Regensburg, 14. August 2024
Was bedeutet es, wenn davon gesprochen wird, dass Maria mit „Leib und Seele“ in den Himmel aufgenommen worden ist? Professor Josef Kreiml, Vorsitzender des Institutum Marianum, geht dieser Frage zum Hochfest Mariä Himmelfahrt nach.
Am 15. August feiert die Kirche das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Papst Pius XII. hat am 1. November 1950 die in der Kirche schon lange verbreitete Glaubensüberzeugung, dass Maria mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden ist, als Dogma, d. h. als verbindliche Glaubenslehre, verkündet und endgültig bestätigt. Diese Glaubenslehre ist im Römerbrief (vgl. Röm 8,30) grundgelegt. In Jerusalem wurde bereits im fünften Jahrhundert am 15. August das Fest der Entschlafung (dormitio) Marias gefeiert. Die Kirche des Westens übernahm dieses Fest als Feier der „Aufnahme der seligsten Jungfrau Maria“ in den Himmel mit Leib und Seele. Die Begriffe „Leib“ und „Seele“ stehen für den einen und ganzen Menschen, der als leibliches und als geistiges Wesen existiert. Insofern ist auch das letzte Ziel des irdischen Pilgerweges als Ganzheit zu fassen: als Vollendung von Leib und Seele. Maria ist ganz und ungeteilt bei Christus (vgl. Thomas von Aquin).
Die Glaubensdefinition aus dem Jahr 1950
Die Glaubensaussage von der Aufnahme Marias in den Himmel, die Papst Pius XII. 1950 als verbindliche Glaubenslehre vorgelegt hat, beinhaltet Folgendes: Weil Maria in einzigartiger Weise mit der Erlösungstat Christi verbunden ist, nimmt sie auch an der Auferstehungsgestalt ihres Sohnes als die Ersterlöste und Vollerlöste teil. Maria ist aufgrund ihrer Gottesmutterschaft das bedeutendste Glied am Leib Christi, der Kirche, und Urbild der Kirche. Sie wurde „als Königin des Alls vom Herrn erhöht, um vollkommener ihrem Sohn gleichgestaltet zu sein“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium“, Nr. 59).
Am 1. Mai 1946 hat Papst Pius XII. im Hinblick auf diese Glaubensfrage alle Bischöfe der Weltkirche um ihr Votum gebeten. Durch das positive Echo ermutigt, vollzog der Papst am 1. November 1950 die Dogmatisierung in seiner Apostolischen Konstitution „Munificentissimus Deus“. Die zentrale Glaubensaussage darin lautet: „Es ist eine von Gott geoffenbarte Glaubenswahrheit, dass die unbefleckte, immer jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen worden ist“ (Denzinger-Hünermann, Nr. 3903). Die Verkündigung dieses Dogmas diente vor allem – so Papst Pius XII. – der „Verherrlichung des allmächtigen Gottes“ und „der Ehre seines Sohnes“. Sie soll aber auch zur Freude der Gläubigen beitragen (vgl. J. Kreiml, Maria, die Vorerlöste und Vollerlöste. Über den Lebensbeginn und die Vollendung der Gottesmutter, Lindenberg im Allgäu 2020, 24-37).
Eine gesteigerte Form des Marienlobes
Die dogmatische Definition von der Aufnahme Marias in den Himmel mit Leib und Seele ist Ausdruck einer gesteigerten Form des Marienlobes. Diese Glaubenslehre ist in erster Linie ein Akt der Verehrung jener Frau, die „bei Gott Gnade gefunden hat“ (Lk 1,30), „die geglaubt hat“ (Lk 1,45), an der sich deshalb das Ziel aller Jüngerschaft vollends erfüllt hat (vgl. Joh 12,26). Der Glaube, dass sie ihr endgültiges Ziel erreicht hat, stützt sich auf die Tatsache, dass Maria ihr Leben lang aufs Engste mit ihrem göttlichen Sohn verbunden war.
Glaubensaussage über Maria und Hoffnung für alle Glaubenden
Das Dogma von der Aufnahme Marias in den Himmel mit Leib und Seele enthält im Grunde zwei Botschaften: eine Glaubensaussage über die Gottesmutter und eine endzeitliche Hoffnung für alle Glaubenden. Die Formulierung „mit Leib und Seele“ meint die Überwindung des Todes in der höchsten, endzeitlichen Gestalt. Der Jesuitentheologe Karl Rahner deutet diese verbindliche Glaubenslehre von der Aufnahme Marias in den Himmel so: „Wir bekennen von Maria, was wir als unsere Hoffnung für uns alle bekennen.“ Die Aufnahme Marias in den Himmel ist „die Vollendung der Heilstat Gottes an einem Menschen, die wir auch für uns erhoffen.“
Die Wahrheit von der Himmelfahrt Marias zeigt – so Papst Pius XII. – allen Menschen, „für welch erhabenes Ziel wir nach Leib und Seele bestimmt sind“. Der Papst äußerte in seiner Apostolischen Konstitution die Hoffnung, dass der Blick auf die verherrlichte Mutter Christi auch „den Glauben an unsere Auferstehung stärken und zu tatkräftigem Handeln führen“ (Munificentissimus Deus, Nr. 201) werde.
Die Stellung Marias in der Heilsgeschichte
Leo Kardinal Scheffczyk hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die kirchliche Lehre über die Gottesmutter in erster Linie als Entfaltung der Wahrheit Christi anzusehen ist. Aufgrund ihrer einmaligen Beziehung zu ihrem Sohn kommt Maria eine einzigartige Bedeutung in der Heilsgeschichte zu. An Maria, „die für die Kirche selber steht“, sehen wir, dass „ihr endgültiges Gerettetsein nicht mehr bloß ausstehende Verheißung, sondern schon Tatsache ist“ (Papst Benedikt XVI.).
Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Vorsitzender des Institutum Marianum Regensburg
(kw)