Pressekonferenz: Meldungen der Opfer von Körperverletzung an das Bistum Regensburg von 1945 bis 1982
Zwischenbericht
Ich darf Sie alle begrüßen zum Zwischenbericht über Körperverletzungen in Einrichtungen des Bistums Regensburg. Es sind jetzt drei Wochen vergangen, seitdem wir Sie eingeladen hatten, unseren Aufruf an die Opfer zu veröffentlichen, die Leid und Unrecht in kirchlichen Einrichtungen erdulden mussten. Diesem Aufruf folgten viele Gespräche, Briefe und Telefonate. Dass Straftäter in den Nachkriegsjahrzehnten verurteilt und inhaftiert wurden, bedeutete leider nicht, dass sich die Kirche damals den Opfern zuwandte und ihnen half, das Erlittene aufzuarbeiten.
Deutlich wurde auch: Nicht nur Fälle sexuellen Missbrauchs bewegen die Menschen bis heute. Ebenso leiden Menschen bis heute daran, Opfer von pädagogisch verbrämter Körperverletzung geworden zu sein.
Wir versprachen bei der letzten Pressekonferenz, systematisch die Fragen zu beantworten: Welche Körperverletzungsvorkommnisse gab es in der Diözese Regensburg, wer waren die Täter und wer waren die Geschädigten? Dabei gehen wir auch der Frage nach, wie die Taten strafrechtlich zu würdigen sind. Um das abzuklären, beauftragte das Bistum den Rechtsanwalt Dr. Andreas Scheulen. Der vorliegende Bericht ist ein Zwischenbericht, der noch nicht alle gemeldeten Fälle aufarbeiten konnte.
Um diesen Menschen gerecht zu werden, wurde die Beauftragung Frau Angelika Glaß-Hofmanns notwendig. Die Anrufe mit Vorwürfen der Körperverletzung zeigten, dass hier oft ein ganz anderer Tätertyp auftrat, dass auch die Opfer häufig andere Bedürfnisse äußerten und dass der Straftatbestand sexuellen Missbrauchs getrennt zu betrachten ist, wenn man den Opfern gerecht werden will.
Wenn die Kirche heute das Unrecht an den Opfern in den Blick rückt und mit den Betroffenen aufarbeitet, dann lassen wir uns von unseren drei Zielen leiten, die ich noch einmal wiederholen darf:
Gerechtigkeit und Hilfsangebote für die Opfer
Strafrechtliche und kirchenrechtliche Verfolgung der Täter
Prävention
Wir werden Ihnen heute unterschiedliche Gruppen Geschädigter vorstellen und unterschiedliche mutmaßliche Täter. Doch zuvor möchten wir uns grundsätzlich bei allen Opfern für das Vertrauen bedanken, mit dem sie sich an uns wandten. Die Arbeit der vergangenen Wochen zeigte uns schweres Unrecht, das Pädagogen und kirchliche Mitarbeiter an ihnen anvertrauten Kindern begingen. Die Berichte bezeugen Untaten, die jeden Leser und Zuhörer erschüttern müssen.
Was sogenannte Pädagogen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst, die für die Kirche stehen sollten, diesen Kindern antaten, müssen wir zutiefst bedauern. Die geschilderten Taten widersprechen der gottgegebenen Würde der Kinder und Jugendlichen und einer Pädagogik, die sich vom christlichen Menschenbild und von der Vernunft leiten lässt. Die Opfer und ihre Familien bitten wir anstelle der Täter um Vergebung.
Zur Straftat der Körperverletzung
Die Berichte der Opfer stammen in der Regel aus einer Zeit, die Eltern und Schulen ein so genanntes Züchtigungsrecht zubilligte. Heute ist vieles davon aus menschlicher und pädagogischer Sicht kaum noch verständlich. Züchtigungen, also Körperstrafen durch Lehrer wurden als gerechtfertigte Körperverletzung angesehen. Dies galt unter der Bedingung, dass die Züchtigung maßvoll und angemessen ausgeübt wurde.
Der Bundesgerichtshof stellte damals klar, dass Züchtigungen durch Lehrer dem Ziel dienten, körperliche oder seelische Schmerzen zuzufügen, um erzieherische Ziele zu erreichen. Insofern könne man von Körperverletzung oder körperlicher Misshandlung sprechen. Die Bundesrichter hielten diese Köperverletzungen jedoch dann für gerechtfertigt, wenn der Lehrer zur Züchtigung befugt war und innerhalb der Grenzen dieser Befugnis handelte.
Die rechtliche Befugnis zur Züchtigung ergab sich aus dem Gewohnheitsrecht. Dasselbe gilt für die Grenzen der Züchtigungsbefugnis nach Anlass, Zweck und Maß. Schläge mit dem Rohrstock auf die Hand oder das Gesäß hielten die Bundesrichter für allgemein üblich. Weil sie angeblich ungefährlich seien, rechnete man sie zu den zweckmäßigsten Züchtigungsmitteln. Dazu zählten sie auch Ohrfeigen, die keine Merkmale an der getroffenen Stelle hinterließen.
Außerhalb dieses Gewohnheitsrechts liege jede quälerische, gesundheitsschädliche, das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl verletzende, nicht dem Erziehungszweck dienende Züchtigung. Sie war auch in den Nachkriegsjahrzehnten verboten.
Man war sich der Grenzen durchaus bewusst, was zum Beispiel deutlich wurde im Fall eines später in einer anderen Diözese zum Diakon geweihten Religionslehrers, der in den 70er Jahren in Bad Abbach aus dem Schuldienst herausgenommen wurde, weil er „wegen seiner Unbeherrschtheit die Kinder schlug.“
Diese Grenze kennen auch die Opfer, die sich bei uns meldeten. In der Regel erhoben sie keine Vorwürfe, die sich auf das damalige Züchtigungsrecht beziehen. Viele weisen ausdrücklich drauf hin, dass die ihnen zugefügten Untaten weit über das Übliche und im Gewohnheitsrecht Verankerte hinaus gingen und mitunter zu nachhaltigen Schädigungen führten.
Schule und Internat Etterzhausen
Der größte Teil der Schilderungen im Bereich Körperverletzung konzentrierte sich auf das Grundschulinternat in Etterzhausen und die Anfangsjahre in Pielenhofen, wohin die Einrichtung 1981 umsiedelte. Ähnlich wie die Domspatzen in Regensburg pflegte die Vorschule in Etterzhausen einen musikalischen Schwerpunkt und viele Schüler wechselten von Etterzhausen in die Einrichtungen der Domspatzen nach Regensburg. Jedoch was Administration, Ort, Lehrkörper, Aufsichtsgremien und Trägerschaft anbetrifft, unterscheiden sich die Einrichtungen.
Über Etterzhausen erreichen uns vielfältige Berichte, die tiefgreifende Gewalterlebnisse schildern. Sie sprechen von Schlägen mit und ohne Stöcken, sie sprechen von Zwangsmassnahmen, die die Kindern bis zum Erbrechen quälen, sie schildern Demütigungen, gezielte Verängstigung, bewusste Ungerechtigkeit, nachhaltige Körperverletzungen und erlebte, beobachtete Gewalt an anderen. Diese in der Regel acht- bis zehnjährigen Buben fühlten sich verlassen, ausgeliefert und entwürdigt. Sie konnten sich häufig niemandem anvertrauen, und wenn doch, so erfuhren sie nicht die Veränderung, die unbedingt notwendig gewesen wäre.
Die meisten Opfer schildern eine regelmäßige Präsenz der Gewalt im Alltag. Sie heben die Regelmäßigkeit und Massivität hervor, die die in den 50er bis 70er Jahren übliche Züchtigung bei weitem übersteigt. Die bisher aufgearbeiteten Schilderungen, berühren die Jahre von 1956 bis 1983. Insgesamt werden sechs Täter der benannten Straftaten bezichtigt, darunter der langjährige Direktor Johann M., drei Lehrer, und zwei studentische Hilfskräfte, bzw. Erzieher.
Zwei der beschuldigten Personen leben noch. Bei einer dritten Person, einem Lehrer, sind wir nicht sicher. Soweit die acht betroffenen Opfer damit einverstanden sind, werden wir die Informationen, die diesem Bericht zugrunde liegen, der Staatsanwaltschaft zu Verfügung stellen, die darüber zu entscheiden hat, ob und welche strafrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen sind.
Erwähnt seien an dieser Stelle auch Berichte derjenigen, die die Schule und ihre Lehrer und Erzieher positiv in Erinnerung haben. Ihre Erlebnisse können das erlittene Leid der Opfer nicht mindern oder relativieren.
Warum im Internat Etterzhausen über einen so langen Zeitraum unbehelligt Straftaten der Körperverletzung gegen anvertraute Kinder begangen werden konnten, das können wir heute noch nicht befriedigend beantworten.
Die Menschen, die sich bei uns meldeten, die nach ihrer Zeit in Etterzhausen nach Regensburg zu den Domspatzen wechselten, berichten durchweg von einem besseren Klima. Allerdings sei auch hier erwähnt, dass viele auf den Druck hinweisen, dem sie sich unter anderem in Chorproben ausgesetzt fühlten. Andere berichten von körperlicher Züchtigung, die sie in der Regel in den Rahmen des Üblichen (Ohrfeige) und zum Teil darüber hinaus gehend einordneten.
Opfer bereits verstorbener Täter (ohne Etterzhausen)
Viele Geschädigte wenden sich an das Bistum Regensburg mit Berichten über Körperverletzung, die Personen begingen, die bereits verstorben sind. Rechnen wir die uns nur medial bekannt gewordenen Fälle hinzu, so berühren sie bislang die Zeitspanne zwischen 1945 und 1982. Diese Berichte wurden mit großem Ernst vorgetragen und auch wenn die mutmaßlichen Täter nicht mehr leben und die Taten deshalb auch nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können, so wollen wir dennoch alle mutmaßlichen Opfer auch weiterhin ermutigen, sich zu melden und uns zu berichten. Wir verweisen auf die therapeutischen Möglichkeiten und Angebote, auch nach Jahrzehnten erlittenes Leid aufzuarbeiten und Folgen zu lindern.
Zusammen mit den Opfern versuchen wir, auch nach Jahrzehnten durch interne Recherchen Licht ins Dunkel zu bringen und den Betroffenen dadurch zu helfen. Wir schauen Akten durch und befragen mögliche Zeitzeugen.
Bitte verstehen Sie, wenn wir die Namen der beschuldigten, verstorbenen Täter hier nicht veröffentlichen.
Opfer von Beschuldigten, die noch leben oder von denen wir nicht wissen, ob sie verstorben sind (ohne Etterzhausen)
In dieser Gruppe fassten wir Beschuldigungen zusammen, die Täter betreffen, die noch leben oder von denen wir nicht wissen, ob sie verstorben sind. Ausgeschlossen sind hier die Taten aus Etterzhausen, die vorher besprochen wurden.
Sechs Opfer meldeten dem Bistum Regensburg Straftaten der Körperverletzung, die drei mutmaßliche Täterinnen und Täter begangen haben sollen, die noch leben oder von denen wir nicht wissen, ob sie verstorben sind.
Die bisher ausgewerteten Taten liegen im Zeitraum zwischen 1964 und 1978.
Die beschuldigten Personen sind:
- eine Ordensschwester,
- ein Lehrer
- eine studentische Hilfskraft bzw. Erzieher
Wir übergeben alle verfügbaren Informationen der Staatsanwaltschaft, die zu prüfen hat, inwieweit Verfahren zu eröffnen sind. Weiterhin liegen Vorwürfe gegen einen Pfarrer vor, bei dem noch zu klären ist, ob es sich um einen Geistlichen der Diözese oder eines Ordens handelt.
Schilderungen der Arbeit von Fr. Glaß-Hofmann
Zahlreiche Telefonate, e-mails und Briefe erreichten mich in den vergangenen Wochen. Es fanden auch Treffen statt mit Opfern. Ich darf mich als Beauftragte des Bistums Regensburg an dieser Stelle recht herzlich bedanken für das große Vertrauen, das mir so viele Menschen entgegengebracht haben. Meist haben mir die Betroffenen von Ereignissen berichtet, die einige Jahrzehnte zurückliegen, aber immer noch sehr lebendig im Bewusstsein verankert sind. Die Konfrontation mit dem damals Geschehenen ist dabei für viele schmerzlich, und ich war selbst immer wieder sehr betroffen von dem, was ich erfahren habe.
Das Anliegen der meisten Opfer, mit denen ich in Verbindung stehe, ist die Anerkennung ihres erlittenen Unrechts; sie wünschen sich dringlich eine wahrheitsgetreue Darstellung dessen, was sie erlebt haben und, soweit dies möglich ist, auch eine Übernahme von Verantwortung durch die dafür Zuständigen. Ein Teil der Opfer trägt heute noch vor allem psychisch an den Folgen des Erlebten; hier versuche ich, mit diesen zu klären, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt und biete auch selbst Beratungsgespräche an. Zwei der noch lebenden Beschuldigten haben bislang ihre Bereitschaft signalisiert, sich den Vorwürfen zu stellen und konstruktiv daran mitzuarbeiten, ihre Möglichkeiten der Anerkenntnis von Schuld zu finden, die auch den Opfern Entlastung verschaffen könnte.
Meldung an die Staatsanwaltschaft
Konkrete Hinweise auf mögliche Straftaten geben wir an die Staatsanwaltschaft weiter - unabhängig von Verjährungsfristen. Über diese befindet die Staatsanwaltschaft. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft ist eine Weitergabe nicht sinnvoll, wenn der Beschuldigte schon verstorben ist, da dann eine strafrechtliche Verfolgung nicht mehr möglich ist. Die Kirche wird jedoch konkreten Verdächtigungen in allen Fällen nachgehen. Wenn der oder die Geschädigte eine Weitergabe entgegen unserer Empfehlung ausdrücklich nicht möchte, stehen wir vor einer schwierigen Abwägung: auf der einen Seite die Schweigepflicht der Therapeutin und auf der anderen Seite der Schutz möglicher anderer Opfer vor dem Täter. Im Zweifelsfall werden wir diese Abwägung mit der Staatsanwaltschaft besprechen.
Kirchenrechtliche Folgen bei Klerikern
Wenn bei einem konkreten Hinweis auf Körperverletzung die Staatsanwaltschaft die Unschuld des beschuldigten Klerikers (Priester oder Diakon) feststellt und die anschließende kirchenrechtliche Untersuchung sich dem voll anschließt, werden alle notwendigen Schritte unternommen, den guten Ruf der Person wiederherzustellen.
Wenn das weltliche Gericht die Beschuldigung des Klerikers als erwiesen sieht, wird die Diözese dies als Grundlage für die kirchenrechtlichen Folgen sehen.
Wenn die Staatsanwaltschaft den Vorwurf nicht weiter verfolgt, kann die Diözese gemäß dem Kirchenrecht dennoch je nach Schwere der Tat Auflagen oder Kirchenstrafen verhängen.
Was wir künftig angehen
Geschehenes Unrecht ahnden, künftiges verhindern: Wir suchen zurzeit im Kontakt mit den Opfern und mit den noch lebenden Tätern nach persönlicher Aufarbeitung erlittener Verletzungen.
Wir werden ferner die pädagogischen Konzepte und die strukturellen Gegebenheiten unserer Einrichtungen daraufhin überprüfen, wie sie Körperverletzungen verhindern und einen menschenwürdigen Umgang fördern können. Vieles ist in dieser Hinsicht in den letzten Jahrzehnten geschehen, manches kann verbessert werden.
Die Kirche wird sich an dem Runden Tisch aller Träger pädagogischer Einrichtungen beteiligen mit dem Ziel, pädagogisch verbrämte Körperverletzung insgesamt zu bekämpfen.