Person der Woche: Interview mit Prof. Dr. Yves Kingata
Konkordat garantierte Erhalt des christlichen Wertekodexes
Regensburg, 22. November 2024
In einem Interview mit dem Professor Yves Kingata von der Fakultät für Katholische Theologie von der Universität Regensburg erklärt uns der Professor für Kirchenrecht, warum das Bayerische Konkordat für die jüngere Kirchengeschichte so bedeutsam war.
Am. 15. und 16. November 2024 fand an der Regensburger Universität die Veranstaltung „100 Jahre Bayerisches Konkordat“ satt. Renommierte Wissenschaftler diskutierten über diesen Staatsvertrag, der am 24. Februar 1924 zwischen dem bayerischen Staat und dem Heiligen Stuhl geschlossen wurde. In seiner Begrüßung betonte der Apostolische Nuntius Erzbischof Dr. Nikola Eterović die große Bedeutung des Konkordates als „Schrittmacher“ für die Beziehungen zwischen Bayern und dem Vatikan. Der Regensburger Universitätspräsident Prof. Dr. Udo Hebel würdigte in seiner Begrüßung die Wichtigkeit der katholischen Fakultät Regensburg und die Forschungsleistungen, die durch diese erbracht werden. Sie zähle mit zu den forschungsstärksten Fakultäten und sei eine wichtige Säule der Universität. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Regensburger Lehrstuhlinhaber für Kirchenrecht, Prof. Dr. Yves Kingata, mit Unterstützung des Münchener Kirchenhistorikers Prof. Dr. Klaus Unterburger, Prof. Dr. Dr. Stefan Mückl aus Rom und Prof. Dr. Rainald Becker aus Augsburg. Wir sprachen mit Prof. Dr. Kingata über die Veranstaltung.
Wie kam es zu diesem Konkordat? Warum musste es neu verhandelt werden?
Der Vertragsabschluss darf nicht als ein isolierter Akt betrachtet werden. Vielmehr stellt der gesamte Kontext vor den Verhandlungen und rings um die Unterzeichnung des Konkordats den Rahmen dar, der erklären kann, warum und wie es zu diesem Konkordat kam. Zu den weltbewegenden Ereignissen gehörten damals unter anderem der Verlust der Selbstständigkeit Bayerns schon im Jahr 1871, der Erste Weltkrieg (1914-1918) und die Revolution im Jahr 1918. Das Königreich Bayern, das 1817 ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl unterzeichnet hatte, war inzwischen (1871) in das Bismarck‘sche Reich eingetreten und im November 1918 vom Revolutionsführer Kurt Eisner zum Freistaat erklärt worden und Gliedstaat der Weimarer Republik (1918-1933) geworden. Das heißt, die Anfangs- und Formationsphasen des Freistaates Bayern fielen daher mit einer stürmischen Zeit zusammen: Die Revolution von 1918 hatte unter anderem die Monarchie gestürzt, die geistliche Schulaufsicht über die Volksschule und die Abmeldung vom Religionsunterricht beseitigt. Dabei handelte es sich um Vertragsgegenstände, die im Konkordat von 1817 geregelt waren. Daher stellte sich die Frage, ob das Konkordat aus dem Jahr 1817 über den Sturz der Monarchie hinaus weiter in Geltung sei. Zudem herrschte bezüglich der Besetzung von Pfarreien sowie Bischofsstühlen große Unsicherheit, vor allem hinsichtlich der damit verbundenen königlichen Präsentationsrechte. Als im August 1919 die Reichsverfassung in Art. 137 festhielt, dass jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbst verwalten werde, bekräftigte sich für die staatliche wie für die kirchliche Seite die Überzeugung, dass ein neues Konkordat ausgehandelt werden müsse. So kam es zu den neuen Verhandlungen, die Ende Oktober 1919 mit dem Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann begannen.
Was sind die inhaltlichen Schwerpunkte des staatskirchenrechtlichen Vertrages?
Zunächst ist auf die im Bayerischen Konkordat verankerte Garantie der freien und öffentlichen Ausübung der katholischen Religion sowie der ungestörten Kultübung hinzuweisen, die vorangestellt worden sind und Gegenstand von Art. 1 BayK sind. Dazu kommen die Anerkennung und freie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Kirche: z.B. im Rahmen ihrer Zuständigkeit Gesetze für ihre Mitglieder zu erlassen sowie Orden und religiöse Institute frei zu gründen. Ferner wird das Theologiestudium an einigen staatlichen Universitäten sowie das Studium an der katholischen Universität Eichstätt gewährleistet. An prominenter Stelle stehen die katholische Erziehung und der Religionsunterricht, die im Konkordat von 1924 sehr detailliert behandelt werden. Außerdem wird die Kirchenfinanzierung vertraglich abgesichert und eine Bestimmung zur Besetzung von Bischofsstühlen sowie von Kanonikaten in Bayern getroffen.
Papst Pius XI. sprach von einem „guten Konkordat“, warum?
Bei den ersten Verhandlungen, zu denen der Apostolische Nuntius Eugenio Pacelli Ende 1919 offiziell lud, legte er der bayerischen Regierung zehn kirchliche Forderungspunkte vor. Als aber 1920 nach der Annahme der Einladung durch den Landtag die Konkordatsverhandlungen geführt werden sollten, baute Eugenio Pacelli den kirchlichen Forderungskatalog noch einmal auf 19 Punkte aus, die er am 4. Februar 1920 überreichte. Aus dem Stenogramm der Ministerratssitzungen des Kabinetts Knilling weiß man inzwischen, dass sich der Heilige Stuhl von seinen Maximalforderungen nicht absehen wollte und darauf bestand. Der Apostolische Nuntius und Rom blieben hart. Daher kann man nur vermuten, dass diese Aussage von Pius XI. mit dem erzielten guten Ergebnis der Verhandlungen verbunden war: Die meisten kirchlich-römischen Forderungen wurden erfüllt.
Wie wurde das Konkordat damals von Kirche, Gesellschaft und Medien wahrgenommen?
Das Konkordat wurde sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die nationalkonservative, protestantisch geprägte Mittelpartei vertrat zunächst die Auffassung, dass hinter Rom nicht bloß der Papst als Oberhaupt der katholischen Gläubigen stand. Vielmehr sah sie die Kurie als diplomatische Macht, die eine weltliche Theokratie in einem neuen Völkerbund errichten wollte. Daher entstand das Bayerische Konkordat im Licht eines politischen Kampfes, der klar auszukämpfen war. Denn aus der Sicht der konservativen Protestanten bedeutete das Konkordat eine Belastung für Bayern, weil es wie im Mittelalter die staatliche Unterordnung unter die päpstliche Gewalt versinnbildlichte und damit die Angst um das Zurückkommen von mittelalterlichen Strukturen erstarkte. An dieser Stelle ist es aber wichtig zu betonen, dass sich diese Wahrnehmung bei den konservativen Protestanten allmählich legte. Schließlich konnte auch die nationalkonservative protestantisch geprägte Mittelpartei für das Konkordat gewonnen werden. Sie erreichte im Gegenzug, dass auch mit den beiden protestantischen Kirchen, links- und rechtsrheinisch Kirchenverträge geschlossen wurden.
Für den Heiligen Stuhl handelte es sich dabei um „ein gutes Konkordat“. Für die bayerische Regierung stellte das Konkordat von 1924 eine fundamentale Weichenstellung für das Verhältnis von bayerischem Föderalismus und Berliner Unitarismus sowie für eine gesunde Trennung und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche dar.
Welche Veränderungen gab es durch das Konkordat mit Blick auf die Hochschulen und den Religionsunterricht?
Die von der Revolution von 1918 beseitige geistliche Schulaufsicht wurde wieder hergestellt, der Religionsunterricht in allen Schularten als ordentliches Lehrfach bestätigt und die notwendigen Kosten für schulaufsichtlich genehmigte Neu-, Um- und Erweiterungsbauten privater Volksschulen sowie Sonderschulen im Rahmen der im Haushalt für diesen Zweck bereitgestellten Gesamtsumme garantiert. Für die Hochschulen muss man zunächst auf die Garantie der Fakultäten für Katholische Theologie an den im Konkordat festgelegten staatlichen Universitäten blicken, einschließlich der Zusatzprotokolle sowie die Mitwirkung der Kirche bei der Besetzung der Lehrstühle.
Welche Aussagen trifft der Vertrag hinsichtlich der Kirchenfinanzierung?
In Art. 10 BayK findet sich eine wichtige Aussage über die Garantie der Kirchenfinanzierung. Es wird nämlich festgehalten: „Der Bayerische Staat wird seinen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegen die katholische Kirche in Bayern stets nachkommen.“ Außerhalb von Art. 10 BayK gibt es die gleiche Garantie und Verpflichtung zur Finanzierung z.B. konkret für den Religionsunterricht oder die Ausbildung der Alumnen sowie andere Pastoralmitarbeitenden an den Fakultäten für Katholische Theologie an den staatlichen Universitäten oder an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt usw.
Was hat sich seit dem Konkordat in den letzten Jahren verändert?
Das Bayerische Konkordat von 1924 friert nicht den Zustand von 1924 ein. Vielmehr zeigen die im Lauf der Jahre hinzugefügten Zusatzprotokolle, dass das Konkordat an die Gegebenheiten angepasst und fortgeschrieben wird. Als das Bayerische Konkordat von 1924 unterzeichnet wurde, gab es weder die Universität Regensburg mit der Katholischen Theologie als Fach noch die katholische Universität Eichstätt. Diese Änderungen wurden mit dem entsprechenden Zusatzprotokoll aufgenommen. Das Gleiche gilt für die Fakultäten für Katholische Theologie in Passau und Bamberg, die durch Zusatzprotokolle seit 2007 und voraussichtlich bis 2037 noch auf dem Konkordat beruhen werden.
Was sind aktuelle Tendenzen des Heiligen Stuhles im Staat-Kirchen-Verhältnis und was bedeutet das für die Zukunft des Konkordatsrechtes?
Dass die Ära der Konkordate und Kirchenverträge nicht vorbei ist, zeigt die aktuelle Tendenz des Heiligen Stuhls sowohl beim Vertrag mit der Volksrepublik China als auch mit einer Reihe von weiteren asiatischen und afrikanischen Ländern. Konkordate und Kirchenverträge werden nicht mehr zwischen dem Papst (wie beim Bayerischen Konkordat von 1924; dort heißt es nämlich „Konkordat zwischen seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staat Bayern), und den Monarchen, den Völkerrechtssubjekten oder sogar den Teilkirchen geschlossen. Vielmehr werden sie zwischen dem Heiligen Stuhl und anderen Ländern oder anderen Völkerrechtssubjekten usw. ausgehandelt. Konkordate und Kirchenverträge stellen nach wie vor ein wichtiges Mittel zur Ordnung der Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen Staat und katholischer Kirche dar.
Prof. Yves Kingata bei der Veranstaltung „100 Jahre Bayerisches Konkordat“ an der Regensburger Universität.
Inwieweit ist das Konkordat auch ein Garant für den Erhalt des christlichen Wertekodexes?
In den Bestimmungen zur katholischen Erziehung, zur Schulaufsicht und zum Religionsunterricht sowie zu den Fakultäten für katholische Theologie macht das Bayerische Konkordat deutlich, wie sich die Vertragspartner um die Förderung und Ordnung der katholischen Erziehung und der fundierten theologischen Ausbildung bemühen. Dazu verpflichtet sich der Staat die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Zudem garantiert der Staat die freie und öffentliche Ausübung der katholischen Religion sowie der ungestörten Kultübung, in denen das Vollzugswesen der Kirche in der Verkündigung des Gotteswortes und in der Feier der Sakramente deutlich werden. Darin zeigt sich, wie das Konkordat den Erhalt des christlichen Wertekodexes mit Leben erfüllt und garantiert.
Das Interview führte Dr. Dr. Stefan Groß
(jas)