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Person der Woche: Prof. Franz Josef Stoiber im Interview

Wenn Organist und Chor sich die Bälle zuwerfen

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Regensburg, 9. Januar 2024

Das perfekte Zusammenspiel von Chor und Domorgel kennzeichnet die hohe Qualität der musikalischen Gestaltung der Liturgie im Regensburger Dom St. Peter. Aber, wie erzeugt man eine gute Balance zwischen Chor und Orgel? Was kennzeichnet die „Regensburger Tradition“? Und wie hat sich der neue Mädchenchor entwickelt? Karl Birkenseer hat darüber mit dem Regensburger Domorganist Prof. Franz Josef Stoiber gesprochen und einen Blick auf seine Wege hin zur Musik geworfen.

Sie sind als Domorganist ein zentraler Pfeiler der Kirchenmusik an der Kathedrale St. Peter. Dazu kommt aber noch Ihre Rolle als instrumentaler Partner der Domspatzen. Was ist für Sie das Besondere daran? 

Franz Josef Stoiber: Zunächst einmal habe ich das Privileg, an einer Domkirche zu spielen. Ein Hochamt steht für mich über jedem Konzert. Dann aber gilt natürlich auch: Wer hat schon die Chance, Sonntag für Sonntag auf so hohem Niveau Beispiele der altklassischen Vokalpolyphonie zu hören? Zwischen Organist und Chor kann man sich da die Bälle zuwerfen. Ich spüre die Intention des Domkapellmeisters und seiner Sänger – es ist ein Hand-in-Hand-Gehen.    

Wie laufen die Absprachen zwischen Chor und Organist? Gibt es schon im Vorfeld eine Absprache bei der Auswahl der Stücke? Oder stellen Sie sich einfach darauf ein, welche Pläne der Domkapellmeister und die Dirigenten der anderen Domspatzenchöre haben? 

Stoiber: Chöre und Dirigenten wählen aus. Ich greife auf das zurück, was sie liefern. Dirigentinnen und Dirigenten legen das Programm fest. Der Hauptpunkt der Absprache findet direkt vor dem Domamt statt – sozusagen auf dem kurzen Dienstweg. 

„Du musst in den Raum hineinhören“  

Was ist Ihnen beim Einspiel für die Messgesänge wichtig? Was erwarten die Domspatzen? 

Stoiber: Bei der Absprache spielt natürlich eine große Rolle, welches Tempo geplant ist. Mir selbst ist wichtig, dass ich die Charakteristik der jeweiligen Komposition treffe. Es muss stilistisch, liturgisch und musikalisch passen.  

Eine besonders intensive Form des gemeinsamen Musizierens sind Orgelmessen – also Kompositionen, bei denen die Orgel Teil des musikalischen Vortrags ist. Welches Klangideal schwebt Ihnen dabei vor, um eine gute Balance zwischen Chor und Orgel hinzubekommen? 

Stoiber: Das hängt davon ab, ob das Orgelspiel eine selbständige Funktion hat oder ob es rein stützend ist. Auf die Registrierung hat das einen großen Einfluss. Wenn ich den Chor begleite, benutze ich die Chororgel, so dass es leichter ist, nicht zu laut zu spielen.  

 

Alle Kenner des Regensburger Doms wissen, dass seine stark hallige Akustik große Anforderungen an die Interpreten stellt, den Chor noch mehr als den Organisten. Gibt es dafür ein Patentrezept?  

Stoiber: Nicht unbedingt ein Patentrezept. Aber es braucht schon gemäßigte Tempi. Eine ganz wichtige Geschichte dabei ist: Du musst in den Raum hineinhören und darfst nicht an den Noten kleben, du musst den Klang steuern. Das gilt für Organisten genauso wie für die Dirigenten. 

„Ich kann am meisten einbringen, wenn ich improvisiere“  

Die „Regensburger Tradition“ am Dom St. Peter stellt ins Zentrum die Meister der altklassischen Vokalpolyphonie und den Gregorianischen Choral, daneben Komponisten der Spätromantik und einer „gemäßigten Moderne“. Was bedeutet für Sie das Ausrichten an dieser „Regensburger Tradition“? 

Stoiber: Es ist schon gut, dass es diese starke Tradition noch gibt. Es wird so viel aufgegeben. Da darf man ruhig eine Konstante haben. Und wir Regensburger werden ja auch beneidet dafür. Soweit es die Orgel betrifft, ist die ganze, große Orgelliteratur möglich, inklusive der großen Orgelwerke des 19. und 20. Jahrhunderts. Ich persönlich kann am meisten einbringen, wenn ich improvisiere.  

Die Neue geistliche Musik ist ein Masterstudiengang an der Hochschule für Kirchenmusik (HfKM) – aber wohl kein „Master“-Projekt am Dom. Wird das so bleiben?  

Stoiber: Man muss unterscheiden zwischen Neuen geistlichen Liedern (NGL) und Neuer geistlicher Musik (NGM). Schon wegen der Akustik passen Neue geistliche Lieder schlecht in den Dom hinein. Die Neue geistliche Musik dagegen ist viel breiter angelegt, hier gibt es wirklich anspruchsvolle moderne Musik. Aber auch das wird wohl nicht zum Standardrepertoire der Domspatzen werden. 

„Der Mädchenchor – eine herrliche Bereicherung“  

Einesehr weitreichende Neuerung gibt es bei den Domspatzen seit 2022: den Mädchenchor. Wie beurteilen Sie dessen Entwicklung? Und sind bei den Mädchen spezielle Formen der Zusammenarbeit notwendig, die anders sind als bei den Knabenchören? 

Stoiber: Die Entwicklung ist phänomenal: Innerhalb kürzester Zeit haben sich die Domspatzen-Mädchen zu einem der besten Mädchenchöre Deutschlands entwickelt. Es ist eine herrliche Bereicherung – schon durch das Repertoire für gleiche Stimmen. Und für mich als Organisten gilt: Da gibt es meistens etwas zu begleiten. Es ist ausgesprochen reizvoll, dass mir diese Bereicherung noch in meinen alten Tagen vergönnt ist.    

Wenn Sie Urlaub haben oder auf Konzertreisen sind, werden Sie im Dom von einigen Ihrer Schüler vertreten. Sind da auch Domspatzen darunter? Und wie wählen Sie Ihre Vertretungen aus? 

Stoiber: Die Vertretungen übernehmen keine Gymnasiasten, sondern nur solche Schüler, die schon studieren. Auch Domspatzen-Chorleiter vertreten mich ausnahmsweise mal. Es ist aber schon richtig, dass ich seit 1997 Orgellehrer bei den Domspatzen bin – derzeit hat eines der Mädchen bei mir Unterricht. Und einige der Domspatzen, die bei mir Schüler waren, sind bis in höchste Stellen hauptamtlich tätig, etwa als Domorganisten oder Regionalkantoren.  

Ihre beruflichen Schwerpunkte lassen sich als Dreieck darstellen: Orgel-Professor/Rektor der HfKM/Domorganist. Welchen Stellenwert hat dabei der Domorganist? 

Stoiber: Der Domorganist ist die Krone. Wenn es den Domspatzen gut geht, geht’s auch dem Orgelprofessor gut. Und der kann dann auch den kleinen Rucksack des Hochschulrektors noch eine Zeitlang schleppen.  

 

Wege und Umwege eines Orgelvirtuosen 

Lebenslauf mit Kehrtwenden: Franz Josef Stoiber landete erst nach Zwischenstationen bei der Königin der Instrumente  

Franz Josef Stoiber ist am 24. September 1959 in Straubing geboren und in Oberpöring an der Isar im südwestlichen Landkreis Deggendorf aufgewachsen. Von der als „Natur pur“ erlebten Einöde, in der die großväterliche und väterliche Familie eine Mühle samt Landwirtschaft betrieb, kam der Elfjährige ans Bischöfliche Knabenseminar nach Passau, eine für ihn damals „völlig neue Welt“ – nicht nur weil es eine halbe Weltreise von Oberpöring nach Passau war, sondern weil der Junge hier auf eine Bibliothek und auf Musikinstrumente traf. Der Dom und die Passauer Domorgel mit ihrem spezifischen Klang brannten sich derart unvergesslich in sein Gedächtnis ein, dass sie ihm noch heute in den Sinn kommen, „wenn ich im Regensburger Dom zum Orgelspielen anfange“.   

In Passau fand der heutige Regensburger Domorganist „so richtig zur Musik“. Hier erhielt er Klavierunterricht und entwickelte sehr schnell den Ehrgeiz, „der Beste zu werden“. Mit einem älteren Cousin, bei dem er schon vor dem offiziellen Unterricht die ersten Klavierschritte gemacht hatte, spielte er bald vierhändige Duos. Zudem entdeckte der junge Franz seine Fähigkeit zum Arrangieren und Komponieren. Das Spektrum seiner instrumentalen Interessen erstreckte sich im Laufe der Zeit auch auf Gitarre, Violoncello und Posaune, eine Vielseitigkeit, die etwa in einer Blasmusikgruppe und einer Popband Betätigung fand.  

Folgenreiches Missverständnis 

Zur Orgel kam Franz Josef Stoiber auf Umwegen. „Ich war 14, 15 Jahre alt“, erzählt er, „als mich ein Anruf des Seminardirektors ereilte, der auf der Suche nach einem Organisten war“. Zuerst dachte Stoiber an ein Missverständnis und wies darauf hin, dass er zwar Klavier, aber nicht Orgel spiele. Als der Direktor nicht lockerließ, gab er schließlich nach: „Wenn Sie wirklich niemanden finden, dann mach‘ ich’s.“ Zunächst war viel „learning by doing“ gefragt, vor allem weil bei der Orgel anders als beim Klavier auch ein umfangreiches System von Fußtasten bedient werden muss: „Ich habe mit den Pedalen ziemlich herumprobiert, bis es wirklich nach Orgel klang.“ Ein weiteres Problem bestand darin, dass die vorhandenen Orgelnoten für Stoiber zunächst noch zu schwer waren. Deshalb spielte er anfangs nur nach den einstimmigen Noten des Gesangbuchs und harmonisierte die Kirchenlieder selber, wobei ihm zweifellos seine Erfahrung beim Arrangieren zugutekam. Heute kann der weithin bekannte Orgelvirtuose sagen: „Es war der Anfang der Improvisation, die später eine so große Rolle in meiner Laufbahn spielen sollte.“ 

Nachdem Franz Josef Stoiber auf diese Weise zwei Jahre lang als Liebhaberorganist tätig war – immer dienstags, freitags und sonntags –, wollte er doch Nägel mit Köpfen machen und erhielt von nun an Unterricht beim damaligen Passauer Domorganisten Walther R. Schuster, einem Schüler von Karl Richter. Weil neben Orgel, Klavier und den vielen weiteren Instrumenten auch das Singen im Chor zur Praxis des musikalischen Allroundtalentes gehörte, lautet Stoibers Fazit über seine Passauer Seminarzeit: „Das alles war der absolute Grundstein für das, was später kam.“  

 

Winke des Schicksals 

Allerdings war nach dem Abitur noch einmal ein Umweg angesagt: „Ich habe nicht gleich mit dem Musikstudium angefangen, sondern erst einmal ein kleines Intermezzo mit klassischer Philologie an der Universität Regensburg eingelegt.“ Die Überzeugung, für Latein und Griechisch noch besser begabt zu sein als für die adäquate Interpretation von Bach und Mozart, führte zu dieser Studienentscheidung, verhinderte aber nicht, dass Stoiber nebenbei Orgelstunden beim damaligen Regensburger Domorganisten Eberhard Kraus nahm und Leiter des Altphilologenchors an der Uni wurde. Dass ihm bei Letzterem sein Kommilitone Norbert Blößner, ein ehemaliger Domspatz, als Stimmbildner und Mitsänger assistierte, mag als früher Wink des Schicksals für seine spätere intensive Zusammenarbeit mit den Regensburger Domspatzen interpretiert werden. Definitiv schicksalhaft war es, dass Stoiber im Altphilologenchor auch seine Frau Andrea kennenlernte. Der glücklichen Ehe mit der Lehrerin für Religion und Latein entstammen zwei mittlerweile erwachsene Kinder: Sebastian, der ein Domspatz wurde, und Dorothea.  

Nach sechs Semestern wurde Franz Josef Stoiber allerdings endgültig den alten Sprachen abtrünnig. Er wechselte an die Musikhochschule Würzburg und studierte von 1982 bis 1986 die kirchenmusikalischen Fächer Orgel, Dirigieren und Stimmbildung. Anschließend war er hauptamtlicher Assistent des Domkapellmeisters am Würzburger Dom und Vertreter des dortigen Domorganisten. 1989 folgte er dem Ruf als Dozent für Tonsatz und Orgel an der Fachakademie für Katholische Kirchenmusik in Regensburg. Seit 2003 ist er an dem mittlerweile zur Hochschule erhobenen Institut Professor für Orgelimprovisation und fungierte von 2003 bis 2011 zwei Perioden als Rektor der HfKM, eine Funktion, die er seit 1. Oktober 2023 erneut ausübt. Regensburger Domorganist ist Franz Josef Stoiber in der Nachfolge von Eberhard Kraus seit 1996 – anders als sein Vorgänger nebenamtlich, weil ihm so genügend Zeit für seine umfangreiche Lehrtätigkeit und seine Konzertreisen bleibt. 

Text und Interview: Karl Birkenseer, Fotos: ©Michael Vogl
(jas)

Diesen Beitrag finden Sie auch im aktuellen DOMSPATZEN Magazin

 

 

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