vom Gottesdienstbesuch und Sakramentempfang. Dazu kam die Assimilation in die DDR-Strukturen. In geringem Umfang konnten nur die Schlesier die katholische Kirche in der DDR ein wenig prägen („Breslauer Einfluss“).

Ordensgemeinschaften in der Vertriebenenseelsorge

Die Bedeutung von Ordensgemeinschaften in der Vertriebenenseelsorge erläuterte exemplarisch für das Oldenburger Land in der Diözese Münster anhand der Pallottiner und der Hünfelder Oblaten der außerplanmäßige Professor und Direktor des Instituts für Regionalgeschichte und Katholizismusforschung Dr. Michael Hirschfeld. Grundsätzlich wies er darauf hin, dass Ordensangehörige nicht in die Kirchen- bzw. Ordinariatsstrukturen eingebunden waren und daher oft andere Aktivitäten und Schwerpunkte (kategoriale Seelsorge) setzten. Dabei unterstützten auch aus ihrer Heimat vertriebene Ordenspriester die vor Ort wirkenden Patres. Zum Beispiel waren hunderte Vertriebene aus Frankenstein (Schlesien) in der Region Oldenburg gelandet, die sich für die seelsorgliche Betreuung an ihren früheren Pallottiner-Pater wandten. Das veranlasste den zuständigen Provinzial zu der Entscheidung, dass der Orden ständig in diesem Seelsorgebereich aktiv sein sollte – auch als Beitrag zum Diaspora-Apostolat. Die Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria hatten in Schlesien drei Niederlassungen mit 24 Patres und 22 Laienbrüdern. Aufgrund der Verbindungen sahen die Ordensgeistlichen in der Seelsorge an Heimatvertriebenen ein wichtiges Betätigungsfeld („Rucksackmission“) der Pastoralarbeit, die sich manchmal aber auch gegen Protestanten und den damaligen Zeitgeist wandte. „Ordensgeistliche waren eine willkommene Unterstützung bei der Seelsorge von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen. Die Pallottiner und die Hünsfelder Oblaten leisteten einen wichtigen und modernen Beitrag zum Diaspora-Apostolat“, fasste Hirschfeld zusammen und erwähnte, dass in deren Zuständigkeitsbereichen zwei bis drei neue Kirchen gebaut wurden.

Gründung von St. Stephan in Griesheim bei Darmstadt

Einen ungarndeutschen Aspekt brachte schließlich die Historikerin Krisztina Kaltenecker mit ihrem Vortrag über „Die Siedlung und Katholische Kirchengemeinde Sankt Stephan bei Darmstadt 1947 – 1949. Zur Integrationsleistung der Kirchlichen Hilfsstelle Frankfurt am Main“ in die Gesamtschau ein. Der Großteil der Neuankömmlinge kam aus der Batschka und gehörte mehrheitlich der katholischen Konfession an, während die Einheimischen in Griesheim „grundsätzlich evangelisch“ waren, so die Referentin. Daher kam es in den ersten zwei Jahren immer wieder zu konfessionellen Streitigkeiten, aber auch vielfach um materielle Dinge. Im Jahr 1948 wurde Sankt Stephan – in Würdigung des bekannten ungarischen Königs – von der kirchlichen Hilfsstelle Frankfurt gegründet, die Siedlung hatte zunächst einen bäuerlichen Charakter. In der Folge gründeten die Siedler Vereine, die schließlich von der Bevölkerung und den Behörden akzeptiert wurden. Die erste Notkirche war 1948 eine Wellblechbaracke, die zweite eine Holzbaracke mit einer Sankt-Stephan-Glocke. „Alles wurde in Selbsthilfe gebaut, sogar eine spezielle Maschine zur Bearbeitung der Hohlblocksteine wurde entwickelt“, schilderte Kaltenecker. Im Jahr 1954 stand schließlich die erste richtige Kirche zur Verfügung, in jenem Jahr gab es nach langer Zeit wieder eine Fronleichnamsprozession. „Die ungarndeutsche Gemeinschaft war Basis des Überlebens“, fasste die Referentin zusammen.

Text und Fotos: Markus Bauer

(SG)



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