News Bild Professor Kreiml über den Glaubensweg von Anna Schäffer

Professor Kreiml über den Glaubensweg von Anna Schäffer

Dem leidenden Jesus nachfolgen

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Regensburg, 5. Oktober 2024

Am 5. Oktober begeht die katholische Kirche den Gedenktag der heiligen Anna Schäffer, die am 18. Februar 1882 in Mindelstetten (Landkreis Eichstätt, Diözese Regensburg) als drittes von acht Geschwistern geboren wurde. Nach langem Leiden ist sie am 5. Oktober 1925 in Mindelstetten verstorben.

Heiligsprechung durch Papst Benedikt XVI.

In der liturgischen Feier, in der Anna Schäffer heiliggesprochen wurde, sagte Papst Benedikt XVI. am 21. Oktober 2012 über die neue Heilige aus Bayern Folgendes: Anna Schäffer „wollte als Jugendliche in einen Missionsorden eintreten. Da sie aus einfachen Verhältnissen stammte, versuchte sie die nötige Aussteuer für die Aufnahme ins Kloster als Dienstmagd zu verdienen. In dieser Stellung erlitt sie einen schweren Unfall mit unheilbaren Verbrennungen an den Beinen, der sie für ihr ganzes weiteres Leben ans Bett fesselte. So wurde ihr das Krankenlager zur Klosterzelle und das Leiden zum Missionsdienst. Sie haderte zunächst mit ihrem Schicksal, verstand ihre Situation dann aber als einen liebevollen Ruf des Gekreuzigten in seine Nachfolge. Gestärkt durch die tägliche Kommunion wurde sie zu einer unermüdlichen Fürsprecherin im Gebet und zu einem Spiegel der Liebe Gottes für viele Ratsuchende. Ihr Apostolat des Betens und des Leidens, des Opferns und des Sühnens sei den Gläubigen ... ein leuchtendes Vorbild, ihre Fürbitte stärke die christliche Hospizbewegung in ihrem segensreichen Wirken“ (Papst Benedikt XVI., Anna Schäffer – ein Spiegel der Liebe Gottes für viele Ratsuchende. Predigt zur Heiligsprechung am 21. Oktober 2012, in: Heilige Anna Schäffer von Mindelstetten/Bayern, Brief 62, Juni 2013, S. 48).

Eine Heilige der kleinen Leute

Heilige sind Interpreten des Evangeliums. Ihr Leben erzählt, wie der christliche Glaube Menschen motiviert, Leid zu tragen, Glück zu genießen, die Liebe zu mehren, ja im größten Elend noch Lebensfülle zu spüren. Allzu sehr haben wir in unserer Pastoral in den letzten Jahrzehnten vergessen, dass Hagiographie ein Teil der Theologie sein will, da sie die Wirkungsgeschichte des Evangeliums in den Menschen erzählt (vgl. Ludwig Mödl, Anna Schäffer – eine Heilige des Volkes. Wie können wir die Heiligsprechung als pastorale Möglichkeit nützen?, in: Klerusblatt 2012, 212-216).

Anna Schäffer wurde 1882 als Tochter einer Schreinerfamilie geboren. Das religiöse Leben wurde in der Familie nach Art des späten 19. Jahrhunderts gepflegt. Gottesdienstbesuche am Sonntag und gelegentlich am Werktag waren selbstverständlich, ebenso die übliche Weise des Sakramentenempfangs. Anna wird geschildert als ruhiges Kind, eher schüchtern. In der Schule lernte sie gut. Es war selbstverständlich, dass sie – als Kind armer Leute – nach dem Abschluss der Volksschule in Dienst gehen musste, um beruflich das Hauswesen zu lernen und sich selbst ihr Brot zu verdienen. Das war umso nötiger, als 1896 – ein halbes Jahr vor ihrem Schulabschluss – der Vater, erst 40-jährig, starb und dadurch Armut in die Familie einzog.

Ein folgenschwerer Unfall

Nach ihrem schrecklichen Unfall im Forsthaus Stammham bei Ingolstadt am 4. Februar 1901, bei dem sie durch siedendes Wasser schwerste Verletzungen an den Beinen erlitt, folgten ca. 30 Operationen. Es waren schlimme Wochen. Ein Vierteljahr blieb Anna im Krankenhaus. Dann stellte die Krankenversicherung ihre Zahlungen ein. Die Mutter, selbst arm, konnte die täglichen Pflegekosten nicht aufbringen. Sie holte die Tochter nach Hause und pflegte sie selbst. Der Arzt von Pförring versorgte Anna Schäffer. Nach einem weiteren Vierteljahr nahm sich die Invalidenversicherung ihrer an und ließ sie in die Universitätsklinik Erlangen einliefern. Dort lag sie von Juli 1901 bis Mai 1902. Heilung konnte sie nicht erlangen. Auch die nachträglichen Hautverpflanzungsversuche schlugen fehl. So hat sie der Pförringer Arzt mehr als 20 Jahre hindurch jede Woche neu verbunden – jedes Mal eine schmerzhafte Tortur. Anna Schäffer konnte das Bett nicht mehr verlassen, war ganz angewiesen auf Pflege. Die Mutter versorgte sie hingebungsvoll. Anna konnte Strickarbeiten ausführen, zeichnen und schreiben. Letzteres hat sie eifrig getan. Auf Anweisung ihres Pfarrers Carl Rieger schrieb sie ihre Visionen auf, die sie „Träume“ nannte. Sie schrieb Gedichte, Gedanken und Gebete nieder. Vor allem aber schrieb sie viele Briefe. Denn obwohl sie und ihr geistlicher Begleiter auf größte Diskretion bedacht waren, verbreitete sich ihr Ruf als fromme Dulderin. Vor allem die Seelsorgsaushilfen, meist Kapuziner, und viele andere Menschen verbreiteten ihren Ruf.

Glaubenszeugnis in Briefen

So schrieben ihr viele leidgeprüfte Menschen. Sie fand in solchen Briefen selbst Trost und fühlte sich oftmals nicht würdig, solchen Kreuzträgern Trost zuzusprechen. Dennoch schrieb sie aus Gehorsam. Offensichtlich hat Pfarrer Rieger sie dahingehend belehrt, dass Briefeschreiben Apostolat sei. Leider sind von den vielen Briefen nur 124 – neben 59 Zetteln und Manuskripten – erhalten geblieben. Diese allerdings geben – neben ihren „Traumheften“ – ausführlich Kunde von ihrem geistlichen Leben. Sie bezeugen die Reife, welche Anna Schäffer gerade durch ihr Leid gefunden hat. Ihre spirituelle Tiefe ist geprägt von einer tiefen Beziehung zu Christus. Am Abend des 5. Oktober 1925 ist Anna Schäffer – Pfarrer Carl Rieger hatte gerade das Haus verlassen – gestorben. Zu ihrer Beerdigung kamen unzählige Menschen. Pfarrer Rieger schrieb mit Bleistift ins Totenbuch „Sancta“ („Heilige“), was die Kirche am 21. Oktober 2012 feierlich bestätigt hat.

Eine besondere Christusliebe

Anna Schäffer ist zu mystischer Glaubenstiefe gelangt. In zwölf Heften hat sie ihre Träume festgehalten; so nannte sie ihre geistlichen Erfahrungen. Ihr Pfarrer Carl Rieger hatte ihr geraten, diese aufzuschreiben. 183 Briefe und Zettel, die sie zwischen 1910 und 1925 geschrieben hat, bezeugen – oftmals in bescheidenen Andeutungen – ihre persönliche Liebe zum Heiland. Anna hat solches nie nach außen dringen lassen. Der Ruf ihres heiligmäßigen Lebens verbreitete sich zu Lebzeiten jedoch in der ganzen Gegend. Aber sie war nicht bereit, irgendetwas Außergewöhnliches von ihrer Person ausgehen zu lassen, außer dass sie den Leuten versicherte: Ich werde für euch beten. Ein einfühlsamer Seelsorger, Pfarrer Rieger, begleitete sie in all den Jahren. Er brachte ihr fast täglich die hl. Kommunion, was damals eine große Ausnahme war. Anna Schäffer, die ab 1917 stark von der hl. Theresia vom Kinde Jesu und ihren Schriften geprägt wurde, lebte den „Kleinen Weg“. Sie wusste sich Christus innig verbunden. Dies drückt sich in ihrer besonderen Ehrfurcht vor der hl. Eucharistie und in ihrer Verehrung des Herzens Jesu aus.

Geduldiges Ausharren

Als geduldig Leidende und Ausharrende bis zuletzt wurde Anna Schäffer für viele „ein Zeichen für einen neuen Umgang mit Leiden, Sterben und Tod“ (Klaus Stock, Die letzte Wegstrecke ist steil und schwer. Anna Schäffer und die Hospizbewegung, in: Klerusblatt 2012, 217). Die Heilige aus Mindelstetten war nicht allein. Was heute ehrenamtliche Hospizbegleiterinnen und -begleiter übernehmen, haben damals ihre Mutter und ihre Nachbarn auf ihre Weise getan: einem Menschen menschliche Nähe zu schenken. Anna Schäffer fand vor allem im Hinschauen auf den leidenden Christus Hilfe zum Aushalten. „Kraft für den langen, steilen und beschwerlichen Weg schöpfte sie in dem Gedanken der Sühne und des Opfers“ (ebd.).

Eine große Reise nach innen und nach oben

Als Anna Schäffer am 7. März 1999 durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen wurde, hat Joseph Kardinal Ratzinger am Tag zuvor in seiner Predigt in St. Paul vor den Mauern auf die Mystik und Vorbildlichkeit der Anna Schäffer hingewiesen. In den 25 Jahren ihres Leidens habe sie „eine große Reise nach innen und nach oben“ (zitiert in: Heilige Anna Schäffer von Mindelstetten/Bayern, Brief 62 / Juni 2013, 62) unternommen. Mit diesem Wort wird die ganze Lebensgeschichte der Heiligen vor Augen geführt: Es war eine Reise nach innen, um im Empfang der Sakramente, im eigenen Leiden immer tiefer zu sich selbst zu finden. Und es war eine Reise nach oben, weil sie so Jesus Christus immer ähnlicher wurde und am Ende dieses Weges Gott selbst schauen durfte. Mit dieser Botschaft rüttelt uns Anna Schäffer neu wach für die Frage nach dem Umgang mit Leid und Not. In einer Welt, die dazu neigt, Elend zu verdrängen, ruft uns die Heilige dazu auf, gemeinsam auf den Gekreuzigten zu schauen. Für Christen ist das Kreuz kein Grund, einen Bogen um das Leid zu machen, sondern die Wirklichkeit so anzunehmen, wie sie ist, und sich ihr zu stellen. In ihrem Leiden stellt uns Anna Schäffer die zentrale Frage: Was wäre die Welt ohne den Gekreuzigten? Ohne ihn wüssten wir nicht, dass Gott uns Menschen so sehr liebt, dass er mit uns leidet und in Jesus Christus für uns stirbt. „Er hält sich die Wunden der Menschen nicht vom Leib. Er trägt sie selbst und ist daran zu erkennen – auch nach seiner Auferstehung“ (ebd., 63). Er ist die dunklen Wege der Ohnmacht und der Niederlagen selbst gegangen. So enthüllt das Kreuz für den glaubenden Menschen die verborgene Kraft Gottes. Gerade daran erinnert uns Anna Schäffer.

Im Kreuz ist Heil und Hoffnung

Es hat einen tiefen Sinn, wenn wir in der Karfreitagsliturgie singen: „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.“ Auf den Gekreuzigten schauen – das ist eine Kraft, die uns hält und stärkt und auch über Abgründe trägt. Der Herr lässt den Menschen nicht allein, so sehr dieser auch eine Gottferne erleben mag. Viele kennen die Erfahrung, die auch Anna Schäffer machen durfte: In einer schweren, notvollen Stunde vermag der Blick zum Gekreuzigten mehr Trost zu geben als alle menschlichen Worte. Die Gegenwart Gottes wendet unsere Not von Grund auf – freilich nicht in dem Sinn, dass es sie fortan nicht mehr gäbe. „Überwunden“ hat er die Not vielmehr so, dass Leid und Sünde uns nicht mehr vernichten können. Zwar werden wir all das, was menschliches Kreuz heißt und ist, oft nicht verstehen; aber wir können es bestehen. Dieses Zeugnis hat uns Anna Schäffer gegeben, um uns auf die Reise nach innen und nach oben mitzunehmen.

Ein ähnlicher Weg: die selige Chiara Luce Badano

Wie Anna Schäffer hat auch Chiara Luce Badano (1971-1990), eine junge Norditalienerin aus Sassello, ihre Krankheit in einer tiefen Christusbeziehung angenommen. Chiara ist kurz vor ihrem 19. Geburtstag infolge einer schweren Krebserkrankung gestorben. Am 25. September 2010 wurde sie seliggesprochen. Dr. Brach, der behandelnde Arzt von Chiara, sagte über seine Patientin Folgendes (zitiert nach: Gudrun Griesmayr / Stefan Liesenfeld, Chiara Luce Badano. „Gott liebt mich doch!“ Ein kurzes, intensives Leben, München 2010, 54): „Mit Chiara hatte sich eine Beziehung des Dialogs, der Freundschaft entwickelt. Auf diese Weise habe ich ihren tiefen Glauben kennengelernt. Als meine Eltern starben, hatte sie tröstende Worte für mich. Sie glaubte an ein Weiterleben nach dem Tod und sprach davon mit einfachen, nicht angelernten Worten. Immer wieder hat sie mir versichert, dass sie ihre Situation annehme, wie sie ist. Und das sagte sie ganz spontan und natürlich. Sie zeigte ihren Glauben nicht so sehr durch Worte, sondern durch ihre Haltung, durch ihren Frieden. Sie meinte es wirklich ernst.“

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Leiter der Hauptabteilung Orden und Geistliche Gemeinschaften im Bistum Regensburg

(kw)

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